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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Über Moskau heimwärts

Duma von Ordensrittern ernsthaft beraten wird, und deren vierte Klasse der
volle General*) mit gleichem Stolz entgegennimmt wie der jüngste Leutnant,
deren dritte Klasse die Auszeichnung für ganz außergewöhnliche Leistungen
darstellt.

Der Große Kremlpalast war seit Beginn des Krieges für die Zwecke des
Roten Kreuzes zur Verfügung gestellt. Tausend bis dreitausend Frauen aller
Stände waren unter dem Protektorat der Großfürstin Ssergius täglich be¬
schäftigt, die Liebesgaben auszupacken, zu Sortieren und nach Bedarf zusammen¬
zustellen. Lange Tische standen in den Sälen mit den verschiedensten Bedarfs¬
artikeln, und unaufhörlich wurden auf dem Hofe große Warmhalten an- und
abgefahren. Die Privatwohltätigkeit hat sich während des Krieges, namentlich
zu Beginn, in glänzendem Lichte gezeigt. Daß sie allmählich und in Moskau
sehr fühlbar nachließ, ist zu verstehn, weil die Begeisterung für den Krieg
nichts weniger als nachhaltig war. Daß in der Presse die sicher vorgekom¬
menen Fülle von Unehrlichkeit dafür als Grund aufgebauscht wurden, ist gleich
töricht, wie sich darüber zu beklagen, daß manche Sendung auf irgendeiner
Station dem Verderben ausgesetzt wurde; das liegt in der harten Notwendigkeit,
die Truppen und das Kriegsmaterial unter allen Umständen bei der Beför¬
derung mit der Eisenbahn zu bevorzugen und ist im Kriege 1870/71 auch
des öftern vorgekommen. Unlust am Kriege war in Moskau aus mancher
Unterhaltung an den Nachbartischen zu entnehmen. Die massenhaft zurück¬
gekehrten Offiziere taten keineswegs immer das ihrige, die Begeisterung zu
heben. Briefe haben das Feldzugselend in sehr düstern Farben geschildert.

Das Erwerbsleben hatte unter dem Kriege anscheinend kaum gelitten.
Moskau ließ sich alle russischen Erzeugnisse teuer bezahlen. Wo wir anklopften,
überall zeigten die hohen Preise, daß es noch nicht nötig war, um bar Geld
zu sorgen. Die Schufte in den kaukasischen Warenlagern verlangten für manchen
Schund unglaubliche Summen. Die Pelzwarenhündler auf dem Kusnetzki Most,
der elegantesten Geschäftsstraße, die Juweliere in den Kaufreihen und Passagen,
die Kunsthändler, alle hielten sie an ihren Geschäftsgewohnheiten fest, sodaß
wir schließlich in das Kleingewerbemuseum zogen, um unsre kleinen Andenken
einzukaufen.

Dieses Museum, das den guten Zweck hat, der russischen Hausindustrie
Freunde zu werben und sie zu ermuntern, bezweckt zugleich eine ökonomische
Unterstützung in der Hausindustrie geschickter Arbeiter und Arbeiterinnen und
bringt echt russische Erzeugnisse in Stickereien, Holzschnitzereien, Lackarbeiten,
aber auch Spielwaren in reicher Auswahl zum Verkauf.

In einem Verbrauchsartikel ist Moskau billig, aber nicht aus eignem Ver¬
dienst, sondern weil der Staat an seinem Monopol festhält und selber den
Verkauf regelt; das ist der mit Recht so beliebte Wodka. Mau lernt ihn



*) General der Infanterie, Kavallerie usw.
Über Moskau heimwärts

Duma von Ordensrittern ernsthaft beraten wird, und deren vierte Klasse der
volle General*) mit gleichem Stolz entgegennimmt wie der jüngste Leutnant,
deren dritte Klasse die Auszeichnung für ganz außergewöhnliche Leistungen
darstellt.

Der Große Kremlpalast war seit Beginn des Krieges für die Zwecke des
Roten Kreuzes zur Verfügung gestellt. Tausend bis dreitausend Frauen aller
Stände waren unter dem Protektorat der Großfürstin Ssergius täglich be¬
schäftigt, die Liebesgaben auszupacken, zu Sortieren und nach Bedarf zusammen¬
zustellen. Lange Tische standen in den Sälen mit den verschiedensten Bedarfs¬
artikeln, und unaufhörlich wurden auf dem Hofe große Warmhalten an- und
abgefahren. Die Privatwohltätigkeit hat sich während des Krieges, namentlich
zu Beginn, in glänzendem Lichte gezeigt. Daß sie allmählich und in Moskau
sehr fühlbar nachließ, ist zu verstehn, weil die Begeisterung für den Krieg
nichts weniger als nachhaltig war. Daß in der Presse die sicher vorgekom¬
menen Fülle von Unehrlichkeit dafür als Grund aufgebauscht wurden, ist gleich
töricht, wie sich darüber zu beklagen, daß manche Sendung auf irgendeiner
Station dem Verderben ausgesetzt wurde; das liegt in der harten Notwendigkeit,
die Truppen und das Kriegsmaterial unter allen Umständen bei der Beför¬
derung mit der Eisenbahn zu bevorzugen und ist im Kriege 1870/71 auch
des öftern vorgekommen. Unlust am Kriege war in Moskau aus mancher
Unterhaltung an den Nachbartischen zu entnehmen. Die massenhaft zurück¬
gekehrten Offiziere taten keineswegs immer das ihrige, die Begeisterung zu
heben. Briefe haben das Feldzugselend in sehr düstern Farben geschildert.

