Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Franziskus von Assisi Empfinden in jenen Lebensjahren des Heiligen wie ein wunder Punkt. Ist Höher als je zuvor stand in jenen Jahren die Kirche im Leben der Völker. Franziskus von Assisi Empfinden in jenen Lebensjahren des Heiligen wie ein wunder Punkt. Ist Höher als je zuvor stand in jenen Jahren die Kirche im Leben der Völker. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0568" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303270"/> <fw type="header" place="top"> Franziskus von Assisi</fw><lb/> <p xml:id="ID_2942" prev="#ID_2941"> Empfinden in jenen Lebensjahren des Heiligen wie ein wunder Punkt. Ist<lb/> denn nicht aber gerade dieser Kampf bis aufs Messer gegen die eignen Eltern<lb/> etwas, was gar vielen Großen nicht erspart geblieben ist? Und etwas läßt uns<lb/> doch ohne weiteres für den jugendlichen Träumer und Stürmer Partei ergreifen,<lb/> das ist die mehr als häßliche Art, in der Bernardone noch rettet, was es zu<lb/> retten gibt. Und diese Art veranlaßte auch die Zeugen jener Szene, sich auf<lb/> des Franziskus Seite zu schlagen, und das herbeigeströmte Volk jauchzte seinem<lb/> Bischof zu, der ebenfalls herbeigeeilt war und um den Entblößten den eignen<lb/> Mantel schlang! Und nun kehrt Franz nach Se. Damian zurück. Baufällig<lb/> steht dort die alte Kapelle. Er will nun diese Stätte seines Glückes würdiger<lb/> gestalten. Steine bettelt er und trägt sie zusammen, um sie zu bauen. Als er<lb/> sie vollendet hatte, kam eine andre an die Reihe — Maria de la Angeli, die<lb/> Portiunkulakapelle. Das wird nun sein eigentliches, weltabgeschiednes Bethel.<lb/> Hier dringen ihm mit zwingender Gewalt die Worte zu Herzen: „Gehet<lb/> aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.<lb/> Machet die Kranken gesund, reinigt die Aussätzigen, wecket die Toten auf und<lb/> treibet die Teufel aus. Umsonst habt ihr es empfangen, umsonst gebet es auch.<lb/> Ihr sollt nicht Gold noch Silber noch Erz in euern Gürteln haben, auch keine<lb/> Tasche zur Wegfahrt, auch nicht zween Röcke, keine Schuhe und auch keinen<lb/> Stecken, denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert." Und unter diesen Worten<lb/> erfolgt nun seine eigentliche Berufung. Hier geht er das Verlöbnis ein mit<lb/> jener Braut, deren Bild er schon lange im Herzen trug, jenes Verlöbnis, das<lb/> ihm in seinem persönlichen Leben eine unerschöpfliche Quelle seligster Freude<lb/> gewesen ist — das Verlöbnis mit der Armut. Unscheinbar mag uns zunächst<lb/> dieses Ereignis dünken. Aber der Lauf der Geschichte hat gelehrt, was es be¬<lb/> deutete. Es bedeutete die Entstehung einer neuen, weltgeschichtlichen Macht, einer<lb/> Macht, die in den folgenden Jahrzehnten das stolze Gebäude der Kirche vielleicht<lb/> vor dem Zusammenbruch gerettet hat; einer Macht, deren Einfluß aber auch wieder<lb/> nicht an den Mauern der Kirche ihre Grenze finden sollte. Mit diesem Augen¬<lb/> blicke hört nun Franziskus auf, Privatperson zu bleiben. Von jetzt etwa an<lb/> gehört er der Kirche, gehört er dem Orden, den er ins Leben rief, und in<lb/> diesen Zusammenhängen wollen wir nun weiter sein Leben betrachten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_2943" next="#ID_2944"> Höher als je zuvor stand in jenen Jahren die Kirche im Leben der Völker.<lb/> Auf dem Stuhle Petri saß Jnnozenz der Dritte, der Geisteserbe Gregors des<lb/> Siebenten, aus allen Zeiten der königlichsten Gestalten eine auf dem päpstlichen<lb/> Throne. Ausgerüstet mit einem scharfen, umfassenden Geiste und mit eisernem<lb/> Willen, hatte er als Siebenunddreißigjähriger die Würde des Statthalters Christi<lb/> übernommen, und sein Ziel war die Beugung der Völker unter die römische<lb/> Gewalt. Erfolg reihte sich ihm an Erfolg, und durch ihn schien das Ideal</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0568]
