Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Der Antiquar Heimweh nach der Schieblade des Empireschreibtisches ergriffen, und meist schon Niemand war über diesen plötzlichen Wandel der Dinge erstaunter und er¬ Eines Abends bot sich ihr denn auch die erwünschte Gelegenheit, dem Gespräche Antiquariatsbuchhändler im besten Mannesalter mit kleinem, aber flottgehendem Geschäft Der Antiquar Heimweh nach der Schieblade des Empireschreibtisches ergriffen, und meist schon Niemand war über diesen plötzlichen Wandel der Dinge erstaunter und er¬ Eines Abends bot sich ihr denn auch die erwünschte Gelegenheit, dem Gespräche Antiquariatsbuchhändler im besten Mannesalter mit kleinem, aber flottgehendem Geschäft <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303132"/> <fw type="header" place="top"> Der Antiquar</fw><lb/> <p xml:id="ID_2436" prev="#ID_2435"> Heimweh nach der Schieblade des Empireschreibtisches ergriffen, und meist schon<lb/> am nächsten Morgen tauchte in Seylers Lädchen der Kaufmann auf, der im Hof¬<lb/> durchgang seinen Stand hatte, und verlangte einen alten Liebesbriefsteller, ein<lb/> Traumbuch oder eine Anleitung zu Kartenkunststücken, lauter Bücher, die sich bei<lb/> näherm Zusehen als unbrauchbar erwiesen und mit derselben Schnelligkeit wie ihre<lb/> gelehrten Verwandten den Weg zu Seylers staubigen Regalen zurückfanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2437"> Niemand war über diesen plötzlichen Wandel der Dinge erstaunter und er¬<lb/> freuter als Käthchen, Wären ihre Gedanken weniger mit ihrer eignen Zukunft be¬<lb/> schäftigt gewesen, so würde sie wohl zu der Einsicht gekommen sein, daß der un¬<lb/> erwartete Aufschwung des Geschäfts keineswegs allein auf die gesteigerte Tätigkeit<lb/> und die tatsächlich ein wenig bezähmte Lesewut des Onkels zurückgeführt werden<lb/> konnte. Aber sie weilte mit ihrem Geiste jetzt meist in fernen Gegenden, am Monte<lb/> Cristallo, in Schluderbach oder in Cortina d'Ampezzo, und zwischen die abgegriffnen<lb/> Blättchen des Zettelkatalogs gerieten jetzt häufiger Ansichtspostkarten, auf denen die<lb/> Zinnen der Dolomiten in rosigem Abendscheine über lakonischer aber nicht minder<lb/> feurigen Wandergrüßen glühten. Wie hätte sie da also dem geheimnisvollen Zauber<lb/> nachspüren können, der in gleicher Weise die Regale und die Kasse des Onkels<lb/> füllte! Daß er jetzt, wo sie im Begriffe stand, ihn zu verlassen, auf dem besten<lb/> Wege war, ein „vernünftiger" Mensch, das heißt ein tüchtiger Geschäftsmann zu<lb/> werden, gewährte ihr eine große Befriedigung. Vielleicht kam er auch noch dazu,<lb/> der Pflege seines äußern Menschen etwas mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden, zur<lb/> rechten Zeit an die Mahlzeiten zu denken, der herrschenden Mode ein paar kleine<lb/> Konzessionen zu machen und Haupthaar und Bart öfter verschneiden zu lassen.<lb/> Früher waren ihr dergleichen Äußerlichkeiten nicht aufgefallen, seit sie jedoch den<lb/> Doktor Waetzold kannte, fand sie, daß jedes männliche Wesen mit Umlegekragen,<lb/> langem Gehrock und hängenden Locken eigentlich ein Scheusal sei, und daß zu den<lb/> notwendigsten Requisiten der Manneswürde ein Stehkragen, kurzgeschornes Haar<lb/> und ein flotter Jackettanzug gehörten. Und aus dieser Erkenntnis erwuchs bei der<lb/> Nichte die Überzeugung, daß der Onkel, wie überhaupt jeder ordentliche Mann, zeit¬<lb/> lebens einer ihn sanft leitenden weiblichen Hand bedürfe, und daß es für ihn nur<lb/> eine Rettung vor dem ihm mit ihrem bevorstehenden Weggang drohenden Abgrund<lb/> gänzlicher Verwilderung gäbe, nämlich so bald als möglich selbst zu heiraten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2438"> Eines Abends bot sich ihr denn auch die erwünschte Gelegenheit, dem Gespräche<lb/> die Richtung zu geben, die auf das Thema Heirat führen mußte. Wider Erwarten<lb/> blieb der Onkel bei der Stange, schweifte weder zu den Oden des Horaz noch zu<lb/> den Briefen des jünger« Plinius ab, sondern hörte Katheders Darlegungen mit<lb/> einer Aufmerksamkeit zu, die nur zu deutlich verriet, daß der Gegenstand für ihn<lb/> ein mehr als rein philologisch-antiquarisches Interesse hatte. Daß er schließlich<lb/> aber doch noch sämtliche Gründe und Gegengründe, die Petrarca in seinem Büchlein<lb/> of rsnisciiis ntriusczus tort-unas für und gegen die Ehe ins Feld führt, aufzählte,<lb/> schien der Nichte zu beweisen, der Onkel habe sich selbst schon mit der großen<lb/> Frage eingehend, wenn auch zunächst rein theoretisch, beschäftigt. Wie erstaunte sie<lb/> aber erst, als er dann sein Notizbuch hervorzog und diesem einen mehrfach zu¬<lb/> sammengefalteten Zettel entnahm, auf dem von seiner Hand folgender Entwurf<lb/> eines Heiratsgesuches stand: Mariage.</p><lb/> <p xml:id="ID_2439"> Antiquariatsbuchhändler im besten Mannesalter mit kleinem, aber flottgehendem Geschäft<lb/> sucht, da es ihm an Damenbekanntschaft fehlt, auf diesem Wege eine Lebensgefährtin. Damen<lb/> mit schöner Handschrist, gediegnen Literaturkenntnissen und Verständnis für den Geist des<lb/> klassischen Altertums, wenn auch ohne Vermögen — guterhaltne Witwen nicht ausgeschlossen —,<lb/> belieben ihre Adresse mit einem kurzen Ourrionwin vitas bei der Expedition dös. Bl. unter ^.rs<lb/> aniimäi niederzulegen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0430]
Der Antiquar
Heimweh nach der Schieblade des Empireschreibtisches ergriffen, und meist schon
am nächsten Morgen tauchte in Seylers Lädchen der Kaufmann auf, der im Hof¬
durchgang seinen Stand hatte, und verlangte einen alten Liebesbriefsteller, ein
Traumbuch oder eine Anleitung zu Kartenkunststücken, lauter Bücher, die sich bei
näherm Zusehen als unbrauchbar erwiesen und mit derselben Schnelligkeit wie ihre
gelehrten Verwandten den Weg zu Seylers staubigen Regalen zurückfanden.
