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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Konfession und Wirtschaftsleben

Mittelalter Freilassungen häufig gewesen waren, während sie auch im spanischen
Amerika von den Gesetzen begünstigt wurden, bereitete ihnen in den Süd¬
staaten der Union und im englischen Westindien die Gesetzgebung Schwierig¬
keiten: es standen empfindlich hohe Geldstrafen darauf. (Westermarck, Ursprung
und Entwicklung der Moralbegriffe S. 577 bis 578.)

Ferner hatte Thomas ebenso wie Aristoteles die Sklaverei vor Augen,
und nicht erst seit Hegel pflegt man das Bestehende so lange für das Ver¬
nünftige zu halten, als man nicht selbst darunter leidet. Seit dem achten bis
ins sechzehnte Jahrhundert haben die Sarazenen (vom sechzehnten an die
Türken) alljährlich massenhaft Christen, besonders Knaben und Mädchen, in
die Sklaverei fortgeschleppt -- die Venezianer sogar sich an dem sehr gewinn¬
reichen Sklavenhandel nach der Levante und nach Afrika beteiligt --, und die
Christen vermochten nicht einzusehen, warum sie, wenn sie im Kriege mit den
Mohammedanern Gefangne machten, diesen eine bessere Lage bereiten sollten,
als sich ihre Angehörigen in den Ländern des Islam gefallen lassen mußten.
Es gab darum das ganze Mittelalter hindurch Sarazenen und Neger als
Sklaven in den christlichen Ländern, besonders in Italien in der Zeit, als seine
Handelsstädte mächtig und reich waren und in lebhaftem, bald freundlichem
bald feindlichem Verkehr mit den östlichen und südlichen Küsten des Mittel-
meers standen. Neger waren als Luxussklaven beliebt und hatten es, wie alles
Bedientenvolk, gar nicht schlecht. (Die ersten ausführlichen Nachrichten über
diese Sklaven habe ich in einem Jahrgange des ^rodivio Ltorioo Iwliano ge¬
funden; jetzt veröffentlicht Karl Schneider eine Abhandlung darüber im April¬
heft der von Professor Dr. Julius Wolf herausgegebnen Zeitschrift für Sozial-
wissenschaft.) Daß es nun gerade diese wirklichen Sklaven sind, die Thomas
bei Übernahme der aristotelischen Sklaventheorie meint, hat Maurenbrecher nach¬
gewiesen. Von den verschiednen Klassen ländlicher Hörigen spricht er überhaupt
nicht; bei seiner Geringschätzung des ländlichen Lebens mag er es nicht für
der Mühe wert gehalten haben, sich mit ihnen zu befassen. Oolovi im allge¬
meinen, Lohnarbeiter und Handwerksgesellen aber unterscheidet er ausdrücklich
von den ssrvi. So meint er, der Gläubige dürfe oolonns eines Ungläubigen,
zum Beispiel eines jüdischen Grundherrn, oder winistor eines unchristlichen
g.rtitsx werden, aber nicht S6rv>i8. Denn dieses würde gefährlich sein, weil der
8srvu8 lebenslänglich und mit der Verpflichtung, jeden geforderten Dienst zu
verrichten, dem Herrn untergeben ist, während die Arbeiter der andern beiden
Kategorien nur bestimmte Dienste zu leisten haben und nicht lebenslänglich ge¬
bunden sind. Gelegentlich deutet er an, daß er mit den servi häusliches Ge¬
sinde meint, und er nennt sie Barbaren, das seien die Völkerschaften, die nicht
durch Vernunft, durch Gesetze regiert würden, die es also entweder überhaupt
noch nicht zu einem gesetzlich geordneten Leben gebracht hätten, Wilde, wie wir
sagen, oder unter unvernünftigen Gesetzen lebten. Ein solcher Zustand könne
von dem erschlaffenden heißen Klima herrühren oder von lasterhaften Gewöhn-


Konfession und Wirtschaftsleben

Mittelalter Freilassungen häufig gewesen waren, während sie auch im spanischen
Amerika von den Gesetzen begünstigt wurden, bereitete ihnen in den Süd¬
staaten der Union und im englischen Westindien die Gesetzgebung Schwierig¬
keiten: es standen empfindlich hohe Geldstrafen darauf. (Westermarck, Ursprung
und Entwicklung der Moralbegriffe S. 577 bis 578.)

