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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Burzenzauber

Aber nicht nur Kaiserkronen schimmern im Bergesinnern unter der Burg
Auch reiche Schätze, Gold und Silber, köstliche Gefäße und Gestein funkeln
dort, vor Krieges Gefahr in ein Gewölbe geflüchtet, beim Untergang der Burg
verschüttet oder verzaubert, der Preis des, der sie hebt. Mancherlei Geister
bewachen sie, Jungfrauen, Hunde, schreckliche Getiere, mitunter spaltet sich die
Erde, und die Schätze werden sichtbar, ein Flammenschein tanzt über der Stelle,
Rauch wallt auf, köstlicher Wein liegt im Keller "in der eignen Haut". Eine
weiße Frau geht um; erscheint sie, so zeigt sich etwas an, hier Unheil, dort
Glück, überall aber ist sie Verkünderin eines bevorstehenden besondern Ereig¬
nisses. So zahlreich sind die Sagen von ihrem Weben, daß "die weiße Frau"
ein stehender, fest umschriebner Begriff in der Sagengeschichte der Schlösser und
Burgen geworden ist. Und wie wir beobachten, daß aller Aufklärung zum
Trotz die Schatzgräbereien bis hoch ins achtzehnte Jahrhundert die Köpfe er¬
regt und die Spaten bewegt haben, so ist der Spuk von der weißen Frau nicht
aus den gebräuchlichsten und liebsten Sagenvorstellungen unsers Volkes ge¬
wichen, sondern hat sich fast überall, wo Schlösser und Burgen ragen, erhalten,
und hinter der weißen Frau ziehen in gespenstischem Zuge die Geister aller
Ruhelosen, Verwünschten, die zahllos auch in Burgruinen umgehen, bis der
rechte Mann zur rechten Zeit das rechte Wort der Erlösung findet.

Auch der bildende Künstler hatte, solange die Burg bewohnt stand, keine
Veranlassung, in ihr eine besonders wertvolle Staffage für seine Darstellungen
zu sehen, zumal da die religiösen Motive die landschaftlichen völlig zurück¬
drängten. Erst Albrecht Dürer hat die Burg und die Ruine als wirkungs¬
volles Mittel, den Hintergrund zu beleben, eingeführt oder sie wohl gar zum
Schauplatz seiner Bilder gemacht. Von da an vermögen wir dann in einer
reichen Zahl von Kunstwerken, auf Gemälden und Altarflügeln, dem Burgen¬
bild zu begegnen, meist freilich nur als fast selbstverständlichen Abschluß der
Berggipfel und der Kuppen in der deutschen Landschaft, dessen wir aber wohl
entraten könnten, ohne diese hierdurch zu schädigen. Anders aber steht es da,
wo die ragende oder die verfallne Burg einen unentbehrlichen Bestandteil des
Kunstwerks bedeutet, sei es, daß ihr architektonisches Bild, sei es, daß ihr
romantischer Reiz dargestellt werden soll. Das erste Ziel verfolgt eine Reihe
von Burgenabbildungen in den bekannten Jllnstrationswerken von Münster,
Meisner, Dilich, Merian und im 1d.6g,drum Luroxg.6um, deren Ruhm als natur¬
getreue Abbildungen freilich neuerdings zum Teil erblaßt ist, das letzte ist die
beliebte Aufgabe einer Anzahl Meister vornehmlich des neunzehnten Jahr¬
hunderts gewesen.

Wer zum Beispiel je eine Schwindmappe durchgeblättert hat, fühlt bald
heraus, wie lebendig der Meister den Burgenzauber empfunden haben muß, den
er so reizvoll darzustellen weiß, einerlei, ob ein liebendes Paar im Nachen an der
Ruine vorübergleitet, ob wir den durch seine Doppelehe bekannten Grafen von
Gleichen bei seiner Heimkunft nach langer Fahrt empfangen helfen oder des


Burzenzauber

Aber nicht nur Kaiserkronen schimmern im Bergesinnern unter der Burg
Auch reiche Schätze, Gold und Silber, köstliche Gefäße und Gestein funkeln
dort, vor Krieges Gefahr in ein Gewölbe geflüchtet, beim Untergang der Burg
verschüttet oder verzaubert, der Preis des, der sie hebt. Mancherlei Geister
bewachen sie, Jungfrauen, Hunde, schreckliche Getiere, mitunter spaltet sich die
Erde, und die Schätze werden sichtbar, ein Flammenschein tanzt über der Stelle,
Rauch wallt auf, köstlicher Wein liegt im Keller „in der eignen Haut". Eine
weiße Frau geht um; erscheint sie, so zeigt sich etwas an, hier Unheil, dort
Glück, überall aber ist sie Verkünderin eines bevorstehenden besondern Ereig¬
nisses. So zahlreich sind die Sagen von ihrem Weben, daß „die weiße Frau"
ein stehender, fest umschriebner Begriff in der Sagengeschichte der Schlösser und
Burgen geworden ist. Und wie wir beobachten, daß aller Aufklärung zum
Trotz die Schatzgräbereien bis hoch ins achtzehnte Jahrhundert die Köpfe er¬
regt und die Spaten bewegt haben, so ist der Spuk von der weißen Frau nicht
aus den gebräuchlichsten und liebsten Sagenvorstellungen unsers Volkes ge¬
wichen, sondern hat sich fast überall, wo Schlösser und Burgen ragen, erhalten,
und hinter der weißen Frau ziehen in gespenstischem Zuge die Geister aller
Ruhelosen, Verwünschten, die zahllos auch in Burgruinen umgehen, bis der
rechte Mann zur rechten Zeit das rechte Wort der Erlösung findet.

