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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Über Moskau heimwärts

Moskau stand während unsrer Anwesenheit noch unter dem Eindruck des
Attentats auf den Großfürsten Ssergius. Man hatte die Stelle im Kreml,
wo die Bombe geworfen wurde, umgittert und mit Blumen geschmückt. Gar
mancher Bauer und Kleinbürger ging Hut abnehmend und sich bekreuzigend
ein ihr vorüber, mancher widmete den Manen des Gemordeten ein Gebet.
Mag er eine noch so wenig sympathische Persönlichkeit gewesen sein, verab-
scheuungswürdig ist das Verbrechen doch ebenso wie jeder andre Mord und
wurde in niedern Volksschichten so empfunden. Der Revolutionär, der irgend¬
eine hochgestellte Persönlichkeit zum Tode zu verurteilen in sich das Recht
findet, vertritt aus eigner Machtvollkommenheit das Prinzip der Herrschaft
über Leben und Tod, das er leugnet. Das vollstreckende Organ solches Urteils
begeht feigen Meuchelmord, denn nichts andres ist der Angriff auf eine Per¬
sönlichkeit, die sich dessen nicht versieht. Wie die russische Gesellschaft dazu
kommen kann, solches zu entschuldigen, sogar zu billigen, wie die gebildeten
Vertreter der Duma sich entschließen können, eine allgemeine Amnestie für
diese Verbrecher zu fordern, ist nur durch eine vollständige Verdrehung aller
Rechtsbegriffe zu erklären. Es ist die aufgegangne Saat, die Folge einer Kette
von Rechtsbeugungen, von Handhabung drakonischer Gesetze durch übelberusne
Vertreter des bisher herrschenden Systems. Wie die Ernte werden wird,
wenn die Sätze der Lehre des Guten und Bösen, für dessen Unterscheidung
auch der vielgeschmähte Mushik ein richtiges Empfinden hat, so umgestoßen
werden, kann kaum zweifelhaft sein. Die Barrikadenkämpfe in Moskau haben
einen kleinen Vorgeschmack gegeben. Sicher ist in Moskau, der Zentrale rus¬
sischer Intelligenz, dem Sitz einer Universität, unter deren Angehörigen von
jeher die revolutionäre Propaganda ganz besondre Erfolge gezeitigt hatte, der
Ausbruch der revolutionären Bewegungen schon frühzeitig erwartet worden.
Verstärktes Polizeiaufgebot deutete darauf hin. Um so angenehmer mußte man
empfinden, daß trotzdem dem Verkehr keinerlei Beschränkungen auferlegt waren,
und wenn ich mich recht erinnere, auch die Anmeldung bei der Polizei ohne
Vorzeigung des Passes erledigt wurde. Der Eintritt in den Kremlpalast be¬
gegnete nicht den geringsten Schwierigkeiten. Die sämtlichen großen Säle,
Treppen und Korridore waren geöffnet; die uralten Schloßteile, der Terca,
waren zugänglich und zeigten so recht den Gegensatz zwischen der Einfachheit
der alten Zeit und dem Prunk, der heutzutage von der Umgebung der re¬
gierenden Persönlichkeiten untrennbar ist. Aber Achtung vor den Sälen im
Großen Kremlpalast! Der in blau und gold gehaltene Andreassaal mit den
Ordensemblemen ist ebenso schön, wie der mit weißer Marmorbekleidung aus¬
gestattete Georgssaal in einfacher Vornehmheit seinesgleichen sucht. Die Namen
der Georgsordensritter bedecken in Goldschrift die Wände, die noch Raum ge¬
nügend gewähren für künftig auszuzeichnende Krieger. Das einfache Georgs¬
kreuz ist eine heißbegehrte, hochgeeehrte Kriegsauszeichnung, die nicht nach
Gunst und Gaben verschenkt wird, sondern über deren Verleihung in einer