Ferner hatte Thomas ebenso wie Aristoteles die Sklaverei vor Augen,
und nicht erst seit Hegel pflegt man das Bestehende so lange für das Ver¬
nünftige zu halten, als man nicht selbst darunter leidet. Seit dem achten bis
ins sechzehnte Jahrhundert haben die Sarazenen (vom sechzehnten an die
Türken) alljährlich massenhaft Christen, besonders Knaben und Mädchen, in
die Sklaverei fortgeschleppt — die Venezianer sogar sich an dem sehr gewinn¬
reichen Sklavenhandel nach der Levante und nach Afrika beteiligt —, und die
Christen vermochten nicht einzusehen, warum sie, wenn sie im Kriege mit den
Mohammedanern Gefangne machten, diesen eine bessere Lage bereiten sollten,
als sich ihre Angehörigen in den Ländern des Islam gefallen lassen mußten.
Es gab darum das ganze Mittelalter hindurch Sarazenen und Neger als
Sklaven in den christlichen Ländern, besonders in Italien in der Zeit, als seine
Handelsstädte mächtig und reich waren und in lebhaftem, bald freundlichem
bald feindlichem Verkehr mit den östlichen und südlichen Küsten des Mittel-
meers standen. Neger waren als Luxussklaven beliebt und hatten es, wie alles
Bedientenvolk, gar nicht schlecht. (Die ersten ausführlichen Nachrichten über
diese Sklaven habe ich in einem Jahrgange des ^rodivio Ltorioo Iwliano ge¬
funden; jetzt veröffentlicht Karl Schneider eine Abhandlung darüber im April¬
heft der von Professor Dr. Julius Wolf herausgegebnen Zeitschrift für Sozial-
wissenschaft.) Daß es nun gerade diese wirklichen Sklaven sind, die Thomas
bei Übernahme der aristotelischen Sklaventheorie meint, hat Maurenbrecher nach¬
gewiesen. Von den verschiednen Klassen ländlicher Hörigen spricht er überhaupt
nicht; bei seiner Geringschätzung des ländlichen Lebens mag er es nicht für
der Mühe wert gehalten haben, sich mit ihnen zu befassen. Oolovi im allge¬
meinen, Lohnarbeiter und Handwerksgesellen aber unterscheidet er ausdrücklich
von den ssrvi. So meint er, der Gläubige dürfe oolonns eines Ungläubigen,
zum Beispiel eines jüdischen Grundherrn, oder winistor eines unchristlichen
g.rtitsx werden, aber nicht S6rv>i8. Denn dieses würde gefährlich sein, weil der
8srvu8 lebenslänglich und mit der Verpflichtung, jeden geforderten Dienst zu
verrichten, dem Herrn untergeben ist, während die Arbeiter der andern beiden
Kategorien nur bestimmte Dienste zu leisten haben und nicht lebenslänglich ge¬
bunden sind. Gelegentlich deutet er an, daß er mit den servi häusliches Ge¬
sinde meint, und er nennt sie Barbaren, das seien die Völkerschaften, die nicht
durch Vernunft, durch Gesetze regiert würden, die es also entweder überhaupt
noch nicht zu einem gesetzlich geordneten Leben gebracht hätten, Wilde, wie wir
sagen, oder unter unvernünftigen Gesetzen lebten. Ein solcher Zustand könne
von dem erschlaffenden heißen Klima herrühren oder von lasterhaften Gewöhn-


