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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Der Konflikt zwischen Rumänien und Griechenland

reklamieren. Eine historische Studie, die hierüber der Präsident der "Gesellschaft
für intellektuelle Kultur in Mazedonien", Dr. Leonte in Bukarest, vor mehreren
Jahren veröffentlichte, enthält hierzu ein recht interessantes Material.

Dr. Leonte bestreitet zunächst die Rechte der Griechen auf Albanien. Er
verweist hierbei darauf, daß erwiesenermaßen dieses Land niemals zu Griechen¬
land gehört hat, daß es immer von denselben Albanesen bewohnt war, die es
noch heute zum größten Teil bevölkern, und daß man dort nicht ein einziges
griechisches Dorf vorfindet. Ich kann dem noch hinzufügen, daß die Albanesen,
deren Land ich des öftern bereist habe, trotz ihrer Nachbarschaft zu den
Griechen und trotz des Einflusses, den diese in mancherlei Hinsicht zu gewissen
Zeiten auf sie ausgeübt haben, so wenig von den Griechen angenommen haben,
daß sie noch heute die Bauerntracht der Römer tragen, unter deren Herrschaft
sie verhältnismäßig frühzeitig gelangt sind. Man findet zwar viele griechische
Familien unter den Albanesen, doch sind diese im Laufe der Jahre einge¬
wandert und immer zerstreut seßhaft; nie bilden sie ein Gemeinwesen für sich.
Hätte man es hier mit Ureinwohnern zu tun, so würden sich doch noch ganze
Siedlungen, ganze rein griechische Dörfer erhalten haben, die man aber in
Albanien nirgends findet.

Auch was Epirus anlangt, so kann man so weit, wie man will, in die
Vergangenheit zurückgehn, ohne zu finden, daß es je einmal zu Griechenland
gehört hat oder mit ihm verbündet war. Im Gegenteil weiß man, sagt Dr. Leonte,
daß sich Themistokles, als er sich zu Admetos flüchtete, mit diesem nicht ver¬
ständigen konnte, da der König der Molossen nicht griechisch konnte. Auch zur
Zeit des Peloponnesischen Krieges waren die Epirüer keine Griechen geworden.
Wir erhalten hierüber von Thucydides vollständige Aufklärung. In seiner Ge¬
schichte liest man an verschiednen Stellen folgendes: "Epidauros (jetzt Durazzo)
ist eine Stadt rechts vom Ionischen Golf. Sie ist umgeben von Taulentinern,
einem barbarischen Volk---- Nach innern Zerwürfnissen kamen die Bewohner
zum größten Teil um in einem Kriege mit ihren Nachbarn, den Barbaren."
(Thucydides, I, Kapitel 24.) Und des weitern von Argos am Nordufer des
Golfes von Area redend, schreibt der berühmte griechische Geschichtschreiber:
..... Überwältigt von Mißgeschick forderten die Einwohner die Ambraciten, ihre
Nachbarn, auf, die Stadt zu teilen, und in ihrer Verbindung mit den Argoiern
lernten die Ambraciter griechisch, denn der Rest der Amphilochen bestand aus
Barbaren. Mit der Zeit jagten die Ambraciten die Argoier davon und behielten
die Stadt." (Buch I, Kapitel 68.) Weiterhin bei der Abhandlung über Akarnanien,
Zakinthos, Cephalonia und Naupactos sagt Thucydides: "Barbaren mischten sich
zu den Griechen, und unter den Barbaren sah man viele Chaoner, die keine
Könige haben; mit ihnen gingen die Thesproter, die ebenfalls keine Könige
kannten. Die Molossen und die Antitonen wurden von Sabylinthus angeführt____
Die Chaoner und die andern Barbaren machten einen eiligen Marsch in der
Hoffnung, diese Stadt zu nehmen und den Ruhm des Sieges zu haben."


Der Konflikt zwischen Rumänien und Griechenland

reklamieren. Eine historische Studie, die hierüber der Präsident der „Gesellschaft
für intellektuelle Kultur in Mazedonien", Dr. Leonte in Bukarest, vor mehreren
Jahren veröffentlichte, enthält hierzu ein recht interessantes Material.

Dr. Leonte bestreitet zunächst die Rechte der Griechen auf Albanien. Er
verweist hierbei darauf, daß erwiesenermaßen dieses Land niemals zu Griechen¬
land gehört hat, daß es immer von denselben Albanesen bewohnt war, die es
noch heute zum größten Teil bevölkern, und daß man dort nicht ein einziges
griechisches Dorf vorfindet. Ich kann dem noch hinzufügen, daß die Albanesen,
deren Land ich des öftern bereist habe, trotz ihrer Nachbarschaft zu den
Griechen und trotz des Einflusses, den diese in mancherlei Hinsicht zu gewissen
Zeiten auf sie ausgeübt haben, so wenig von den Griechen angenommen haben,
daß sie noch heute die Bauerntracht der Römer tragen, unter deren Herrschaft
sie verhältnismäßig frühzeitig gelangt sind. Man findet zwar viele griechische
Familien unter den Albanesen, doch sind diese im Laufe der Jahre einge¬
wandert und immer zerstreut seßhaft; nie bilden sie ein Gemeinwesen für sich.
Hätte man es hier mit Ureinwohnern zu tun, so würden sich doch noch ganze
Siedlungen, ganze rein griechische Dörfer erhalten haben, die man aber in
Albanien nirgends findet.

Auch was Epirus anlangt, so kann man so weit, wie man will, in die
Vergangenheit zurückgehn, ohne zu finden, daß es je einmal zu Griechenland
gehört hat oder mit ihm verbündet war. Im Gegenteil weiß man, sagt Dr. Leonte,
daß sich Themistokles, als er sich zu Admetos flüchtete, mit diesem nicht ver¬
ständigen konnte, da der König der Molossen nicht griechisch konnte. Auch zur
Zeit des Peloponnesischen Krieges waren die Epirüer keine Griechen geworden.
Wir erhalten hierüber von Thucydides vollständige Aufklärung. In seiner Ge¬
schichte liest man an verschiednen Stellen folgendes: „Epidauros (jetzt Durazzo)
ist eine Stadt rechts vom Ionischen Golf. Sie ist umgeben von Taulentinern,
einem barbarischen Volk---- Nach innern Zerwürfnissen kamen die Bewohner
zum größten Teil um in einem Kriege mit ihren Nachbarn, den Barbaren."
(Thucydides, I, Kapitel 24.) Und des weitern von Argos am Nordufer des
Golfes von Area redend, schreibt der berühmte griechische Geschichtschreiber:
..... Überwältigt von Mißgeschick forderten die Einwohner die Ambraciten, ihre
Nachbarn, auf, die Stadt zu teilen, und in ihrer Verbindung mit den Argoiern
lernten die Ambraciter griechisch, denn der Rest der Amphilochen bestand aus
Barbaren. Mit der Zeit jagten die Ambraciten die Argoier davon und behielten
die Stadt." (Buch I, Kapitel 68.) Weiterhin bei der Abhandlung über Akarnanien,
Zakinthos, Cephalonia und Naupactos sagt Thucydides: „Barbaren mischten sich
zu den Griechen, und unter den Barbaren sah man viele Chaoner, die keine
Könige haben; mit ihnen gingen die Thesproter, die ebenfalls keine Könige
kannten. Die Molossen und die Antitonen wurden von Sabylinthus angeführt____
Die Chaoner und die andern Barbaren machten einen eiligen Marsch in der
Hoffnung, diese Stadt zu nehmen und den Ruhm des Sieges zu haben."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/392>, abgerufen am 01.09.2024.