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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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politische Briefe aus Sachsen

mit bessern Aussichten für die Wahl aufgestellt werden. Auch wohl in tech¬
nischer Beziehung würden die Proportionalwahlen vereinfacht werden, wenn
die Berechnung und Feststellung jedesmal durch die Kreishauptmannschaften
für ihren Kreis erfolgte, als wenn dies alles in der Zentralinstanz gemacht
werden müßte.

Werden damit auch die Proportionalwahlen einen etwas mehr örtlich ge¬
färbten, sozusagen räumlich gebundnen Charakter erhalten, so würde dies doch
noch immer nicht genügen, sie als einzige Wahlart einzurichten. Vielmehr auch
dann noch würde ich es für wünschenswert halten, sie durch ein rein lokales
System von Wahlen zu ergänzen.

Um zu diesem Ziele zu gelangen, könnte man verschiedne Wege beschreiten.
Die Vorlage der Staatsregierung entscheidet sich für die "Kommunalwahlen" und
lehnt in ausführlicher Begründung das Berufswahlsystem als für das Land zu
kompliziert, wohl nicht mit Unrecht, ab. Alle andern Möglichkeiten werden un-
erörtert gelassen; zu diesen Möglichkeiten hätte aber zweifellos auch gehört, etwa
fünfzig Abgeordnete nach dem jetzigen System und aus Wahlkreisen, die nach
Städten und ländlichen Ortschaften getrennt neu zu ordnen wären, wählen zu
lassen. Ich glaube, daß dies zahlreiche Einwendungen gegen die Vorlage un¬
möglich gemacht haben würde, wenn auch damit die von der Vorlage in Helles
Licht gestellten Vorzüge der sogenannten Kommunalwahlen verloren gegangen
wären. Die Unterscheidung von Stadt und Land für die Wahlen gänzlich und
ohne entsprechenden Ersatz aber fallen zu lassen, dazu werden sich nicht nur
die agrarisch gerichteten Mitglieder der zweiten Kammer, sondern auch zahl¬
reiche andre Politiker nur sehr schwer entschließen, weil diese Unterscheidung
wenigstens in etwas eine sachgemäße berufliche Gliederung der Volksvertretung
gesichert hatte. Also mit einem Worte, ich erachte nicht die Kommunalwahlen,
sondern ganz allgemein auf Grund örtlich abgegrenzter, und wenn irgend
möglich, nach Land- und Stadtgemeinden unterschiedener Wahlkreise vorgenommn?
Wahlen für eine notwendige Ergänzung des Proportionalwahlsystems, und ich
hoffe, daß auf diesem Boden vielleicht eine Verständigung zwischen der Negierung
und der konservativen Partei möglich ist.

Verharrt die Negierung aber unbedingt bei den vorgeschlagnen indirekten
Kommuualwcchlen, so sollte die konservative Partei die Vorlage dennoch nicht
scheitern lassen. Denn noch auf Jahrzehnte hinaus ist völlige Gewähr dafür
geboten, daß hierbei auf Grund der in den Großstädten bestehenden Wahlrechte
und auf Grund des Wahlrechts zu den Bezirksversammlungen wirklich nur
staatserhaltende und überdies im öffentlichen Leben schon geschulte Männer
als Abgeordnete gewählt werden. Allerdings ist es unverständlich, warum man
die Mitglieder der Ratskollegien in den Großstädten nicht als wählbar betrachtet
hat. Die Befürchtung, daß sie die Wahl irgendwie beeinflussen könnten, wie
dies wohl für die NichtWählbarkeit des Amtshauptmanns in den Wahlen der
Bezirksversammlung ausschlaggebend gewesen ist, kommt hier, wie alle Leute,
die den einschlagenden Verhältnissen irgend näher stehn, gewiß bestätigen werden,


politische Briefe aus Sachsen

mit bessern Aussichten für die Wahl aufgestellt werden. Auch wohl in tech¬
nischer Beziehung würden die Proportionalwahlen vereinfacht werden, wenn
die Berechnung und Feststellung jedesmal durch die Kreishauptmannschaften
für ihren Kreis erfolgte, als wenn dies alles in der Zentralinstanz gemacht
werden müßte.

Werden damit auch die Proportionalwahlen einen etwas mehr örtlich ge¬
färbten, sozusagen räumlich gebundnen Charakter erhalten, so würde dies doch
noch immer nicht genügen, sie als einzige Wahlart einzurichten. Vielmehr auch
dann noch würde ich es für wünschenswert halten, sie durch ein rein lokales
System von Wahlen zu ergänzen.

Um zu diesem Ziele zu gelangen, könnte man verschiedne Wege beschreiten.
Die Vorlage der Staatsregierung entscheidet sich für die „Kommunalwahlen" und
lehnt in ausführlicher Begründung das Berufswahlsystem als für das Land zu
kompliziert, wohl nicht mit Unrecht, ab. Alle andern Möglichkeiten werden un-
erörtert gelassen; zu diesen Möglichkeiten hätte aber zweifellos auch gehört, etwa
fünfzig Abgeordnete nach dem jetzigen System und aus Wahlkreisen, die nach
Städten und ländlichen Ortschaften getrennt neu zu ordnen wären, wählen zu
lassen. Ich glaube, daß dies zahlreiche Einwendungen gegen die Vorlage un¬
möglich gemacht haben würde, wenn auch damit die von der Vorlage in Helles
Licht gestellten Vorzüge der sogenannten Kommunalwahlen verloren gegangen
wären. Die Unterscheidung von Stadt und Land für die Wahlen gänzlich und
ohne entsprechenden Ersatz aber fallen zu lassen, dazu werden sich nicht nur
die agrarisch gerichteten Mitglieder der zweiten Kammer, sondern auch zahl¬
reiche andre Politiker nur sehr schwer entschließen, weil diese Unterscheidung
wenigstens in etwas eine sachgemäße berufliche Gliederung der Volksvertretung
gesichert hatte. Also mit einem Worte, ich erachte nicht die Kommunalwahlen,
sondern ganz allgemein auf Grund örtlich abgegrenzter, und wenn irgend
möglich, nach Land- und Stadtgemeinden unterschiedener Wahlkreise vorgenommn?
Wahlen für eine notwendige Ergänzung des Proportionalwahlsystems, und ich
hoffe, daß auf diesem Boden vielleicht eine Verständigung zwischen der Negierung
und der konservativen Partei möglich ist.

Verharrt die Negierung aber unbedingt bei den vorgeschlagnen indirekten
Kommuualwcchlen, so sollte die konservative Partei die Vorlage dennoch nicht
scheitern lassen. Denn noch auf Jahrzehnte hinaus ist völlige Gewähr dafür
geboten, daß hierbei auf Grund der in den Großstädten bestehenden Wahlrechte
und auf Grund des Wahlrechts zu den Bezirksversammlungen wirklich nur
staatserhaltende und überdies im öffentlichen Leben schon geschulte Männer
als Abgeordnete gewählt werden. Allerdings ist es unverständlich, warum man
die Mitglieder der Ratskollegien in den Großstädten nicht als wählbar betrachtet
hat. Die Befürchtung, daß sie die Wahl irgendwie beeinflussen könnten, wie
dies wohl für die NichtWählbarkeit des Amtshauptmanns in den Wahlen der
Bezirksversammlung ausschlaggebend gewesen ist, kommt hier, wie alle Leute,
die den einschlagenden Verhältnissen irgend näher stehn, gewiß bestätigen werden,


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[0561] politische Briefe aus Sachsen mit bessern Aussichten für die Wahl aufgestellt werden. Auch wohl in tech¬ nischer Beziehung würden die Proportionalwahlen vereinfacht werden, wenn die Berechnung und Feststellung jedesmal durch die Kreishauptmannschaften für ihren Kreis erfolgte, als wenn dies alles in der Zentralinstanz gemacht werden müßte. Werden damit auch die Proportionalwahlen einen etwas mehr örtlich ge¬ färbten, sozusagen räumlich gebundnen Charakter erhalten, so würde dies doch noch immer nicht genügen, sie als einzige Wahlart einzurichten. Vielmehr auch dann noch würde ich es für wünschenswert halten, sie durch ein rein lokales System von Wahlen zu ergänzen. Um zu diesem Ziele zu gelangen, könnte man verschiedne Wege beschreiten. Die Vorlage der Staatsregierung entscheidet sich für die „Kommunalwahlen" und lehnt in ausführlicher Begründung das Berufswahlsystem als für das Land zu kompliziert, wohl nicht mit Unrecht, ab. Alle andern Möglichkeiten werden un- erörtert gelassen; zu diesen Möglichkeiten hätte aber zweifellos auch gehört, etwa fünfzig Abgeordnete nach dem jetzigen System und aus Wahlkreisen, die nach Städten und ländlichen Ortschaften getrennt neu zu ordnen wären, wählen zu lassen. Ich glaube, daß dies zahlreiche Einwendungen gegen die Vorlage un¬ möglich gemacht haben würde, wenn auch damit die von der Vorlage in Helles Licht gestellten Vorzüge der sogenannten Kommunalwahlen verloren gegangen wären. Die Unterscheidung von Stadt und Land für die Wahlen gänzlich und ohne entsprechenden Ersatz aber fallen zu lassen, dazu werden sich nicht nur die agrarisch gerichteten Mitglieder der zweiten Kammer, sondern auch zahl¬ reiche andre Politiker nur sehr schwer entschließen, weil diese Unterscheidung wenigstens in etwas eine sachgemäße berufliche Gliederung der Volksvertretung gesichert hatte. Also mit einem Worte, ich erachte nicht die Kommunalwahlen, sondern ganz allgemein auf Grund örtlich abgegrenzter, und wenn irgend möglich, nach Land- und Stadtgemeinden unterschiedener Wahlkreise vorgenommn? Wahlen für eine notwendige Ergänzung des Proportionalwahlsystems, und ich hoffe, daß auf diesem Boden vielleicht eine Verständigung zwischen der Negierung und der konservativen Partei möglich ist. Verharrt die Negierung aber unbedingt bei den vorgeschlagnen indirekten Kommuualwcchlen, so sollte die konservative Partei die Vorlage dennoch nicht scheitern lassen. Denn noch auf Jahrzehnte hinaus ist völlige Gewähr dafür geboten, daß hierbei auf Grund der in den Großstädten bestehenden Wahlrechte und auf Grund des Wahlrechts zu den Bezirksversammlungen wirklich nur staatserhaltende und überdies im öffentlichen Leben schon geschulte Männer als Abgeordnete gewählt werden. Allerdings ist es unverständlich, warum man die Mitglieder der Ratskollegien in den Großstädten nicht als wählbar betrachtet hat. Die Befürchtung, daß sie die Wahl irgendwie beeinflussen könnten, wie dies wohl für die NichtWählbarkeit des Amtshauptmanns in den Wahlen der Bezirksversammlung ausschlaggebend gewesen ist, kommt hier, wie alle Leute, die den einschlagenden Verhältnissen irgend näher stehn, gewiß bestätigen werden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/561>, abgerufen am 01.09.2024.