Auch der bildende Künstler hatte, solange die Burg bewohnt stand, keine
Veranlassung, in ihr eine besonders wertvolle Staffage für seine Darstellungen
zu sehen, zumal da die religiösen Motive die landschaftlichen völlig zurück¬
drängten. Erst Albrecht Dürer hat die Burg und die Ruine als wirkungs¬
volles Mittel, den Hintergrund zu beleben, eingeführt oder sie wohl gar zum
Schauplatz seiner Bilder gemacht. Von da an vermögen wir dann in einer
reichen Zahl von Kunstwerken, auf Gemälden und Altarflügeln, dem Burgen¬
bild zu begegnen, meist freilich nur als fast selbstverständlichen Abschluß der
Berggipfel und der Kuppen in der deutschen Landschaft, dessen wir aber wohl
entraten könnten, ohne diese hierdurch zu schädigen. Anders aber steht es da,
wo die ragende oder die verfallne Burg einen unentbehrlichen Bestandteil des
Kunstwerks bedeutet, sei es, daß ihr architektonisches Bild, sei es, daß ihr
romantischer Reiz dargestellt werden soll. Das erste Ziel verfolgt eine Reihe
von Burgenabbildungen in den bekannten Jllnstrationswerken von Münster,
Meisner, Dilich, Merian und im 1d.6g,drum Luroxg.6um, deren Ruhm als natur¬
getreue Abbildungen freilich neuerdings zum Teil erblaßt ist, das letzte ist die
beliebte Aufgabe einer Anzahl Meister vornehmlich des neunzehnten Jahr¬
hunderts gewesen.

Wer zum Beispiel je eine Schwindmappe durchgeblättert hat, fühlt bald
heraus, wie lebendig der Meister den Burgenzauber empfunden haben muß, den
er so reizvoll darzustellen weiß, einerlei, ob ein liebendes Paar im Nachen an der
Ruine vorübergleitet, ob wir den durch seine Doppelehe bekannten Grafen von
Gleichen bei seiner Heimkunft nach langer Fahrt empfangen helfen oder des


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[0464] Burzenzauber Aber nicht nur Kaiserkronen schimmern im Bergesinnern unter der Burg Auch reiche Schätze, Gold und Silber, köstliche Gefäße und Gestein funkeln dort, vor Krieges Gefahr in ein Gewölbe geflüchtet, beim Untergang der Burg verschüttet oder verzaubert, der Preis des, der sie hebt. Mancherlei Geister bewachen sie, Jungfrauen, Hunde, schreckliche Getiere, mitunter spaltet sich die Erde, und die Schätze werden sichtbar, ein Flammenschein tanzt über der Stelle, Rauch wallt auf, köstlicher Wein liegt im Keller „in der eignen Haut". Eine weiße Frau geht um; erscheint sie, so zeigt sich etwas an, hier Unheil, dort Glück, überall aber ist sie Verkünderin eines bevorstehenden besondern Ereig¬ nisses. So zahlreich sind die Sagen von ihrem Weben, daß „die weiße Frau" ein stehender, fest umschriebner Begriff in der Sagengeschichte der Schlösser und Burgen geworden ist. Und wie wir beobachten, daß aller Aufklärung zum Trotz die Schatzgräbereien bis hoch ins achtzehnte Jahrhundert die Köpfe er¬ regt und die Spaten bewegt haben, so ist der Spuk von der weißen Frau nicht aus den gebräuchlichsten und liebsten Sagenvorstellungen unsers Volkes ge¬ wichen, sondern hat sich fast überall, wo Schlösser und Burgen ragen, erhalten, und hinter der weißen Frau ziehen in gespenstischem Zuge die Geister aller Ruhelosen, Verwünschten, die zahllos auch in Burgruinen umgehen, bis der rechte Mann zur rechten Zeit das rechte Wort der Erlösung findet. Auch der bildende Künstler hatte, solange die Burg bewohnt stand, keine Veranlassung, in ihr eine besonders wertvolle Staffage für seine Darstellungen zu sehen, zumal da die religiösen Motive die landschaftlichen völlig zurück¬ drängten. Erst Albrecht Dürer hat die Burg und die Ruine als wirkungs¬ volles Mittel, den Hintergrund zu beleben, eingeführt oder sie wohl gar zum Schauplatz seiner Bilder gemacht. Von da an vermögen wir dann in einer reichen Zahl von Kunstwerken, auf Gemälden und Altarflügeln, dem Burgen¬ bild zu begegnen, meist freilich nur als fast selbstverständlichen Abschluß der Berggipfel und der Kuppen in der deutschen Landschaft, dessen wir aber wohl entraten könnten, ohne diese hierdurch zu schädigen. Anders aber steht es da, wo die ragende oder die verfallne Burg einen unentbehrlichen Bestandteil des Kunstwerks bedeutet, sei es, daß ihr architektonisches Bild, sei es, daß ihr romantischer Reiz dargestellt werden soll. Das erste Ziel verfolgt eine Reihe von Burgenabbildungen in den bekannten Jllnstrationswerken von Münster, Meisner, Dilich, Merian und im 1d.6g,drum Luroxg.6um, deren Ruhm als natur¬ getreue Abbildungen freilich neuerdings zum Teil erblaßt ist, das letzte ist die beliebte Aufgabe einer Anzahl Meister vornehmlich des neunzehnten Jahr¬ hunderts gewesen. Wer zum Beispiel je eine Schwindmappe durchgeblättert hat, fühlt bald heraus, wie lebendig der Meister den Burgenzauber empfunden haben muß, den er so reizvoll darzustellen weiß, einerlei, ob ein liebendes Paar im Nachen an der Ruine vorübergleitet, ob wir den durch seine Doppelehe bekannten Grafen von Gleichen bei seiner Heimkunft nach langer Fahrt empfangen helfen oder des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/464>, abgerufen am 01.09.2024.