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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Betrachtungen über innere Politik

Gebiete, in denen das Vorkommen von Kohle und Erzen die Entwicklung
der Industrie begünstigt hat, in Preußen besonders das oberschlesische und
das rheinisch-westfälische Industriegebiet. An diesem zuletzt genannten sind die
Regierungsbezirke Düsseldorf, Arnsberg und Münster beteiligt, und wie
sehr die Bevölkerung in diesen drei Bezirken zugenommen hat, zeigen folgende
Zahlen:

Es hatten Einwohner die Regierungsbezirke

1871 1900
Düsseldorf . . 1328324 2S99806
Arnsberg . . 86S81S 18S1319
Münster , . . 435 80S 699583
2629944 5150708

In neunundzwanzig Jahren also eine Verdopplung der Bevölkerung. Hier
sind die Riesenwahlkreise wie Essen und Duisburg-Mülheim-Ruhrort, wo
bei der Reichstagswahl am 25, Januar 1907 in jenem 94804, in diesem
93173 Stimmen abgegeben wurden. Hier sind nicht nur Städte in fast ameri¬
kanischer Weise gewachsen, sondern auch Landgemeinden, wie Borbeck mit heute
60000, Hamborn mit 80000 Einwohnern. Land- und Stadtkreis Essen hatten
zur Zeit der Volkszählung vom 1. Dezember 1875 zusammen 163507 Einwohner,
am 1. Dezember 1900 aber deren 402941. Die vom Statistischen Bureau in
Berlin veröffentlichten Ergebnisse enthalten leider keine Mitteilungen über die
Abstammung der in den Provinzen, Kreisen und Gemeinden gezählten Per¬
sonen, sodaß sich über die Bewegung der Bevölkerung innerhalb des Staats¬
gebiets kein rechtes Bild gewinnen läßt. Deshalb ist vielleicht die Mitteilung
von Wert, daß im Land- und Stadtkreise Essen allein jährlich etwa achthundert
Militärpflichtige beim Oberersatzgeschäft vorgestellt werden, die in Ostpreußen
geboren sind. Sie stammen fast ausschließlich aus den masurischen Teilen
Ostpreußens, und in erster Linie schickt der Kreis Ortelsburg seine Söhne
dorthin in das Kohlenrevier. Daß dieser Kreis dabei nicht einmal zu den
Kreisen gehört, deren Bevölkerung zurückgeht, das spricht für die unverwüstliche
Lebenskraft dieser östlichen Gebiete. Eine Vorstellung von der polnischen
Binnenwanderung erhält man, wenn man die bei den Reichstagswahlen von
1903 und 1907 in einigen westlichen Wahlbezirken abgegebnen polnischen
Stimmen vergleicht. Es wurden abgegeben im Wahlkreise

1903 1907
Duisburg-Mülheim . 2881 5455
Essen...... 1589 2540
Bochum..... 6208 7511
Dortmund .... 2743 5085
13421 20591

Das bedeutet in dreieinhalb Jahren eine Steigerung der polnischen Stimmen
um Prozent, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß ein Teil der polnischen
Wähler sicher schon im ersten Wahlgänge für den Sozialdemokraten ge¬
stimmt hat.


Betrachtungen über innere Politik

Gebiete, in denen das Vorkommen von Kohle und Erzen die Entwicklung
der Industrie begünstigt hat, in Preußen besonders das oberschlesische und
das rheinisch-westfälische Industriegebiet. An diesem zuletzt genannten sind die
Regierungsbezirke Düsseldorf, Arnsberg und Münster beteiligt, und wie
sehr die Bevölkerung in diesen drei Bezirken zugenommen hat, zeigen folgende
Zahlen:

Es hatten Einwohner die Regierungsbezirke

1871 1900
Düsseldorf . . 1328324 2S99806
Arnsberg . . 86S81S 18S1319
Münster , . . 435 80S 699583
2629944 5150708