Über Moskau heimwärts

Moskau stand während unsrer Anwesenheit noch unter dem Eindruck des
Attentats auf den Großfürsten Ssergius. Man hatte die Stelle im Kreml,
wo die Bombe geworfen wurde, umgittert und mit Blumen geschmückt. Gar
mancher Bauer und Kleinbürger ging Hut abnehmend und sich bekreuzigend
ein ihr vorüber, mancher widmete den Manen des Gemordeten ein Gebet.
Mag er eine noch so wenig sympathische Persönlichkeit gewesen sein, verab-
scheuungswürdig ist das Verbrechen doch ebenso wie jeder andre Mord und
wurde in niedern Volksschichten so empfunden. Der Revolutionär, der irgend¬
eine hochgestellte Persönlichkeit zum Tode zu verurteilen in sich das Recht
findet, vertritt aus eigner Machtvollkommenheit das Prinzip der Herrschaft
über Leben und Tod, das er leugnet. Das vollstreckende Organ solches Urteils
begeht feigen Meuchelmord, denn nichts andres ist der Angriff auf eine Per¬
sönlichkeit, die sich dessen nicht versieht. Wie die russische Gesellschaft dazu
kommen kann, solches zu entschuldigen, sogar zu billigen, wie die gebildeten
Vertreter der Duma sich entschließen können, eine allgemeine Amnestie für
diese Verbrecher zu fordern, ist nur durch eine vollständige Verdrehung aller
Rechtsbegriffe zu erklären. Es ist die aufgegangne Saat, die Folge einer Kette
von Rechtsbeugungen, von Handhabung drakonischer Gesetze durch übelberusne
Vertreter des bisher herrschenden Systems. Wie die Ernte werden wird,
wenn die Sätze der Lehre des Guten und Bösen, für dessen Unterscheidung
auch der vielgeschmähte Mushik ein richtiges Empfinden hat, so umgestoßen
werden, kann kaum zweifelhaft sein. Die Barrikadenkämpfe in Moskau haben
einen kleinen Vorgeschmack gegeben. Sicher ist in Moskau, der Zentrale rus¬
sischer Intelligenz, dem Sitz einer Universität, unter deren Angehörigen von
jeher die revolutionäre Propaganda ganz besondre Erfolge gezeitigt hatte, der
Ausbruch der revolutionären Bewegungen schon frühzeitig erwartet worden.
Verstärktes Polizeiaufgebot deutete darauf hin. Um so angenehmer mußte man
empfinden, daß trotzdem dem Verkehr keinerlei Beschränkungen auferlegt waren,
und wenn ich mich recht erinnere, auch die Anmeldung bei der Polizei ohne
Vorzeigung des Passes erledigt wurde. Der Eintritt in den Kremlpalast be¬
gegnete nicht den geringsten Schwierigkeiten. Die sämtlichen großen Säle,
Treppen und Korridore waren geöffnet; die uralten Schloßteile, der Terca,
waren zugänglich und zeigten so recht den Gegensatz zwischen der Einfachheit
der alten Zeit und dem Prunk, der heutzutage von der Umgebung der re¬
gierenden Persönlichkeiten untrennbar ist. Aber Achtung vor den Sälen im
Großen Kremlpalast! Der in blau und gold gehaltene Andreassaal mit den
Ordensemblemen ist ebenso schön, wie der mit weißer Marmorbekleidung aus¬
gestattete Georgssaal in einfacher Vornehmheit seinesgleichen sucht. Die Namen
der Georgsordensritter bedecken in Goldschrift die Wände, die noch Raum ge¬
nügend gewähren für künftig auszuzeichnende Krieger. Das einfache Georgs¬
kreuz ist eine heißbegehrte, hochgeeehrte Kriegsauszeichnung, die nicht nach
Gunst und Gaben verschenkt wird, sondern über deren Verleihung in einer


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[0421] Über Moskau heimwärts Moskau stand während unsrer Anwesenheit noch unter dem Eindruck des Attentats auf den Großfürsten Ssergius. Man hatte die Stelle im Kreml, wo die Bombe geworfen wurde, umgittert und mit Blumen geschmückt. Gar mancher Bauer und Kleinbürger ging Hut abnehmend und sich bekreuzigend ein ihr vorüber, mancher widmete den Manen des Gemordeten ein Gebet. Mag er eine noch so wenig sympathische Persönlichkeit gewesen sein, verab- scheuungswürdig ist das Verbrechen doch ebenso wie jeder andre Mord und wurde in niedern Volksschichten so empfunden. Der Revolutionär, der irgend¬ eine hochgestellte Persönlichkeit zum Tode zu verurteilen in sich das Recht findet, vertritt aus eigner Machtvollkommenheit das Prinzip der Herrschaft über Leben und Tod, das er leugnet. Das vollstreckende Organ solches Urteils begeht feigen Meuchelmord, denn nichts andres ist der Angriff auf eine Per¬ sönlichkeit, die sich dessen nicht versieht. Wie die russische Gesellschaft dazu kommen kann, solches zu entschuldigen, sogar zu billigen, wie die gebildeten Vertreter der Duma sich entschließen können, eine allgemeine Amnestie für diese Verbrecher zu fordern, ist nur durch eine vollständige Verdrehung aller Rechtsbegriffe zu erklären. Es ist die aufgegangne Saat, die Folge einer Kette von Rechtsbeugungen, von Handhabung drakonischer Gesetze durch übelberusne Vertreter des bisher herrschenden Systems. Wie die Ernte werden wird, wenn die Sätze der Lehre des Guten und Bösen, für dessen Unterscheidung auch der vielgeschmähte Mushik ein richtiges Empfinden hat, so umgestoßen werden, kann kaum zweifelhaft sein. Die Barrikadenkämpfe in Moskau haben einen kleinen Vorgeschmack gegeben. Sicher ist in Moskau, der Zentrale rus¬ sischer Intelligenz, dem Sitz einer Universität, unter deren Angehörigen von jeher die revolutionäre Propaganda ganz besondre Erfolge gezeitigt hatte, der Ausbruch der revolutionären Bewegungen schon frühzeitig erwartet worden. Verstärktes Polizeiaufgebot deutete darauf hin. Um so angenehmer mußte man empfinden, daß trotzdem dem Verkehr keinerlei Beschränkungen auferlegt waren, und wenn ich mich recht erinnere, auch die Anmeldung bei der Polizei ohne Vorzeigung des Passes erledigt wurde. Der Eintritt in den Kremlpalast be¬ gegnete nicht den geringsten Schwierigkeiten. Die sämtlichen großen Säle, Treppen und Korridore waren geöffnet; die uralten Schloßteile, der Terca, waren zugänglich und zeigten so recht den Gegensatz zwischen der Einfachheit der alten Zeit und dem Prunk, der heutzutage von der Umgebung der re¬ gierenden Persönlichkeiten untrennbar ist. Aber Achtung vor den Sälen im Großen Kremlpalast! Der in blau und gold gehaltene Andreassaal mit den Ordensemblemen ist ebenso schön, wie der mit weißer Marmorbekleidung aus¬ gestattete Georgssaal in einfacher Vornehmheit seinesgleichen sucht. Die Namen der Georgsordensritter bedecken in Goldschrift die Wände, die noch Raum ge¬ nügend gewähren für künftig auszuzeichnende Krieger. Das einfache Georgs¬ kreuz ist eine heißbegehrte, hochgeeehrte Kriegsauszeichnung, die nicht nach Gunst und Gaben verschenkt wird, sondern über deren Verleihung in einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/421>, abgerufen am 01.09.2024.