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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Aonfesfion und Wirtschaftsleben

Geld verdient werden kann, oder eine mit Werkzeugen ausgestattete Werkstatt.
Daß ihm diese handgreifliche Widerlegung der das ganze Zeitalter beherrschenden
Ansicht nicht eingefallen ist, wird man ihm bei der Macht herrschender Vor¬
stellungen über die Gemüter um so mehr verzeihen, weil sie auch Luther noch
nicht einzusehen vermocht hat. Die eigentliche Verschuldung des kanonischen
Rechts und der Scholastik besteht darin, daß sie ans gegenwärtigen Verhältnissen
und Zuständen einen allgemeinen Begriff: Unfruchtbarkeit des Geldes ableiteten
und diesem Begriff das gesamte Wirtschaftsleben zu unterwerfen versuchten.
Ähnliches tun zwar andre Leute auch, zum Beispiel die heutigen Marxisten,
und auf andern Gebieten, besonders in der Politik, doch auch in den Natur¬
wissenschaften, kommt dergleichen vor; es gibt eben immer und überall Doktrinäre.
Im vorliegenden Falle wirkte jedoch der Doktrinarismus oder Scholästizismus
ganz besonders schädlich, weil sich die Kirche des allgemeinen Begriffs be¬
mächtigte, ihn zu einem Dogma stempelte, das geglaubt werden müsse, und auf
Grund dieses Dogmas sich anmaßte, dem Wirtschaftsleben Gesetze vorzuschreiben,
dem Verkehr die Bahnen zu weisen für alle Zeiten. Die wirtschaftliche Ent¬
wicklung hat sich natürlich nicht um das Dogma gekümmert, und die Theologen,
die Kanonisten, die Juristen sahen sich aller Augenblicke genötigt, die Theorie
durch eine neue Auslegung dem praktischen Lebensbedürfnis anzupassen. Wilhelm
Endemann hat (in seinen Studien über die romanisch-kanonistische Wirtschafts¬
und Rechtslehre) diesen langen Anpassungsprozeß beschrieben. Schön war er
nicht, denn es gehörten viel Sophismen dazu, das "unerträglich vertunstelte,
das natürliche Rechtsbewußtsein verletzende und die gesunde Entwicklung des
Verkehrs schwer schädigende Konglomerat von Rechtssätzen", das die Folge des
kanonischen Zinsverbots war, aufzubauen und dann Stück für Stück wieder
abzuhauen.

Überschauen wir nun das Ganze, so müssen wir sagen: die thomistische
Lehre greift weder die Grundlagen unsrer heutigen Gesellschaftsordnung an,
noch enthält sie eine Rechtfertigung der Faulheit oder eine Einladung zum
Müßiggang. Nicht irgendeine volkswirtschaftliche Lehre, sondern ein Institut,
das von einem theologischen Dogma empfohlen wurde, hat wirtschaftlichen
Schaden angerichtet. Indem Beschaulichkeit als höchste Vollkommenheit und
das Gebet als eine Leistung fürs Gemeinwesen angepriesen wurde, lag darin
eine Aufforderung an die Faulen, diese bequeme Leistung mühseligern Leistungen
vorzuziehen, und so züchtete die Lehre von dieser Art guter Werke einen Stand
zahlreicher Drohnen. Außerdem wirkte die Lehre von den guten Werken, zu
denen Schenkungen an Kirchen und Klöster gerechnet wurden, mit der Natural¬
wirtschaft, die eine andre Besoldungsart als die Nutzung von Grundstücken
nicht kannte, zusammen, ein Dritten des europäischen Grund und Bodens in den
Besitz der Toten Hand zu bringen, was bei wachsender Bevölkerung die ge¬
sunde wirtschaftliche Entwicklung selbst dann schwer geschädigt haben würde, wenn
der kirchliche Grundbesitz durchweg gut verwaltet worden wäre, und wenn seine


