Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Deutschtums, namentlich zur Kolonisation, zur Kreditgewährung, zur Errichtung und Der letzte Punkt in diesen Zusagen ist von besondrer Bedeutung. Es wird Nun steht das Gespenst der Marokkofrage einmal wieder am politischen Freilich taucht an vielen Stellen auch die Sorge auf, daß durch die neuste Maßgebliches und Unmaßgebliches Deutschtums, namentlich zur Kolonisation, zur Kreditgewährung, zur Errichtung und Der letzte Punkt in diesen Zusagen ist von besondrer Bedeutung. Es wird Nun steht das Gespenst der Marokkofrage einmal wieder am politischen Freilich taucht an vielen Stellen auch die Sorge auf, daß durch die neuste <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303080"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2225" prev="#ID_2224"> Deutschtums, namentlich zur Kolonisation, zur Kreditgewährung, zur Errichtung und<lb/> reichen Stipendierung deutscher Volkshochschulen, zur Gewährung einer auskömmliche»<lb/> Nordmarkszulage für die Volksschullehrer und zum Bau von Dienstwohnungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2226"> Der letzte Punkt in diesen Zusagen ist von besondrer Bedeutung. Es wird<lb/> ein aktives Vorgehen gegen das irredentistische Dänentum geplant. Die Dänen<lb/> haben das der Dreistigkeit zu verdanken, mit der sie ihre letzten Ziele enthüllen<lb/> und darauf hinarbeiten. Erst kürzlich hat sich wieder der Reichstags- und Land¬<lb/> tagsabgeordnete H. P. Hanffer, dem seiner Zeit von einem preußischen Gerichtshof<lb/> bescheinigt wurde, daß seine Tätigkeit sich nicht mit dem Treueid, den er als Mit¬<lb/> glied des preußischen Abgeordnetenhauses dem König geleistet habe, vereinigen lasse,<lb/> an irredentistischen Kundgebungen in Dänemark beteiligt. Wenn man das Auftreten<lb/> dieses „deutschen" Parlamentariers auf dänischen Boden, z. B. neuerdings in<lb/> Stubbekjöbing auf der Insel Falster, näher betrachtet, kann man nur die Geduld<lb/> und die Rücksichtnahme bewundern, die die preußische Regierung diesem aufreizenden,<lb/> friedenstörenden, in seinen Zielen landesverräterischen Treiben von Leuten, die von<lb/> Rechts wegen preußische Untertanen sind, zuteil werden läßt. Diese Leute sind der<lb/> lebendige Beweis, daß von wirklicher Unterdrückung nicht die Rede ist, und wenn<lb/> behauptet wird, daß die Gerechtigkeit zu kurz kommt, so kann das nur insofern zu¬<lb/> treffen, als die deutschen Interessen nicht immer kräftig und streng genug gegen<lb/> Herausforderungen des dänischen Übermuts geschützt werden. Also hoffen wir, daß<lb/> der Kurs unsrer innern Dänenpolitik jetzt ein für allemal feststeht, und die Deutschen<lb/> in Nordschleswig nicht wieder in die Lage peinlicher Enttäuschung gebracht werden!</p><lb/> <p xml:id="ID_2227"> Nun steht das Gespenst der Marokkofrage einmal wieder am politischen<lb/> Horizont und gibt den Stoff zu recht bunten Betrachtungen. In Wirklichkeit besteht<lb/> diesmal kein unmittelbarer Anlaß zur Sorge wegen möglicher Verwicklungen zwischen<lb/> den europäischen Mächten. Die Lage ist heute ganz anders als vor der Algeciras-<lb/> konferenz, weil sämtliche Mächte auf einer gemeinsam anerkannten Rechtslage fußen<lb/> und gar keine Lust haben, sich deswegen ohne Not zu veruneinigen. Immerhin<lb/> ist Vorsicht und Wachsamkeit nötig, weil bei dem Fanatismus der Marokkaner mit<lb/> ganz überraschenden Zwischenfällen gerechnet werden muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_2228" next="#ID_2229"> Freilich taucht an vielen Stellen auch die Sorge auf, daß durch die neuste<lb/> Entwicklung die Algecirasakte vollständig hinfällig werden könnte, und darin er¬<lb/> blickt man einen schweren Schlag für das Prestige des Deutschen Reiches. Das<lb/> scheint vielleicht auf den ersten Blick einleuchtend, und doch vergißt man dabei,<lb/> was die Algecirasakte eigentlich zu bedeuten hat. Ob es Fälle geben kann, die in<lb/> den Abmachungen von Algeciras nicht vorgesehen sind, oder ob ihr Inhalt in<lb/> einzelnen Punkten über kurz oder lang der Abänderung bedarf, darauf kommt es<lb/> ja gar nicht an. Wir müssen uns klar machen, daß wir mit zwei von Hause aus<lb/> ganz verschiednen Auffassungen der Marokkofrage zu tun hatten, die nebeneinander<lb/> herliefen, und deren Berührungen eigentlich nur Mißverständnisse erzeugten. Die<lb/> eine Auffassung entstand aus dem Gedanken, Deutschland bedürfe, seit es afrikanische<lb/> Kolonialmacht geworden war, auch in Nordafrika eines Stützpunktes, und das könne<lb/> nur Marokko sein, wo die deutschen Handelsinteressen einen zusehends wachsenden<lb/> Raum gewannen. Begierig wartete man auf den Augenblick, wo Deutschland seine<lb/> Hand auf Marokko legen würde, und daher empfand man das englisch-französische<lb/> Abkommen von 1904 als einen schweren Schlag, als eine Niederlage der deutschen<lb/> Interessen. Dann kam die Zeit, wo die deutsche Politik dem Versuch Delcassts,<lb/> uns auszuschalten, entgegentrat, und nun glaubten die Anhänger jener unter¬<lb/> nehmenden Marokkopolitik, es sei die Erfüllung ihrer Wünsche gekommen. Statt<lb/> dessen begannen die langwierigen Unterhandlungen, um das Zustandekommen der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0378]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Deutschtums, namentlich zur Kolonisation, zur Kreditgewährung, zur Errichtung und
reichen Stipendierung deutscher Volkshochschulen, zur Gewährung einer auskömmliche»
Nordmarkszulage für die Volksschullehrer und zum Bau von Dienstwohnungen.