Niemand war über diesen plötzlichen Wandel der Dinge erstaunter und er¬
freuter als Käthchen, Wären ihre Gedanken weniger mit ihrer eignen Zukunft be¬
schäftigt gewesen, so würde sie wohl zu der Einsicht gekommen sein, daß der un¬
erwartete Aufschwung des Geschäfts keineswegs allein auf die gesteigerte Tätigkeit
und die tatsächlich ein wenig bezähmte Lesewut des Onkels zurückgeführt werden
konnte. Aber sie weilte mit ihrem Geiste jetzt meist in fernen Gegenden, am Monte
Cristallo, in Schluderbach oder in Cortina d'Ampezzo, und zwischen die abgegriffnen
Blättchen des Zettelkatalogs gerieten jetzt häufiger Ansichtspostkarten, auf denen die
Zinnen der Dolomiten in rosigem Abendscheine über lakonischer aber nicht minder
feurigen Wandergrüßen glühten. Wie hätte sie da also dem geheimnisvollen Zauber
nachspüren können, der in gleicher Weise die Regale und die Kasse des Onkels
füllte! Daß er jetzt, wo sie im Begriffe stand, ihn zu verlassen, auf dem besten
Wege war, ein „vernünftiger" Mensch, das heißt ein tüchtiger Geschäftsmann zu
werden, gewährte ihr eine große Befriedigung. Vielleicht kam er auch noch dazu,
der Pflege seines äußern Menschen etwas mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden, zur
rechten Zeit an die Mahlzeiten zu denken, der herrschenden Mode ein paar kleine
Konzessionen zu machen und Haupthaar und Bart öfter verschneiden zu lassen.
Früher waren ihr dergleichen Äußerlichkeiten nicht aufgefallen, seit sie jedoch den
Doktor Waetzold kannte, fand sie, daß jedes männliche Wesen mit Umlegekragen,
langem Gehrock und hängenden Locken eigentlich ein Scheusal sei, und daß zu den
notwendigsten Requisiten der Manneswürde ein Stehkragen, kurzgeschornes Haar
und ein flotter Jackettanzug gehörten. Und aus dieser Erkenntnis erwuchs bei der
Nichte die Überzeugung, daß der Onkel, wie überhaupt jeder ordentliche Mann, zeit¬
lebens einer ihn sanft leitenden weiblichen Hand bedürfe, und daß es für ihn nur
eine Rettung vor dem ihm mit ihrem bevorstehenden Weggang drohenden Abgrund
gänzlicher Verwilderung gäbe, nämlich so bald als möglich selbst zu heiraten.
Eines Abends bot sich ihr denn auch die erwünschte Gelegenheit, dem Gespräche
die Richtung zu geben, die auf das Thema Heirat führen mußte. Wider Erwarten
blieb der Onkel bei der Stange, schweifte weder zu den Oden des Horaz noch zu
den Briefen des jünger« Plinius ab, sondern hörte Katheders Darlegungen mit
einer Aufmerksamkeit zu, die nur zu deutlich verriet, daß der Gegenstand für ihn
ein mehr als rein philologisch-antiquarisches Interesse hatte. Daß er schließlich
aber doch noch sämtliche Gründe und Gegengründe, die Petrarca in seinem Büchlein
of rsnisciiis ntriusczus tort-unas für und gegen die Ehe ins Feld führt, aufzählte,
schien der Nichte zu beweisen, der Onkel habe sich selbst schon mit der großen
Frage eingehend, wenn auch zunächst rein theoretisch, beschäftigt. Wie erstaunte sie
aber erst, als er dann sein Notizbuch hervorzog und diesem einen mehrfach zu¬
sammengefalteten Zettel entnahm, auf dem von seiner Hand folgender Entwurf
eines Heiratsgesuches stand: Mariage.
Antiquariatsbuchhändler im besten Mannesalter mit kleinem, aber flottgehendem Geschäft
sucht, da es ihm an Damenbekanntschaft fehlt, auf diesem Wege eine Lebensgefährtin. Damen
mit schöner Handschrist, gediegnen Literaturkenntnissen und Verständnis für den Geist des
klassischen Altertums, wenn auch ohne Vermögen — guterhaltne Witwen nicht ausgeschlossen —,
belieben ihre Adresse mit einem kurzen Ourrionwin vitas bei der Expedition dös. Bl. unter ^.rs
aniimäi niederzulegen.
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