Aonfesfion und Wirtschaftsleben

Geld verdient werden kann, oder eine mit Werkzeugen ausgestattete Werkstatt.
Daß ihm diese handgreifliche Widerlegung der das ganze Zeitalter beherrschenden
Ansicht nicht eingefallen ist, wird man ihm bei der Macht herrschender Vor¬
stellungen über die Gemüter um so mehr verzeihen, weil sie auch Luther noch
nicht einzusehen vermocht hat. Die eigentliche Verschuldung des kanonischen
Rechts und der Scholastik besteht darin, daß sie ans gegenwärtigen Verhältnissen
und Zuständen einen allgemeinen Begriff: Unfruchtbarkeit des Geldes ableiteten
und diesem Begriff das gesamte Wirtschaftsleben zu unterwerfen versuchten.
Ähnliches tun zwar andre Leute auch, zum Beispiel die heutigen Marxisten,
und auf andern Gebieten, besonders in der Politik, doch auch in den Natur¬
wissenschaften, kommt dergleichen vor; es gibt eben immer und überall Doktrinäre.
Im vorliegenden Falle wirkte jedoch der Doktrinarismus oder Scholästizismus
ganz besonders schädlich, weil sich die Kirche des allgemeinen Begriffs be¬
mächtigte, ihn zu einem Dogma stempelte, das geglaubt werden müsse, und auf
Grund dieses Dogmas sich anmaßte, dem Wirtschaftsleben Gesetze vorzuschreiben,
dem Verkehr die Bahnen zu weisen für alle Zeiten. Die wirtschaftliche Ent¬
wicklung hat sich natürlich nicht um das Dogma gekümmert, und die Theologen,
die Kanonisten, die Juristen sahen sich aller Augenblicke genötigt, die Theorie
durch eine neue Auslegung dem praktischen Lebensbedürfnis anzupassen. Wilhelm
Endemann hat (in seinen Studien über die romanisch-kanonistische Wirtschafts¬
und Rechtslehre) diesen langen Anpassungsprozeß beschrieben. Schön war er
nicht, denn es gehörten viel Sophismen dazu, das „unerträglich vertunstelte,
das natürliche Rechtsbewußtsein verletzende und die gesunde Entwicklung des
Verkehrs schwer schädigende Konglomerat von Rechtssätzen", das die Folge des
kanonischen Zinsverbots war, aufzubauen und dann Stück für Stück wieder
abzuhauen.

Überschauen wir nun das Ganze, so müssen wir sagen: die thomistische
Lehre greift weder die Grundlagen unsrer heutigen Gesellschaftsordnung an,
noch enthält sie eine Rechtfertigung der Faulheit oder eine Einladung zum
Müßiggang. Nicht irgendeine volkswirtschaftliche Lehre, sondern ein Institut,
das von einem theologischen Dogma empfohlen wurde, hat wirtschaftlichen
Schaden angerichtet. Indem Beschaulichkeit als höchste Vollkommenheit und
das Gebet als eine Leistung fürs Gemeinwesen angepriesen wurde, lag darin
eine Aufforderung an die Faulen, diese bequeme Leistung mühseligern Leistungen
vorzuziehen, und so züchtete die Lehre von dieser Art guter Werke einen Stand
zahlreicher Drohnen. Außerdem wirkte die Lehre von den guten Werken, zu
denen Schenkungen an Kirchen und Klöster gerechnet wurden, mit der Natural¬
wirtschaft, die eine andre Besoldungsart als die Nutzung von Grundstücken
nicht kannte, zusammen, ein Dritten des europäischen Grund und Bodens in den
Besitz der Toten Hand zu bringen, was bei wachsender Bevölkerung die ge¬
sunde wirtschaftliche Entwicklung selbst dann schwer geschädigt haben würde, wenn
der kirchliche Grundbesitz durchweg gut verwaltet worden wäre, und wenn seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/514>, abgerufen am 09.01.2025.