Das Erwerbsleben hatte unter dem Kriege anscheinend kaum gelitten.
Moskau ließ sich alle russischen Erzeugnisse teuer bezahlen. Wo wir anklopften,
überall zeigten die hohen Preise, daß es noch nicht nötig war, um bar Geld
zu sorgen. Die Schufte in den kaukasischen Warenlagern verlangten für manchen
Schund unglaubliche Summen. Die Pelzwarenhündler auf dem Kusnetzki Most,
der elegantesten Geschäftsstraße, die Juweliere in den Kaufreihen und Passagen,
die Kunsthändler, alle hielten sie an ihren Geschäftsgewohnheiten fest, sodaß
wir schließlich in das Kleingewerbemuseum zogen, um unsre kleinen Andenken
einzukaufen.

Dieses Museum, das den guten Zweck hat, der russischen Hausindustrie
Freunde zu werben und sie zu ermuntern, bezweckt zugleich eine ökonomische
Unterstützung in der Hausindustrie geschickter Arbeiter und Arbeiterinnen und
bringt echt russische Erzeugnisse in Stickereien, Holzschnitzereien, Lackarbeiten,
aber auch Spielwaren in reicher Auswahl zum Verkauf.

In einem Verbrauchsartikel ist Moskau billig, aber nicht aus eignem Ver¬
dienst, sondern weil der Staat an seinem Monopol festhält und selber den
Verkauf regelt; das ist der mit Recht so beliebte Wodka. Mau lernt ihn



*) General der Infanterie, Kavallerie usw.
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[0422] Über Moskau heimwärts Duma von Ordensrittern ernsthaft beraten wird, und deren vierte Klasse der volle General*) mit gleichem Stolz entgegennimmt wie der jüngste Leutnant, deren dritte Klasse die Auszeichnung für ganz außergewöhnliche Leistungen darstellt. Der Große Kremlpalast war seit Beginn des Krieges für die Zwecke des Roten Kreuzes zur Verfügung gestellt. Tausend bis dreitausend Frauen aller Stände waren unter dem Protektorat der Großfürstin Ssergius täglich be¬ schäftigt, die Liebesgaben auszupacken, zu Sortieren und nach Bedarf zusammen¬ zustellen. Lange Tische standen in den Sälen mit den verschiedensten Bedarfs¬ artikeln, und unaufhörlich wurden auf dem Hofe große Warmhalten an- und abgefahren. Die Privatwohltätigkeit hat sich während des Krieges, namentlich zu Beginn, in glänzendem Lichte gezeigt. Daß sie allmählich und in Moskau sehr fühlbar nachließ, ist zu verstehn, weil die Begeisterung für den Krieg nichts weniger als nachhaltig war. Daß in der Presse die sicher vorgekom¬ menen Fülle von Unehrlichkeit dafür als Grund aufgebauscht wurden, ist gleich töricht, wie sich darüber zu beklagen, daß manche Sendung auf irgendeiner Station dem Verderben ausgesetzt wurde; das liegt in der harten Notwendigkeit, die Truppen und das Kriegsmaterial unter allen Umständen bei der Beför¬ derung mit der Eisenbahn zu bevorzugen und ist im Kriege 1870/71 auch des öftern vorgekommen. Unlust am Kriege war in Moskau aus mancher Unterhaltung an den Nachbartischen zu entnehmen. Die massenhaft zurück¬ gekehrten Offiziere taten keineswegs immer das ihrige, die Begeisterung zu heben. Briefe haben das Feldzugselend in sehr düstern Farben geschildert. Das Erwerbsleben hatte unter dem Kriege anscheinend kaum gelitten. Moskau ließ sich alle russischen Erzeugnisse teuer bezahlen. Wo wir anklopften, überall zeigten die hohen Preise, daß es noch nicht nötig war, um bar Geld zu sorgen. Die Schufte in den kaukasischen Warenlagern verlangten für manchen Schund unglaubliche Summen. Die Pelzwarenhündler auf dem Kusnetzki Most, der elegantesten Geschäftsstraße, die Juweliere in den Kaufreihen und Passagen, die Kunsthändler, alle hielten sie an ihren Geschäftsgewohnheiten fest, sodaß wir schließlich in das Kleingewerbemuseum zogen, um unsre kleinen Andenken einzukaufen. Dieses Museum, das den guten Zweck hat, der russischen Hausindustrie Freunde zu werben und sie zu ermuntern, bezweckt zugleich eine ökonomische Unterstützung in der Hausindustrie geschickter Arbeiter und Arbeiterinnen und bringt echt russische Erzeugnisse in Stickereien, Holzschnitzereien, Lackarbeiten, aber auch Spielwaren in reicher Auswahl zum Verkauf. In einem Verbrauchsartikel ist Moskau billig, aber nicht aus eignem Ver¬ dienst, sondern weil der Staat an seinem Monopol festhält und selber den Verkauf regelt; das ist der mit Recht so beliebte Wodka. Mau lernt ihn *) General der Infanterie, Kavallerie usw.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/422>, abgerufen am 01.09.2024.