Franziskus von Assisi
Empfinden in jenen Lebensjahren des Heiligen wie ein wunder Punkt. Ist
denn nicht aber gerade dieser Kampf bis aufs Messer gegen die eignen Eltern
etwas, was gar vielen Großen nicht erspart geblieben ist? Und etwas läßt uns
doch ohne weiteres für den jugendlichen Träumer und Stürmer Partei ergreifen,
das ist die mehr als häßliche Art, in der Bernardone noch rettet, was es zu
retten gibt. Und diese Art veranlaßte auch die Zeugen jener Szene, sich auf
des Franziskus Seite zu schlagen, und das herbeigeströmte Volk jauchzte seinem
Bischof zu, der ebenfalls herbeigeeilt war und um den Entblößten den eignen
Mantel schlang! Und nun kehrt Franz nach Se. Damian zurück. Baufällig
steht dort die alte Kapelle. Er will nun diese Stätte seines Glückes würdiger
gestalten. Steine bettelt er und trägt sie zusammen, um sie zu bauen. Als er
sie vollendet hatte, kam eine andre an die Reihe — Maria de la Angeli, die
Portiunkulakapelle. Das wird nun sein eigentliches, weltabgeschiednes Bethel.
Hier dringen ihm mit zwingender Gewalt die Worte zu Herzen: „Gehet
aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.
Machet die Kranken gesund, reinigt die Aussätzigen, wecket die Toten auf und
treibet die Teufel aus. Umsonst habt ihr es empfangen, umsonst gebet es auch.
Ihr sollt nicht Gold noch Silber noch Erz in euern Gürteln haben, auch keine
Tasche zur Wegfahrt, auch nicht zween Röcke, keine Schuhe und auch keinen
Stecken, denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert." Und unter diesen Worten
erfolgt nun seine eigentliche Berufung. Hier geht er das Verlöbnis ein mit
jener Braut, deren Bild er schon lange im Herzen trug, jenes Verlöbnis, das
ihm in seinem persönlichen Leben eine unerschöpfliche Quelle seligster Freude
gewesen ist — das Verlöbnis mit der Armut. Unscheinbar mag uns zunächst
dieses Ereignis dünken. Aber der Lauf der Geschichte hat gelehrt, was es be¬
deutete. Es bedeutete die Entstehung einer neuen, weltgeschichtlichen Macht, einer
Macht, die in den folgenden Jahrzehnten das stolze Gebäude der Kirche vielleicht
vor dem Zusammenbruch gerettet hat; einer Macht, deren Einfluß aber auch wieder
nicht an den Mauern der Kirche ihre Grenze finden sollte. Mit diesem Augen¬
blicke hört nun Franziskus auf, Privatperson zu bleiben. Von jetzt etwa an
gehört er der Kirche, gehört er dem Orden, den er ins Leben rief, und in
diesen Zusammenhängen wollen wir nun weiter sein Leben betrachten.
Höher als je zuvor stand in jenen Jahren die Kirche im Leben der Völker.
Auf dem Stuhle Petri saß Jnnozenz der Dritte, der Geisteserbe Gregors des
Siebenten, aus allen Zeiten der königlichsten Gestalten eine auf dem päpstlichen
Throne. Ausgerüstet mit einem scharfen, umfassenden Geiste und mit eisernem
Willen, hatte er als Siebenunddreißigjähriger die Würde des Statthalters Christi
übernommen, und sein Ziel war die Beugung der Völker unter die römische
Gewalt. Erfolg reihte sich ihm an Erfolg, und durch ihn schien das Ideal
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