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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Aonfession und Wirtschaftsleben

Menschen, wird nach Möglichkeit verhindert, Fremde und Vagabunden werden
abgeschoben. Das Ziel der Arbeit ist, wie für die mittelalterliche Wirtschafts¬
lehre, das Auskommen und das Übrighabcn für Liebcszwecke. Der Reichtum
und Überfluß ist volkswirtschaftlich erwünscht, aber kein Ziel für das Individuum.
Es ist nicht bloß der überwiegend agrarische Charakter des Luthertums und
der Boden unentwickelter wirtschaftlicher Verhältnisse, der sich in dem Ausschluß
oder der äußerste" Einschränkung der Zinses äußert. Es ist die religiös-ethische
Abneigung des Asketismus gegen den Besitz und seine Gefahren, die hier vor
allem wirkt. Die Pflege des innern Menschen und des Gefühlslebens, die
Verwerfung der sündigen Welt und ihrer Versuchungen läßt trotz manchen
incrkantilistischen Versuchen der Obrigkeiten den Geist des Kapitalismus nicht
aufkomme". Eine so schriftlich-patriarchalisch, wie das später bezeichnet wirdj
erzogne Bevölkerung stellt gute Beamte, gute Untertanen, gute Soldaten und
willige Arbeiter, aber sie bringt keine Initiative und Planmäßigkeit des
individuellen wirtschaftlichen Handelns hervor. Es ist eine sonderbare Ver¬
schränkung gegenüber dem Calvinismus. Ist dieser in seiner puritanischen
Strenge dem Vergnügen und dem Lebensgenuß viel feindlicher als das Luther¬
tum, so ist wiederum die Askese des Luthertums der Entwicklung der modernen
Wirtschaft und des Kapitalismus, der Technik und der Unternehmungslust viel
feindlicher als der Calvinismus, der diese Dinge für das Gedeihen des christ¬
lichen Gemeinwesens benutzen zu müssen meint. Hier wirken Mittelalter und
kanonisches Recht im Luthertum fort, während der Calvinismus es hier scharf
durchbrochen hat, um an andern Punkten um so schroffer alte Wege zu gehn."

Daß der Kapitalismus bei den Calvinisten entstanden und heute in den
von ihnen beeinflußten Ländern am vollkommensten ausgebildet ist, hat man
jn schon immer gewußt, aber erst Max Weber hat in seiner klassischen Ab-
handlung*) klar gemacht, daß es wirklich der Glaube Calvins gewesen ist, der
den Geist des Kapitalismus, und damit diesen selbst, erzeugt, und wie er das
zustande gebracht hat. Jn einem sehr verwickelten Prozeß ist es geschehen;
wer diesen wirklich verstehen will, muß Webers Essay studieren; hier können
nur Andeutungen gegeben werden. Zur Charakteristik des kapitalistischen Geistes
führt Weber Stellen aus Mahnungen Benjamin Franklins an. Hier nnr einige
Worte daraus! "Bedenke, daß die Zeit Geld ist, daß Kredit Geld ist, daß Geld
von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist. Wer nutzlos Zeit im
Werte von 5 Schillingen vergeudet, verliert 5 Schillinge und könnte ebensogut
5 Schillinge ins Meer werfen. Wer 5 Schillinge verliert, verliert nicht nur
diese Summe, sondern alles, was damit bei Verwendung im Gewerbe hätte
verdient werden können, was, wenn ein junger Mann ein höheres Alter er¬
reicht, zu einer ganz bedeutenden Summe aufläuft." Das ist noch nicht der



*) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus im 20. und 21. Bande des
Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 190S.
Aonfession und Wirtschaftsleben

Menschen, wird nach Möglichkeit verhindert, Fremde und Vagabunden werden
abgeschoben. Das Ziel der Arbeit ist, wie für die mittelalterliche Wirtschafts¬
lehre, das Auskommen und das Übrighabcn für Liebcszwecke. Der Reichtum
und Überfluß ist volkswirtschaftlich erwünscht, aber kein Ziel für das Individuum.
Es ist nicht bloß der überwiegend agrarische Charakter des Luthertums und
der Boden unentwickelter wirtschaftlicher Verhältnisse, der sich in dem Ausschluß
oder der äußerste» Einschränkung der Zinses äußert. Es ist die religiös-ethische
Abneigung des Asketismus gegen den Besitz und seine Gefahren, die hier vor
allem wirkt. Die Pflege des innern Menschen und des Gefühlslebens, die
Verwerfung der sündigen Welt und ihrer Versuchungen läßt trotz manchen
incrkantilistischen Versuchen der Obrigkeiten den Geist des Kapitalismus nicht
aufkomme». Eine so schriftlich-patriarchalisch, wie das später bezeichnet wirdj
erzogne Bevölkerung stellt gute Beamte, gute Untertanen, gute Soldaten und
willige Arbeiter, aber sie bringt keine Initiative und Planmäßigkeit des
individuellen wirtschaftlichen Handelns hervor. Es ist eine sonderbare Ver¬
schränkung gegenüber dem Calvinismus. Ist dieser in seiner puritanischen
Strenge dem Vergnügen und dem Lebensgenuß viel feindlicher als das Luther¬
tum, so ist wiederum die Askese des Luthertums der Entwicklung der modernen
Wirtschaft und des Kapitalismus, der Technik und der Unternehmungslust viel
feindlicher als der Calvinismus, der diese Dinge für das Gedeihen des christ¬
lichen Gemeinwesens benutzen zu müssen meint. Hier wirken Mittelalter und
kanonisches Recht im Luthertum fort, während der Calvinismus es hier scharf
durchbrochen hat, um an andern Punkten um so schroffer alte Wege zu gehn."

