Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Konferenz zu sichern, und dann die Konferenz selbst mit ihren unangenehmen Er¬ Nun kann man vielleicht unsrer Regierung bei einzelnen Phasen ihrer Marokko- Maßgebliches und Unmaßgebliches Konferenz zu sichern, und dann die Konferenz selbst mit ihren unangenehmen Er¬ Nun kann man vielleicht unsrer Regierung bei einzelnen Phasen ihrer Marokko- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303081"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2229" prev="#ID_2228"> Konferenz zu sichern, und dann die Konferenz selbst mit ihren unangenehmen Er¬<lb/> fahrungen bei der für Deutschland sehr ungünstigen Gruppierung der Mächte und<lb/> mit den Zugeständnissen, die Deutschland machen mußte, wenn nicht die Konferenz<lb/> gesprengt werden sollte. Vom Standpunkt einer Aktionspolitik, wie sie von großen<lb/> Gruppen nationaler Politiker in Deutschland gewünscht wurde, waren die in<lb/> Algeciras erhaltnen Eindrücke sehr unerfreulich. Man hielt in diesen Kreisen das<lb/> Ergebnis für eine „Blamage" der deutschen Politik. Wenn nun jetzt neue Ver¬<lb/> wicklungen entsteh», die Frankreich zum selbständigen, gewaltsamen Vorgehen gegen<lb/> Marokko nötigen, so ist es nicht zu verwundern, daß das Mißvergnügen der ge¬<lb/> schilderten Kreise über die Lage in Marokko, das angebliche Fiasko der Konferenz<lb/> von Algeciras und die scheinbar unglückliche Rolle der deutschen Politik sehr ver¬<lb/> stärkt worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2230" next="#ID_2231"> Nun kann man vielleicht unsrer Regierung bei einzelnen Phasen ihrer Marokko-<lb/> Politik manchen taktischen Mißgriff und manchen „Kunstfehler" nachweisen, aber ge¬<lb/> recht wird man doch nur urteilen können, wenn man feststellt, daß sich die Regierung<lb/> die Ansichten und Wünsche jener Aktionspolitiker niemals, in keinem Stadium<lb/> ihrer Marokkopolitik, zu eigen gemacht hat. Sie hat von Anfang an eine ganz<lb/> andre Auffassung vertreten, die übrigens in nicht minder gutnationalen Kreisen<lb/> vollkommen geteilt und gebilligt worden ist. Sie hat es immer abgelehnt, irgend¬<lb/> welche politischen Ziele in Marokko zu verfolgen, dagegen den realen wirtschaft¬<lb/> lichen Interessen deutscher Reichsangehöriger in Marokko die größte Aufmerksamkeit<lb/> und Fürsorge zugewandt. Nun versuchte Frankreich auf dem Wege einer Ver¬<lb/> ständigung mit England ohne Hinzuziehung andrer Mächte eine Lage in Marokko<lb/> zu schaffen, die sich mit den deutschen Interessen nicht vertrug. Überdies versuchte<lb/> die französische Politik unter Delcasses Führung diese schon inhaltlich den deutschen<lb/> Interessen zuwiderlaufenden Bestrebungen in einer Form und Methode zu ver¬<lb/> folgen, die sich Deutschland um seines Ansehens und seiner Würde Wille» nicht ge¬<lb/> fallen lassen konnte. Dieser Taktik gegenüber befand sich Deutschland in einer<lb/> schwierigen Lage. Noch war nichts vorgefallen, was eine direkte Handhabe zum<lb/> Einschreiten bot. Vorstellungen zu erheben auf die bloße Beobachtung hin, daß<lb/> die französische Politik so handelte, als ob Deutschland nicht vorhanden sei, war<lb/> sehr mißlich, denn es führte direkt in den Konflikt mit Frankreich hinein und ließ<lb/> dabei Deutschland als deu Angreifer erscheinen. Und doch mußte Frankreich ein<lb/> Wink gegeben werden, der ein „Bis hierher und nicht weiter!" bedeutete. Es<lb/> wußte ein ganz außerhalb des diplomatischen Verkehrs liegender Akt sein, der mit<lb/> der französischen und englischen Politik äußerlich nichts zu tun hatte, aber doch aller<lb/> Welt Deutschlands Entschlossenheit zeigte, die Rechtslage in Marokko nicht über<lb/> seinen Kopf hinweg ändern zu lassen. Das wurde bekanntlich dadurch erreicht, daß<lb/> der Kaiser bei Gelegenheit seiner Frühjahrsfahrt ins Mittelmeer Tanger anlief und<lb/> durch den offiziellen Verkehr mit dem zu seiner Begrüßung entsandten Vertreter<lb/> des Sultans die Möglichkeit fand, öffentlich die Unabhängigkeit Marokkos und die<lb/> Fortdauer seiner direkten Beziehungen zu Deutschland zu betonen. Nun mußte<lb/> Frankreich seine Karten aufdecken; es mußte, wenn es weiter wollte, sich mit<lb/> Deutschland verständigen oder direkt feindselig auftreten. Durch die Entfernung<lb/> Delcasses wählte es den ersten der beiden Wege, und nun war Deutschland seiner¬<lb/> seits vor die Entscheidung gestellt, ob es unter der Gunst der Umstände eine direkte<lb/> Verständigung mit Frankreich wählen und dadurch vielleicht allerlei Vorteile heraus¬<lb/> schlagen, oder ob es in selner Stellung zur Marokkofrage das einmal aufgestellte<lb/> Prinzip zäh und beharrlich festhalten solle. Die erste Möglichkeit entsprach, wie<lb/> Man wohl ruhig aussprechen darf, den Wünschen der öffentlichen Meinung in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0379]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Konferenz zu sichern, und dann die Konferenz selbst mit ihren unangenehmen Er¬
