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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Politische Briefe aus Sachsen

gestaltung, als die Vorlage es will, empfohlen habe, weil es die einzige prak¬
tisch mögliche Form bietet, den meist sozialdemokratisch gesinnten Massen der
Wähler die Erlangung der Mehrheit im Landtage zu versperren. Wenn sich
die Vorlage mit einer absoluten Einkommengrenze (1600 Mark) und einer
Pluralstimme begnügt, so kann sie das, weil sie in den Vertretern der kommu¬
nalen Körperschaften einen weitern Damm gegen eine sozialdemokratische Mehr¬
heit errichtet. Ich hatte es, wie Sie sich entsinnen werden, versucht, ohne
solche komplizierte Gestaltung des Wahlrechts auszukommen, indem ich empfahl,
einem bestimmten Prozentsatz der obersten Steuerzahler jedes Wahlkreises eine
dritte Stimme einzuräumen. Werden die Steuerzahler nach der Höhe ihrer
Leistungen an den Staat, selbstverständlich einschließlich Grundsteuer und Ver¬
mögenssteuer, in der Wählerliste geordnet, und wird den obersten Zweizehnteln
der Wähler drei, den nächsten Dreizehnteln der Wähler zwei und den letzten
Fünfzehnteln eine Stimme eingeräumt, so werden nicht nur die Erwerbsver¬
hältnisse jedes Wahlkreises und der in jedem ganz verschiedne Wert des Ein¬
kommens richtig zur Geltung gebracht, sondern man braucht vor allem keine
weitern Aushilfsmittel, um einer sozialdemokratischen Überflutung des Landtags
vorzubeugen. Sie haben mir schon vorgeworfen, daß das Plutvkratismus
wäre; ich bestreite es aber nach wie vor, sondern nenne es nur Einräumung
eines den Leistungen an den Staat entsprechenden Einflusses an die Wähler.
Nun, wir brauchen ja aber diesen meinen Gedanken nicht weiter zu verfolgen.
Denn wenn, wie es den Anschein hat, die Verhältniswahl schließlich allgemeine
Zustimmung erfährt, dann brauchen wir ein andres Mittel, um eine richtige
Zusammensetzung der Kammer zu gewährleisten, als die dritte Pluralstimme.
Diese Verhältniswahl ist theoretisch in dein Entwurf der Staatsregierung sehr
gut begründet. Man will alle Meinungen im Lande, die vertretungsbedürftig
sind, tatsächlich auch zu einer Vertretung im Landtage gelangen lassen und
macht deshalb mit einem Schlage das ganze Land zu einem einzigen Wahl¬
kreise, dessen sämtliche Stimmen zusammengerechnet werden und für die Stärke
der Parteien in der zweiten Kammer maßgebend sein sollen. Die Befürchtung,
daß damit die besondern Verhältnisse der einzelnen Landesteile nicht genügend
berücksichtigt und vertreten werden, läßt sich allerdings nicht von der Hand
weisen, und es dürfte wohl ernstlich zu erwägen sein, ob man nicht wenigstens
jeden Regierungsbezirk (Kreishauptmannschaft) zu einem gesonderten Wahlbezirk
für die Verhältniswahl macht, sodaß also hierauf die Mandate entsprechend
den Minoritäten und Majoritäten sachgemäß zu verteilen wären. Es will dem
einfachen Manne nicht so leicht in den Kopf, daß die Stimmen der Lausitzer
Freisinnigen den freisinnigen Kandidaten aus dem Vogtlande zugerechnet werden
und umgekehrt, oder daß die konservativen Stimmen aus den Oschatzer und
Döbelner Landbezirken vielleicht nicht hinreichend sind, zwei dort aufgestellten
Kandidaten zum Siege zu verhelfen, weil die Wahlkreise dünn bevölkert sind,
und die in den dicht bevölkerten oder großstädtischen Bezirken aufgestellten
konservativen Männer wesentlich mehr Stimmen auf sich vereinigen und deshalb


Politische Briefe aus Sachsen

gestaltung, als die Vorlage es will, empfohlen habe, weil es die einzige prak¬
tisch mögliche Form bietet, den meist sozialdemokratisch gesinnten Massen der
Wähler die Erlangung der Mehrheit im Landtage zu versperren. Wenn sich
die Vorlage mit einer absoluten Einkommengrenze (1600 Mark) und einer
Pluralstimme begnügt, so kann sie das, weil sie in den Vertretern der kommu¬
nalen Körperschaften einen weitern Damm gegen eine sozialdemokratische Mehr¬
heit errichtet. Ich hatte es, wie Sie sich entsinnen werden, versucht, ohne
solche komplizierte Gestaltung des Wahlrechts auszukommen, indem ich empfahl,
einem bestimmten Prozentsatz der obersten Steuerzahler jedes Wahlkreises eine
dritte Stimme einzuräumen. Werden die Steuerzahler nach der Höhe ihrer
Leistungen an den Staat, selbstverständlich einschließlich Grundsteuer und Ver¬
mögenssteuer, in der Wählerliste geordnet, und wird den obersten Zweizehnteln
der Wähler drei, den nächsten Dreizehnteln der Wähler zwei und den letzten
Fünfzehnteln eine Stimme eingeräumt, so werden nicht nur die Erwerbsver¬
hältnisse jedes Wahlkreises und der in jedem ganz verschiedne Wert des Ein¬
kommens richtig zur Geltung gebracht, sondern man braucht vor allem keine
weitern Aushilfsmittel, um einer sozialdemokratischen Überflutung des Landtags
vorzubeugen. Sie haben mir schon vorgeworfen, daß das Plutvkratismus
wäre; ich bestreite es aber nach wie vor, sondern nenne es nur Einräumung
eines den Leistungen an den Staat entsprechenden Einflusses an die Wähler.
Nun, wir brauchen ja aber diesen meinen Gedanken nicht weiter zu verfolgen.
Denn wenn, wie es den Anschein hat, die Verhältniswahl schließlich allgemeine
Zustimmung erfährt, dann brauchen wir ein andres Mittel, um eine richtige
Zusammensetzung der Kammer zu gewährleisten, als die dritte Pluralstimme.
Diese Verhältniswahl ist theoretisch in dein Entwurf der Staatsregierung sehr
gut begründet. Man will alle Meinungen im Lande, die vertretungsbedürftig
sind, tatsächlich auch zu einer Vertretung im Landtage gelangen lassen und
macht deshalb mit einem Schlage das ganze Land zu einem einzigen Wahl¬
kreise, dessen sämtliche Stimmen zusammengerechnet werden und für die Stärke
der Parteien in der zweiten Kammer maßgebend sein sollen. Die Befürchtung,
daß damit die besondern Verhältnisse der einzelnen Landesteile nicht genügend
berücksichtigt und vertreten werden, läßt sich allerdings nicht von der Hand
weisen, und es dürfte wohl ernstlich zu erwägen sein, ob man nicht wenigstens
jeden Regierungsbezirk (Kreishauptmannschaft) zu einem gesonderten Wahlbezirk
für die Verhältniswahl macht, sodaß also hierauf die Mandate entsprechend
den Minoritäten und Majoritäten sachgemäß zu verteilen wären. Es will dem
einfachen Manne nicht so leicht in den Kopf, daß die Stimmen der Lausitzer
Freisinnigen den freisinnigen Kandidaten aus dem Vogtlande zugerechnet werden
und umgekehrt, oder daß die konservativen Stimmen aus den Oschatzer und
Döbelner Landbezirken vielleicht nicht hinreichend sind, zwei dort aufgestellten
Kandidaten zum Siege zu verhelfen, weil die Wahlkreise dünn bevölkert sind,
und die in den dicht bevölkerten oder großstädtischen Bezirken aufgestellten
konservativen Männer wesentlich mehr Stimmen auf sich vereinigen und deshalb