In neunundzwanzig Jahren also eine Verdopplung der Bevölkerung. Hier
sind die Riesenwahlkreise wie Essen und Duisburg-Mülheim-Ruhrort, wo
bei der Reichstagswahl am 25, Januar 1907 in jenem 94804, in diesem
93173 Stimmen abgegeben wurden. Hier sind nicht nur Städte in fast ameri¬
kanischer Weise gewachsen, sondern auch Landgemeinden, wie Borbeck mit heute
60000, Hamborn mit 80000 Einwohnern. Land- und Stadtkreis Essen hatten
zur Zeit der Volkszählung vom 1. Dezember 1875 zusammen 163507 Einwohner,
am 1. Dezember 1900 aber deren 402941. Die vom Statistischen Bureau in
Berlin veröffentlichten Ergebnisse enthalten leider keine Mitteilungen über die
Abstammung der in den Provinzen, Kreisen und Gemeinden gezählten Per¬
sonen, sodaß sich über die Bewegung der Bevölkerung innerhalb des Staats¬
gebiets kein rechtes Bild gewinnen läßt. Deshalb ist vielleicht die Mitteilung
von Wert, daß im Land- und Stadtkreise Essen allein jährlich etwa achthundert
Militärpflichtige beim Oberersatzgeschäft vorgestellt werden, die in Ostpreußen
geboren sind. Sie stammen fast ausschließlich aus den masurischen Teilen
Ostpreußens, und in erster Linie schickt der Kreis Ortelsburg seine Söhne
dorthin in das Kohlenrevier. Daß dieser Kreis dabei nicht einmal zu den
Kreisen gehört, deren Bevölkerung zurückgeht, das spricht für die unverwüstliche
Lebenskraft dieser östlichen Gebiete. Eine Vorstellung von der polnischen
Binnenwanderung erhält man, wenn man die bei den Reichstagswahlen von
1903 und 1907 in einigen westlichen Wahlbezirken abgegebnen polnischen
Stimmen vergleicht. Es wurden abgegeben im Wahlkreise

1903 1907
Duisburg-Mülheim . 2881 5455
Essen...... 1589 2540
Bochum..... 6208 7511
Dortmund .... 2743 5085
13421 20591

Das bedeutet in dreieinhalb Jahren eine Steigerung der polnischen Stimmen
um Prozent, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß ein Teil der polnischen
Wähler sicher schon im ersten Wahlgänge für den Sozialdemokraten ge¬
stimmt hat.


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[0397] Betrachtungen über innere Politik Gebiete, in denen das Vorkommen von Kohle und Erzen die Entwicklung der Industrie begünstigt hat, in Preußen besonders das oberschlesische und das rheinisch-westfälische Industriegebiet. An diesem zuletzt genannten sind die Regierungsbezirke Düsseldorf, Arnsberg und Münster beteiligt, und wie sehr die Bevölkerung in diesen drei Bezirken zugenommen hat, zeigen folgende Zahlen: Es hatten Einwohner die Regierungsbezirke 1871 1900 Düsseldorf . . 1328324 2S99806 Arnsberg . . 86S81S 18S1319 Münster , . . 435 80S 699583 2629944 5150708 In neunundzwanzig Jahren also eine Verdopplung der Bevölkerung. Hier sind die Riesenwahlkreise wie Essen und Duisburg-Mülheim-Ruhrort, wo bei der Reichstagswahl am 25, Januar 1907 in jenem 94804, in diesem 93173 Stimmen abgegeben wurden. Hier sind nicht nur Städte in fast ameri¬ kanischer Weise gewachsen, sondern auch Landgemeinden, wie Borbeck mit heute 60000, Hamborn mit 80000 Einwohnern. Land- und Stadtkreis Essen hatten zur Zeit der Volkszählung vom 1. Dezember 1875 zusammen 163507 Einwohner, am 1. Dezember 1900 aber deren 402941. Die vom Statistischen Bureau in Berlin veröffentlichten Ergebnisse enthalten leider keine Mitteilungen über die Abstammung der in den Provinzen, Kreisen und Gemeinden gezählten Per¬ sonen, sodaß sich über die Bewegung der Bevölkerung innerhalb des Staats¬ gebiets kein rechtes Bild gewinnen läßt. Deshalb ist vielleicht die Mitteilung von Wert, daß im Land- und Stadtkreise Essen allein jährlich etwa achthundert Militärpflichtige beim Oberersatzgeschäft vorgestellt werden, die in Ostpreußen geboren sind. Sie stammen fast ausschließlich aus den masurischen Teilen Ostpreußens, und in erster Linie schickt der Kreis Ortelsburg seine Söhne dorthin in das Kohlenrevier. Daß dieser Kreis dabei nicht einmal zu den Kreisen gehört, deren Bevölkerung zurückgeht, das spricht für die unverwüstliche Lebenskraft dieser östlichen Gebiete. Eine Vorstellung von der polnischen Binnenwanderung erhält man, wenn man die bei den Reichstagswahlen von 1903 und 1907 in einigen westlichen Wahlbezirken abgegebnen polnischen Stimmen vergleicht. Es wurden abgegeben im Wahlkreise 1903 1907 Duisburg-Mülheim . 2881 5455 Essen...... 1589 2540 Bochum..... 6208 7511 Dortmund .... 2743 5085 13421 20591 Das bedeutet in dreieinhalb Jahren eine Steigerung der polnischen Stimmen um Prozent, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß ein Teil der polnischen Wähler sicher schon im ersten Wahlgänge für den Sozialdemokraten ge¬ stimmt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/397>, abgerufen am 01.09.2024.