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[0458] Konfession und Wirtschaftsleben Mittelalter Freilassungen häufig gewesen waren, während sie auch im spanischen Amerika von den Gesetzen begünstigt wurden, bereitete ihnen in den Süd¬ staaten der Union und im englischen Westindien die Gesetzgebung Schwierig¬ keiten: es standen empfindlich hohe Geldstrafen darauf. (Westermarck, Ursprung und Entwicklung der Moralbegriffe S. 577 bis 578.) Ferner hatte Thomas ebenso wie Aristoteles die Sklaverei vor Augen, und nicht erst seit Hegel pflegt man das Bestehende so lange für das Ver¬ nünftige zu halten, als man nicht selbst darunter leidet. Seit dem achten bis ins sechzehnte Jahrhundert haben die Sarazenen (vom sechzehnten an die Türken) alljährlich massenhaft Christen, besonders Knaben und Mädchen, in die Sklaverei fortgeschleppt — die Venezianer sogar sich an dem sehr gewinn¬ reichen Sklavenhandel nach der Levante und nach Afrika beteiligt —, und die Christen vermochten nicht einzusehen, warum sie, wenn sie im Kriege mit den Mohammedanern Gefangne machten, diesen eine bessere Lage bereiten sollten, als sich ihre Angehörigen in den Ländern des Islam gefallen lassen mußten. Es gab darum das ganze Mittelalter hindurch Sarazenen und Neger als Sklaven in den christlichen Ländern, besonders in Italien in der Zeit, als seine Handelsstädte mächtig und reich waren und in lebhaftem, bald freundlichem bald feindlichem Verkehr mit den östlichen und südlichen Küsten des Mittel- meers standen. Neger waren als Luxussklaven beliebt und hatten es, wie alles Bedientenvolk, gar nicht schlecht. (Die ersten ausführlichen Nachrichten über diese Sklaven habe ich in einem Jahrgange des ^rodivio Ltorioo Iwliano ge¬ funden; jetzt veröffentlicht Karl Schneider eine Abhandlung darüber im April¬ heft der von Professor Dr. Julius Wolf herausgegebnen Zeitschrift für Sozial- wissenschaft.) Daß es nun gerade diese wirklichen Sklaven sind, die Thomas bei Übernahme der aristotelischen Sklaventheorie meint, hat Maurenbrecher nach¬ gewiesen. Von den verschiednen Klassen ländlicher Hörigen spricht er überhaupt nicht; bei seiner Geringschätzung des ländlichen Lebens mag er es nicht für der Mühe wert gehalten haben, sich mit ihnen zu befassen. Oolovi im allge¬ meinen, Lohnarbeiter und Handwerksgesellen aber unterscheidet er ausdrücklich von den ssrvi. So meint er, der Gläubige dürfe oolonns eines Ungläubigen, zum Beispiel eines jüdischen Grundherrn, oder winistor eines unchristlichen g.rtitsx werden, aber nicht S6rv>i8. Denn dieses würde gefährlich sein, weil der 8srvu8 lebenslänglich und mit der Verpflichtung, jeden geforderten Dienst zu verrichten, dem Herrn untergeben ist, während die Arbeiter der andern beiden Kategorien nur bestimmte Dienste zu leisten haben und nicht lebenslänglich ge¬ bunden sind. Gelegentlich deutet er an, daß er mit den servi häusliches Ge¬ sinde meint, und er nennt sie Barbaren, das seien die Völkerschaften, die nicht durch Vernunft, durch Gesetze regiert würden, die es also entweder überhaupt noch nicht zu einem gesetzlich geordneten Leben gebracht hätten, Wilde, wie wir sagen, oder unter unvernünftigen Gesetzen lebten. Ein solcher Zustand könne von dem erschlaffenden heißen Klima herrühren oder von lasterhaften Gewöhn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/458>, abgerufen am 01.09.2024.