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[0560] Politische Briefe aus Sachsen gestaltung, als die Vorlage es will, empfohlen habe, weil es die einzige prak¬ tisch mögliche Form bietet, den meist sozialdemokratisch gesinnten Massen der Wähler die Erlangung der Mehrheit im Landtage zu versperren. Wenn sich die Vorlage mit einer absoluten Einkommengrenze (1600 Mark) und einer Pluralstimme begnügt, so kann sie das, weil sie in den Vertretern der kommu¬ nalen Körperschaften einen weitern Damm gegen eine sozialdemokratische Mehr¬ heit errichtet. Ich hatte es, wie Sie sich entsinnen werden, versucht, ohne solche komplizierte Gestaltung des Wahlrechts auszukommen, indem ich empfahl, einem bestimmten Prozentsatz der obersten Steuerzahler jedes Wahlkreises eine dritte Stimme einzuräumen. Werden die Steuerzahler nach der Höhe ihrer Leistungen an den Staat, selbstverständlich einschließlich Grundsteuer und Ver¬ mögenssteuer, in der Wählerliste geordnet, und wird den obersten Zweizehnteln der Wähler drei, den nächsten Dreizehnteln der Wähler zwei und den letzten Fünfzehnteln eine Stimme eingeräumt, so werden nicht nur die Erwerbsver¬ hältnisse jedes Wahlkreises und der in jedem ganz verschiedne Wert des Ein¬ kommens richtig zur Geltung gebracht, sondern man braucht vor allem keine weitern Aushilfsmittel, um einer sozialdemokratischen Überflutung des Landtags vorzubeugen. Sie haben mir schon vorgeworfen, daß das Plutvkratismus wäre; ich bestreite es aber nach wie vor, sondern nenne es nur Einräumung eines den Leistungen an den Staat entsprechenden Einflusses an die Wähler. Nun, wir brauchen ja aber diesen meinen Gedanken nicht weiter zu verfolgen. Denn wenn, wie es den Anschein hat, die Verhältniswahl schließlich allgemeine Zustimmung erfährt, dann brauchen wir ein andres Mittel, um eine richtige Zusammensetzung der Kammer zu gewährleisten, als die dritte Pluralstimme. Diese Verhältniswahl ist theoretisch in dein Entwurf der Staatsregierung sehr gut begründet. Man will alle Meinungen im Lande, die vertretungsbedürftig sind, tatsächlich auch zu einer Vertretung im Landtage gelangen lassen und macht deshalb mit einem Schlage das ganze Land zu einem einzigen Wahl¬ kreise, dessen sämtliche Stimmen zusammengerechnet werden und für die Stärke der Parteien in der zweiten Kammer maßgebend sein sollen. Die Befürchtung, daß damit die besondern Verhältnisse der einzelnen Landesteile nicht genügend berücksichtigt und vertreten werden, läßt sich allerdings nicht von der Hand weisen, und es dürfte wohl ernstlich zu erwägen sein, ob man nicht wenigstens jeden Regierungsbezirk (Kreishauptmannschaft) zu einem gesonderten Wahlbezirk für die Verhältniswahl macht, sodaß also hierauf die Mandate entsprechend den Minoritäten und Majoritäten sachgemäß zu verteilen wären. Es will dem einfachen Manne nicht so leicht in den Kopf, daß die Stimmen der Lausitzer Freisinnigen den freisinnigen Kandidaten aus dem Vogtlande zugerechnet werden und umgekehrt, oder daß die konservativen Stimmen aus den Oschatzer und Döbelner Landbezirken vielleicht nicht hinreichend sind, zwei dort aufgestellten Kandidaten zum Siege zu verhelfen, weil die Wahlkreise dünn bevölkert sind, und die in den dicht bevölkerten oder großstädtischen Bezirken aufgestellten konservativen Männer wesentlich mehr Stimmen auf sich vereinigen und deshalb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/560>, abgerufen am 01.09.2024.