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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Konfession und Wirtschaftsleben

selten, in denen der Mensch verliert werde. In der Schrift <Zs rexiiniok
xrinoixuin. kommen einige interessante Bemerkungen über den Einfluß des
Klimas auf den Menschen vor -- allerdings in den Teilen, die nicht mehr
von Thomas selbst stammen (dieser hat nach Maurenbrecher nur das erste Buch
und die ersten vier Kapitel des zweiten verfaßt; das übrige haben Unbekannte
in der Absicht, das im ersten Buch aufgestellte Programm auszuführen, hinzu¬
gefügt; sie haben aber doch jedenfalls Ansichten ausgesprochen, die ihren Zeit¬
genossen geläufig waren, und die wahrscheinlich auch von Thomas selbst ge¬
teilt wurden). Es heißt da unter andern:, die Menschen seien nach Himmels¬
strichen verschieden: die einen für ein Leben in Freiheit, die andern für ein
Leben in Knechtschaft disponiert. Und an einer andern Stelle: wenn Pflanzen
und Tiere in ein andres Land verpflanzt würden, so nähmen sie dessen Natur
an. Ebenso verhalte es sich mit den Menschen. "Gallier" seien in drei
Schichten nach Sizilien versetzt worden: in der Zeit Karls des Großen, mit
Robert Guiscard und "in unsrer Zeit" (durch Karl von Anjou). Diese alle
hätten die Art der Sizilianer angenommen, ipsorum (Livuloruiv.) iindusruut
uawriim. Nach der Natur des Landes, die eben auch die Natur seiner Be¬
wohner ist, muß nun, meint der anonyme Theologe, die Negierung eingerichtet
werden. Knechtische Völker müssen absolutistisch (prineipaw clespotioo) oder
wenigstens monarchisch regiert werden; solche von männlichem Geist und mutigen
Herzen dagegen, die zugleich auf ihre eigne Einsicht vertrauen, können nicht
anders als in einer republikanischen Verfassung (vrinoixg.w xolitioo) leben, zu
der auch die Aristokratie zu rechnen ist. Diese Verfassung blüht besonders in
Italien, das immer schwer zu unterjochen war; wollen es Alleinherrscher
regieren, so müssen sie tyrannische Mittel anwenden (t^rimniiiarö). Darum
haben die Inseln, die immer Monarchien waren, immer Tyrannen gehabt;
Oberitalien kann von Fürsten nur regiert werden, solange sie Tyrannen sind,
ausgenommen Venedig, dessen nox ein gemäßigtes Regiment führt.

Kehren wir von dieser Abschweifung noch einmal zur Sklaverei zurück, so
ist als letztes und entscheidendes beizufügen, daß Thomas doch in andern
Schriften, namentlich in der theologischen Summa, den Kernpunkt der aristo¬
telischen Theorie, die Herabwürdigung des Sklaven zum redenden Werkzeug,
entschieden ablehnt. Die Hauptstellen, denen freilich einige der oben ange¬
deuteten zu widersprechen scheinen, lauten: "Der ssrvus wird vom Herrn, der
Untergebene vom Vorgesetzten zum Handeln in Bewegung gesetzt (movsntur),
jedoch in andrer Weise als die vernunftlosen und die unbelebten Wesen von
ihren Bewegern. Denn diese Wesen empfangen den Antrieb (aAuntur) nur
von einem andern, sie selbst treiben sich nicht an, weil ihnen der freie Wille
fehlt, der die Herrschaft über das eigne Handeln ermöglicht, und darum hängt
die Richtigkeit ihres Handelns nicht von ihnen selbst, sondern von ihren Be¬
wegern lmotoriws) ab. Aber die dienenden (ssrvi) Menschen und die Unter¬
gebnen aller Art werden durch Befehle in Bewegung gesetzt, auf die hin sie


Konfession und Wirtschaftsleben

selten, in denen der Mensch verliert werde. In der Schrift <Zs rexiiniok
xrinoixuin. kommen einige interessante Bemerkungen über den Einfluß des
Klimas auf den Menschen vor — allerdings in den Teilen, die nicht mehr
von Thomas selbst stammen (dieser hat nach Maurenbrecher nur das erste Buch
und die ersten vier Kapitel des zweiten verfaßt; das übrige haben Unbekannte
in der Absicht, das im ersten Buch aufgestellte Programm auszuführen, hinzu¬
gefügt; sie haben aber doch jedenfalls Ansichten ausgesprochen, die ihren Zeit¬
genossen geläufig waren, und die wahrscheinlich auch von Thomas selbst ge¬
teilt wurden). Es heißt da unter andern:, die Menschen seien nach Himmels¬
strichen verschieden: die einen für ein Leben in Freiheit, die andern für ein
Leben in Knechtschaft disponiert. Und an einer andern Stelle: wenn Pflanzen
und Tiere in ein andres Land verpflanzt würden, so nähmen sie dessen Natur
an. Ebenso verhalte es sich mit den Menschen. „Gallier" seien in drei
Schichten nach Sizilien versetzt worden: in der Zeit Karls des Großen, mit
Robert Guiscard und „in unsrer Zeit" (durch Karl von Anjou). Diese alle
hätten die Art der Sizilianer angenommen, ipsorum (Livuloruiv.) iindusruut
uawriim. Nach der Natur des Landes, die eben auch die Natur seiner Be¬
wohner ist, muß nun, meint der anonyme Theologe, die Negierung eingerichtet
werden. Knechtische Völker müssen absolutistisch (prineipaw clespotioo) oder
wenigstens monarchisch regiert werden; solche von männlichem Geist und mutigen
Herzen dagegen, die zugleich auf ihre eigne Einsicht vertrauen, können nicht
anders als in einer republikanischen Verfassung (vrinoixg.w xolitioo) leben, zu
der auch die Aristokratie zu rechnen ist. Diese Verfassung blüht besonders in
Italien, das immer schwer zu unterjochen war; wollen es Alleinherrscher
regieren, so müssen sie tyrannische Mittel anwenden (t^rimniiiarö). Darum
haben die Inseln, die immer Monarchien waren, immer Tyrannen gehabt;
Oberitalien kann von Fürsten nur regiert werden, solange sie Tyrannen sind,
ausgenommen Venedig, dessen nox ein gemäßigtes Regiment führt.