fahrungen bei der für Deutschland sehr ungünstigen Gruppierung der Mächte und
mit den Zugeständnissen, die Deutschland machen mußte, wenn nicht die Konferenz
gesprengt werden sollte. Vom Standpunkt einer Aktionspolitik, wie sie von großen
Gruppen nationaler Politiker in Deutschland gewünscht wurde, waren die in
Algeciras erhaltnen Eindrücke sehr unerfreulich. Man hielt in diesen Kreisen das
Ergebnis für eine „Blamage" der deutschen Politik. Wenn nun jetzt neue Ver¬
wicklungen entsteh», die Frankreich zum selbständigen, gewaltsamen Vorgehen gegen
Marokko nötigen, so ist es nicht zu verwundern, daß das Mißvergnügen der ge¬
schilderten Kreise über die Lage in Marokko, das angebliche Fiasko der Konferenz
von Algeciras und die scheinbar unglückliche Rolle der deutschen Politik sehr ver¬
stärkt worden ist.
Nun kann man vielleicht unsrer Regierung bei einzelnen Phasen ihrer Marokko-
Politik manchen taktischen Mißgriff und manchen „Kunstfehler" nachweisen, aber ge¬
recht wird man doch nur urteilen können, wenn man feststellt, daß sich die Regierung
die Ansichten und Wünsche jener Aktionspolitiker niemals, in keinem Stadium
ihrer Marokkopolitik, zu eigen gemacht hat. Sie hat von Anfang an eine ganz
andre Auffassung vertreten, die übrigens in nicht minder gutnationalen Kreisen
vollkommen geteilt und gebilligt worden ist. Sie hat es immer abgelehnt, irgend¬
welche politischen Ziele in Marokko zu verfolgen, dagegen den realen wirtschaft¬
lichen Interessen deutscher Reichsangehöriger in Marokko die größte Aufmerksamkeit
und Fürsorge zugewandt. Nun versuchte Frankreich auf dem Wege einer Ver¬
ständigung mit England ohne Hinzuziehung andrer Mächte eine Lage in Marokko
zu schaffen, die sich mit den deutschen Interessen nicht vertrug. Überdies versuchte
die französische Politik unter Delcasses Führung diese schon inhaltlich den deutschen
Interessen zuwiderlaufenden Bestrebungen in einer Form und Methode zu ver¬
folgen, die sich Deutschland um seines Ansehens und seiner Würde Wille» nicht ge¬
fallen lassen konnte. Dieser Taktik gegenüber befand sich Deutschland in einer
schwierigen Lage. Noch war nichts vorgefallen, was eine direkte Handhabe zum
Einschreiten bot. Vorstellungen zu erheben auf die bloße Beobachtung hin, daß
die französische Politik so handelte, als ob Deutschland nicht vorhanden sei, war
sehr mißlich, denn es führte direkt in den Konflikt mit Frankreich hinein und ließ
dabei Deutschland als deu Angreifer erscheinen. Und doch mußte Frankreich ein
Wink gegeben werden, der ein „Bis hierher und nicht weiter!" bedeutete. Es
wußte ein ganz außerhalb des diplomatischen Verkehrs liegender Akt sein, der mit
der französischen und englischen Politik äußerlich nichts zu tun hatte, aber doch aller
Welt Deutschlands Entschlossenheit zeigte, die Rechtslage in Marokko nicht über
seinen Kopf hinweg ändern zu lassen. Das wurde bekanntlich dadurch erreicht, daß
der Kaiser bei Gelegenheit seiner Frühjahrsfahrt ins Mittelmeer Tanger anlief und
durch den offiziellen Verkehr mit dem zu seiner Begrüßung entsandten Vertreter
des Sultans die Möglichkeit fand, öffentlich die Unabhängigkeit Marokkos und die
Fortdauer seiner direkten Beziehungen zu Deutschland zu betonen. Nun mußte
Frankreich seine Karten aufdecken; es mußte, wenn es weiter wollte, sich mit
Deutschland verständigen oder direkt feindselig auftreten. Durch die Entfernung
Delcasses wählte es den ersten der beiden Wege, und nun war Deutschland seiner¬
seits vor die Entscheidung gestellt, ob es unter der Gunst der Umstände eine direkte
Verständigung mit Frankreich wählen und dadurch vielleicht allerlei Vorteile heraus¬
schlagen, oder ob es in selner Stellung zur Marokkofrage das einmal aufgestellte
Prinzip zäh und beharrlich festhalten solle. Die erste Möglichkeit entsprach, wie
Man wohl ruhig aussprechen darf, den Wünschen der öffentlichen Meinung in
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |