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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Ägypten im Jahre ^c>^6

Beibehalt der Besetzung, dieser oftmals offen ausgesprochne Wunsch kenn¬
zeichnet am besten die im Lande herrschende Stimmung.

Lord Cromer bezeichnet zwar die Behauptung, die ägyptische nationale
Bewegung sei ausschließlich panislamitischer Natur, als ganz unrichtig, gibt
aber ohne weiteres zu, daß sie vom Pauislamitismus start durchsetzt sei.
Der Pauislamitismus aber strebt eine Vereinigung aller Moslems der ganzen
Welt an zum Zwecke der Herausforderung der christlichen Mächte und des
Widerstandes gegen diese. Von diesem Standpunkt aus muß die Bewegung
von allen europäischen Nationen, die Interessen im Osten haben, mit aufmerk¬
samem Auge verfolgt werden, da sporadische Ausbrüche des Fanatismus in
verschiednen Teilen der Welt durchaus im Bereiche der Möglichkeit liegen.
Stand man aber in Ägypten im letzten Frühjahr recht nahe vor einem solchen
Ausbruch, so hält doch Lord Cromer ernstere Folgen der ganzen Bewegung
für ausgeschlossen, in erster Linie, weil er nicht an einen tatsächlichen Zu¬
sammenhalt und an ein Zusammenarbeiten der ganzen moslemitischen Welt
zu glauben vermag, wenn es sich einmal darum handeln sollte, von Worten
zu Taten überzugehn.

Neben diesem weitern Begriff bedeutet aber Pauislamitismus, auch enger
gefaßt, eine mehr oder weniger vollständige Unterwürfigkeit unter den Sultan.
Und diese Fassung des Begriffs ist für Ägypten die richtigere. Hinzu kommt
dann noch ein Streben nach Wiederauffrischung des Islams im Sinne von
tausend Jahre zurückliegenden Gesetzen und Bestimmungen. Gründe, aufgebaut
auf solchen Betrachtungen und unabhängig von Erwägungen politischer Art
führen dazu, daß alle, denen es mit ägyptischen Reformen ernst ist, den Pan-
islamitismus verdammen müssen. Bei dem berechtigten und notwendigen
Eingehen auf die nationalen Bestrebungen der eingebornen Bevölkerung ist mit
größter Sorge darauf zu achten, daß man nicht in ein rückschrittliches, gefahr¬
bringendes Fahrwasser kommt, da es nicht immer leicht ist, das wahre pan¬
islamitische Gesicht unter der Maske des Nationalismus zu erkennen. Dazu
kommt noch, daß es äußerst fraglich erscheint, inwieweit die sogenannte National¬
partei tatsächlich die Wünsche und Neigungen der Masse des Volkes darstellt.
Sehr häufig haben führende ägyptische Männer dem britischen Generalkonsul
gegenüber Verwahrung eingelegt gegen die Anmaßung eines solchen Namens,
noch dazu durch Leute, die nach der Ansicht jener sich keineswegs immer von
edeln Beweggründen leiten lassen und auch keinerlei Recht darauf haben, als
Vertreter des Volkes zu gelten. Aber die fortschreitende Erziehung des Volkes
hat in einer Menge von Leuten den Ehrgeiz geweckt. Der geringste Fellache
weiß heute, daß er vor dem Gesetz jedem Pascha gleich ist. Ein Geist der
Selbständigkeit hat sich entwickelt. Die besser ausgebildete Jugend verlangt
noch einen größern Anteil an der Regierung und der Verwaltung des Landes
als bisher. Wenn man aber auf der einen Seite dieser Bewegung ihre Be¬
rechtigung nicht absprechen kann, so müssen andrerseits gerade im Anfang einer


Ägypten im Jahre ^c>^6

Beibehalt der Besetzung, dieser oftmals offen ausgesprochne Wunsch kenn¬
zeichnet am besten die im Lande herrschende Stimmung.

Lord Cromer bezeichnet zwar die Behauptung, die ägyptische nationale
Bewegung sei ausschließlich panislamitischer Natur, als ganz unrichtig, gibt
aber ohne weiteres zu, daß sie vom Pauislamitismus start durchsetzt sei.
Der Pauislamitismus aber strebt eine Vereinigung aller Moslems der ganzen
Welt an zum Zwecke der Herausforderung der christlichen Mächte und des
Widerstandes gegen diese. Von diesem Standpunkt aus muß die Bewegung
von allen europäischen Nationen, die Interessen im Osten haben, mit aufmerk¬
samem Auge verfolgt werden, da sporadische Ausbrüche des Fanatismus in
verschiednen Teilen der Welt durchaus im Bereiche der Möglichkeit liegen.
Stand man aber in Ägypten im letzten Frühjahr recht nahe vor einem solchen
Ausbruch, so hält doch Lord Cromer ernstere Folgen der ganzen Bewegung
für ausgeschlossen, in erster Linie, weil er nicht an einen tatsächlichen Zu¬
sammenhalt und an ein Zusammenarbeiten der ganzen moslemitischen Welt
zu glauben vermag, wenn es sich einmal darum handeln sollte, von Worten
zu Taten überzugehn.

Neben diesem weitern Begriff bedeutet aber Pauislamitismus, auch enger
gefaßt, eine mehr oder weniger vollständige Unterwürfigkeit unter den Sultan.
Und diese Fassung des Begriffs ist für Ägypten die richtigere. Hinzu kommt
dann noch ein Streben nach Wiederauffrischung des Islams im Sinne von
tausend Jahre zurückliegenden Gesetzen und Bestimmungen. Gründe, aufgebaut
auf solchen Betrachtungen und unabhängig von Erwägungen politischer Art
führen dazu, daß alle, denen es mit ägyptischen Reformen ernst ist, den Pan-
islamitismus verdammen müssen. Bei dem berechtigten und notwendigen
Eingehen auf die nationalen Bestrebungen der eingebornen Bevölkerung ist mit
größter Sorge darauf zu achten, daß man nicht in ein rückschrittliches, gefahr¬
bringendes Fahrwasser kommt, da es nicht immer leicht ist, das wahre pan¬
islamitische Gesicht unter der Maske des Nationalismus zu erkennen. Dazu
kommt noch, daß es äußerst fraglich erscheint, inwieweit die sogenannte National¬
partei tatsächlich die Wünsche und Neigungen der Masse des Volkes darstellt.
Sehr häufig haben führende ägyptische Männer dem britischen Generalkonsul
gegenüber Verwahrung eingelegt gegen die Anmaßung eines solchen Namens,
noch dazu durch Leute, die nach der Ansicht jener sich keineswegs immer von
edeln Beweggründen leiten lassen und auch keinerlei Recht darauf haben, als
Vertreter des Volkes zu gelten. Aber die fortschreitende Erziehung des Volkes
hat in einer Menge von Leuten den Ehrgeiz geweckt. Der geringste Fellache
weiß heute, daß er vor dem Gesetz jedem Pascha gleich ist. Ein Geist der
Selbständigkeit hat sich entwickelt. Die besser ausgebildete Jugend verlangt
noch einen größern Anteil an der Regierung und der Verwaltung des Landes
als bisher. Wenn man aber auf der einen Seite dieser Bewegung ihre Be¬
rechtigung nicht absprechen kann, so müssen andrerseits gerade im Anfang einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/443>, abgerufen am 01.09.2024.