Kehren wir von dieser Abschweifung noch einmal zur Sklaverei zurück, so
ist als letztes und entscheidendes beizufügen, daß Thomas doch in andern
Schriften, namentlich in der theologischen Summa, den Kernpunkt der aristo¬
telischen Theorie, die Herabwürdigung des Sklaven zum redenden Werkzeug,
entschieden ablehnt. Die Hauptstellen, denen freilich einige der oben ange¬
deuteten zu widersprechen scheinen, lauten: „Der ssrvus wird vom Herrn, der
Untergebene vom Vorgesetzten zum Handeln in Bewegung gesetzt (movsntur),
jedoch in andrer Weise als die vernunftlosen und die unbelebten Wesen von
ihren Bewegern. Denn diese Wesen empfangen den Antrieb (aAuntur) nur
von einem andern, sie selbst treiben sich nicht an, weil ihnen der freie Wille
fehlt, der die Herrschaft über das eigne Handeln ermöglicht, und darum hängt
die Richtigkeit ihres Handelns nicht von ihnen selbst, sondern von ihren Be¬
wegern lmotoriws) ab. Aber die dienenden (ssrvi) Menschen und die Unter¬
gebnen aller Art werden durch Befehle in Bewegung gesetzt, auf die hin sie


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[0459] Konfession und Wirtschaftsleben selten, in denen der Mensch verliert werde. In der Schrift <Zs rexiiniok xrinoixuin. kommen einige interessante Bemerkungen über den Einfluß des Klimas auf den Menschen vor — allerdings in den Teilen, die nicht mehr von Thomas selbst stammen (dieser hat nach Maurenbrecher nur das erste Buch und die ersten vier Kapitel des zweiten verfaßt; das übrige haben Unbekannte in der Absicht, das im ersten Buch aufgestellte Programm auszuführen, hinzu¬ gefügt; sie haben aber doch jedenfalls Ansichten ausgesprochen, die ihren Zeit¬ genossen geläufig waren, und die wahrscheinlich auch von Thomas selbst ge¬ teilt wurden). Es heißt da unter andern:, die Menschen seien nach Himmels¬ strichen verschieden: die einen für ein Leben in Freiheit, die andern für ein Leben in Knechtschaft disponiert. Und an einer andern Stelle: wenn Pflanzen und Tiere in ein andres Land verpflanzt würden, so nähmen sie dessen Natur an. Ebenso verhalte es sich mit den Menschen. „Gallier" seien in drei Schichten nach Sizilien versetzt worden: in der Zeit Karls des Großen, mit Robert Guiscard und „in unsrer Zeit" (durch Karl von Anjou). Diese alle hätten die Art der Sizilianer angenommen, ipsorum (Livuloruiv.) iindusruut uawriim. Nach der Natur des Landes, die eben auch die Natur seiner Be¬ wohner ist, muß nun, meint der anonyme Theologe, die Negierung eingerichtet werden. Knechtische Völker müssen absolutistisch (prineipaw clespotioo) oder wenigstens monarchisch regiert werden; solche von männlichem Geist und mutigen Herzen dagegen, die zugleich auf ihre eigne Einsicht vertrauen, können nicht anders als in einer republikanischen Verfassung (vrinoixg.w xolitioo) leben, zu der auch die Aristokratie zu rechnen ist. Diese Verfassung blüht besonders in Italien, das immer schwer zu unterjochen war; wollen es Alleinherrscher regieren, so müssen sie tyrannische Mittel anwenden (t^rimniiiarö). Darum haben die Inseln, die immer Monarchien waren, immer Tyrannen gehabt; Oberitalien kann von Fürsten nur regiert werden, solange sie Tyrannen sind, ausgenommen Venedig, dessen nox ein gemäßigtes Regiment führt. Kehren wir von dieser Abschweifung noch einmal zur Sklaverei zurück, so ist als letztes und entscheidendes beizufügen, daß Thomas doch in andern Schriften, namentlich in der theologischen Summa, den Kernpunkt der aristo¬ telischen Theorie, die Herabwürdigung des Sklaven zum redenden Werkzeug, entschieden ablehnt. Die Hauptstellen, denen freilich einige der oben ange¬ deuteten zu widersprechen scheinen, lauten: „Der ssrvus wird vom Herrn, der Untergebene vom Vorgesetzten zum Handeln in Bewegung gesetzt (movsntur), jedoch in andrer Weise als die vernunftlosen und die unbelebten Wesen von ihren Bewegern. Denn diese Wesen empfangen den Antrieb (aAuntur) nur von einem andern, sie selbst treiben sich nicht an, weil ihnen der freie Wille fehlt, der die Herrschaft über das eigne Handeln ermöglicht, und darum hängt die Richtigkeit ihres Handelns nicht von ihnen selbst, sondern von ihren Be¬ wegern lmotoriws) ab. Aber die dienenden (ssrvi) Menschen und die Unter¬ gebnen aller Art werden durch Befehle in Bewegung gesetzt, auf die hin sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/459>, abgerufen am 01.09.2024.