Daß der Kapitalismus bei den Calvinisten entstanden und heute in den
von ihnen beeinflußten Ländern am vollkommensten ausgebildet ist, hat man
jn schon immer gewußt, aber erst Max Weber hat in seiner klassischen Ab-
handlung*) klar gemacht, daß es wirklich der Glaube Calvins gewesen ist, der
den Geist des Kapitalismus, und damit diesen selbst, erzeugt, und wie er das
zustande gebracht hat. Jn einem sehr verwickelten Prozeß ist es geschehen;
wer diesen wirklich verstehen will, muß Webers Essay studieren; hier können
nur Andeutungen gegeben werden. Zur Charakteristik des kapitalistischen Geistes
führt Weber Stellen aus Mahnungen Benjamin Franklins an. Hier nnr einige
Worte daraus! „Bedenke, daß die Zeit Geld ist, daß Kredit Geld ist, daß Geld
von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist. Wer nutzlos Zeit im
Werte von 5 Schillingen vergeudet, verliert 5 Schillinge und könnte ebensogut
5 Schillinge ins Meer werfen. Wer 5 Schillinge verliert, verliert nicht nur
diese Summe, sondern alles, was damit bei Verwendung im Gewerbe hätte
verdient werden können, was, wenn ein junger Mann ein höheres Alter er¬
reicht, zu einer ganz bedeutenden Summe aufläuft." Das ist noch nicht der



*) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus im 20. und 21. Bande des
Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 190S.
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[0516] Aonfession und Wirtschaftsleben Menschen, wird nach Möglichkeit verhindert, Fremde und Vagabunden werden abgeschoben. Das Ziel der Arbeit ist, wie für die mittelalterliche Wirtschafts¬ lehre, das Auskommen und das Übrighabcn für Liebcszwecke. Der Reichtum und Überfluß ist volkswirtschaftlich erwünscht, aber kein Ziel für das Individuum. Es ist nicht bloß der überwiegend agrarische Charakter des Luthertums und der Boden unentwickelter wirtschaftlicher Verhältnisse, der sich in dem Ausschluß oder der äußerste» Einschränkung der Zinses äußert. Es ist die religiös-ethische Abneigung des Asketismus gegen den Besitz und seine Gefahren, die hier vor allem wirkt. Die Pflege des innern Menschen und des Gefühlslebens, die Verwerfung der sündigen Welt und ihrer Versuchungen läßt trotz manchen incrkantilistischen Versuchen der Obrigkeiten den Geist des Kapitalismus nicht aufkomme». Eine so schriftlich-patriarchalisch, wie das später bezeichnet wirdj erzogne Bevölkerung stellt gute Beamte, gute Untertanen, gute Soldaten und willige Arbeiter, aber sie bringt keine Initiative und Planmäßigkeit des individuellen wirtschaftlichen Handelns hervor. Es ist eine sonderbare Ver¬ schränkung gegenüber dem Calvinismus. Ist dieser in seiner puritanischen Strenge dem Vergnügen und dem Lebensgenuß viel feindlicher als das Luther¬ tum, so ist wiederum die Askese des Luthertums der Entwicklung der modernen Wirtschaft und des Kapitalismus, der Technik und der Unternehmungslust viel feindlicher als der Calvinismus, der diese Dinge für das Gedeihen des christ¬ lichen Gemeinwesens benutzen zu müssen meint. Hier wirken Mittelalter und kanonisches Recht im Luthertum fort, während der Calvinismus es hier scharf durchbrochen hat, um an andern Punkten um so schroffer alte Wege zu gehn." Daß der Kapitalismus bei den Calvinisten entstanden und heute in den von ihnen beeinflußten Ländern am vollkommensten ausgebildet ist, hat man jn schon immer gewußt, aber erst Max Weber hat in seiner klassischen Ab- handlung*) klar gemacht, daß es wirklich der Glaube Calvins gewesen ist, der den Geist des Kapitalismus, und damit diesen selbst, erzeugt, und wie er das zustande gebracht hat. Jn einem sehr verwickelten Prozeß ist es geschehen; wer diesen wirklich verstehen will, muß Webers Essay studieren; hier können nur Andeutungen gegeben werden. Zur Charakteristik des kapitalistischen Geistes führt Weber Stellen aus Mahnungen Benjamin Franklins an. Hier nnr einige Worte daraus! „Bedenke, daß die Zeit Geld ist, daß Kredit Geld ist, daß Geld von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist. Wer nutzlos Zeit im Werte von 5 Schillingen vergeudet, verliert 5 Schillinge und könnte ebensogut 5 Schillinge ins Meer werfen. Wer 5 Schillinge verliert, verliert nicht nur diese Summe, sondern alles, was damit bei Verwendung im Gewerbe hätte verdient werden können, was, wenn ein junger Mann ein höheres Alter er¬ reicht, zu einer ganz bedeutenden Summe aufläuft." Das ist noch nicht der *) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus im 20. und 21. Bande des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 190S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/516>, abgerufen am 01.09.2024.