Der letzte Punkt in diesen Zusagen ist von besondrer Bedeutung. Es wird
ein aktives Vorgehen gegen das irredentistische Dänentum geplant. Die Dänen
haben das der Dreistigkeit zu verdanken, mit der sie ihre letzten Ziele enthüllen
und darauf hinarbeiten. Erst kürzlich hat sich wieder der Reichstags- und Land¬
tagsabgeordnete H. P. Hanffer, dem seiner Zeit von einem preußischen Gerichtshof
bescheinigt wurde, daß seine Tätigkeit sich nicht mit dem Treueid, den er als Mit¬
glied des preußischen Abgeordnetenhauses dem König geleistet habe, vereinigen lasse,
an irredentistischen Kundgebungen in Dänemark beteiligt. Wenn man das Auftreten
dieses „deutschen" Parlamentariers auf dänischen Boden, z. B. neuerdings in
Stubbekjöbing auf der Insel Falster, näher betrachtet, kann man nur die Geduld
und die Rücksichtnahme bewundern, die die preußische Regierung diesem aufreizenden,
friedenstörenden, in seinen Zielen landesverräterischen Treiben von Leuten, die von
Rechts wegen preußische Untertanen sind, zuteil werden läßt. Diese Leute sind der
lebendige Beweis, daß von wirklicher Unterdrückung nicht die Rede ist, und wenn
behauptet wird, daß die Gerechtigkeit zu kurz kommt, so kann das nur insofern zu¬
treffen, als die deutschen Interessen nicht immer kräftig und streng genug gegen
Herausforderungen des dänischen Übermuts geschützt werden. Also hoffen wir, daß
der Kurs unsrer innern Dänenpolitik jetzt ein für allemal feststeht, und die Deutschen
in Nordschleswig nicht wieder in die Lage peinlicher Enttäuschung gebracht werden!
Nun steht das Gespenst der Marokkofrage einmal wieder am politischen
Horizont und gibt den Stoff zu recht bunten Betrachtungen. In Wirklichkeit besteht
diesmal kein unmittelbarer Anlaß zur Sorge wegen möglicher Verwicklungen zwischen
den europäischen Mächten. Die Lage ist heute ganz anders als vor der Algeciras-
konferenz, weil sämtliche Mächte auf einer gemeinsam anerkannten Rechtslage fußen
und gar keine Lust haben, sich deswegen ohne Not zu veruneinigen. Immerhin
ist Vorsicht und Wachsamkeit nötig, weil bei dem Fanatismus der Marokkaner mit
ganz überraschenden Zwischenfällen gerechnet werden muß.
Freilich taucht an vielen Stellen auch die Sorge auf, daß durch die neuste
Entwicklung die Algecirasakte vollständig hinfällig werden könnte, und darin er¬
blickt man einen schweren Schlag für das Prestige des Deutschen Reiches. Das
scheint vielleicht auf den ersten Blick einleuchtend, und doch vergißt man dabei,
was die Algecirasakte eigentlich zu bedeuten hat. Ob es Fälle geben kann, die in
den Abmachungen von Algeciras nicht vorgesehen sind, oder ob ihr Inhalt in
einzelnen Punkten über kurz oder lang der Abänderung bedarf, darauf kommt es
ja gar nicht an. Wir müssen uns klar machen, daß wir mit zwei von Hause aus
ganz verschiednen Auffassungen der Marokkofrage zu tun hatten, die nebeneinander
herliefen, und deren Berührungen eigentlich nur Mißverständnisse erzeugten. Die
eine Auffassung entstand aus dem Gedanken, Deutschland bedürfe, seit es afrikanische
Kolonialmacht geworden war, auch in Nordafrika eines Stützpunktes, und das könne
nur Marokko sein, wo die deutschen Handelsinteressen einen zusehends wachsenden
Raum gewannen. Begierig wartete man auf den Augenblick, wo Deutschland seine
Hand auf Marokko legen würde, und daher empfand man das englisch-französische
Abkommen von 1904 als einen schweren Schlag, als eine Niederlage der deutschen
Interessen. Dann kam die Zeit, wo die deutsche Politik dem Versuch Delcassts,
uns auszuschalten, entgegentrat, und nun glaubten die Anhänger jener unter¬
nehmenden Marokkopolitik, es sei die Erfüllung ihrer Wünsche gekommen. Statt
dessen begannen die langwierigen Unterhandlungen, um das Zustandekommen der
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