Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Line Mittclmeerfahrt nach Spanien allen Seiten in ein lichtes Chaos von grau abtönt. Blei- und Schiefergrau Aber die Nacht kommt, und der Himmel löst sich aus in einem heftigen, Am Morgen des fünften Tages taucht Spanien auf wie eine violette Über den Wolken glänzt es weiß, und als diese sich gegen Morgen zer¬ Zur Mittagszeit gleiten wir in den Hafen von Malaga. Malaga ist die¬ Grenzboten III 1907 47
Line Mittclmeerfahrt nach Spanien allen Seiten in ein lichtes Chaos von grau abtönt. Blei- und Schiefergrau Aber die Nacht kommt, und der Himmel löst sich aus in einem heftigen, Am Morgen des fünften Tages taucht Spanien auf wie eine violette Über den Wolken glänzt es weiß, und als diese sich gegen Morgen zer¬ Zur Mittagszeit gleiten wir in den Hafen von Malaga. Malaga ist die¬ Grenzboten III 1907 47
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303067"/> <fw type="header" place="top"> Line Mittclmeerfahrt nach Spanien</fw><lb/> <p xml:id="ID_2122" prev="#ID_2121"> allen Seiten in ein lichtes Chaos von grau abtönt. Blei- und Schiefergrau<lb/> stehn als dunkle Töne zwischen Hellem Zement- und Perlgrau; der Rauch hängt<lb/> wie eine Rohseidenschleppe über dem schweren Quecksilberton des Kielwassers.<lb/> Grau in allen Tönen und Schattierungen, und weiter nichts als grau! Wohl¬<lb/> tuend sanft, eintönig und dennoch reich quillt es uns entgegen wie ein Farben¬<lb/> gedicht ohne Farben: so summt das Volk seine Poesien über die Welt; so<lb/> hat der Urnebel ausgesehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_2123"> Aber die Nacht kommt, und der Himmel löst sich aus in einem heftigen,<lb/> fast beklemmenden Violett, das den Puls wieder lauter schlagen macht. Und<lb/> das Meer fließt schwarz und träge wie Teer. Diese Nächte mit ihrem Glucksen<lb/> und Gurgeln unter dem Schiffe, dem schwachen Klingen des Logs und dem<lb/> derben Schnarchen der Mannschaft unter Back! Und dazu die große seltsame<lb/> Stille des Himmelsraumes, in die unablässig die dumpfen Stempelschläge des<lb/> Schiffes hacken, daß es klingt, als piete ein Totenwurm in einem großen ge¬<lb/> schlossenen Alkoven!</p><lb/> <p xml:id="ID_2124"> Am Morgen des fünften Tages taucht Spanien auf wie eine violette<lb/> Felsmauer, die sich schroff aus dem Meere erhebt, und deren oberer Rand<lb/> von Wolken verdeckt ist. Während wir näher kommen, ziehen sich jedoch die<lb/> obern Felsmassen zurück, blaue Klüfte öffnen sich und grüne Täter, ganze<lb/> Felsen lösen sich aus der Masse und treten in den Vordergrund, bis sie sich<lb/> endlich als Vorgebirge offenbaren, die sich mehrere Meilen vor die eigentliche<lb/> Küste schieben. Und wo die Klippen just in das Meer zu tauchen scheinen,<lb/> da erschaut man eine breite üppige Ebene; es sind die berühmten Huertas,<lb/> die fruchtbarste» Gegenden der Welt. Sie bilden einen Küstengürtel von<lb/> Barcelona bis südlich von Malaga und umfassen eine Strecke von mehr als<lb/> 150 deutschen Meilen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2125"> Über den Wolken glänzt es weiß, und als diese sich gegen Morgen zer¬<lb/> teilen, sehen wir südwestlich in einer Entfernung von 30 bis 40 Meilen die<lb/> mächtigen Schneefirnen der Sierra Nevada. Den ganzen Tag behalten wir<lb/> die „Schneeberge" in gleicher Richtung und Entfernung, so fern und so ge¬<lb/> waltig sind sie. Erst am nächsten Morgen kann ich durch das Fernrohr die<lb/> verschiednen Dörfer am Südabhange der Bergkette unterscheiden, das ganze<lb/> Alpujarras, das so berühmt ist wegen seiner Früchte und Schinken und seiner<lb/> tausendjährigen maurischen Sitten. Und dahinter, am Nordabhcmge der Berge,<lb/> liegt wohl Granada mit der Alhambra, der Vega, den Zigeunern.</p><lb/> <p xml:id="ID_2126" next="#ID_2127"> Zur Mittagszeit gleiten wir in den Hafen von Malaga. Malaga ist die¬<lb/> selbe freundliche Stadt wie vor sechs Jahren, reizend in ihrem Gemisch von<lb/> alt und neu: maurische Ruinen, cmdalusische Winkelgäßchen, neue Straßen<lb/> mit Holzpflaster, moderne Zementmolen. Es ist lauter Gutes, aber nichts<lb/> Charakteristisches von seinen 200000 recht rührigen Einwohnern zu sagen, die<lb/> von dem übrigen Andalusien beschuldigt werden, mit den Engländern zu lieb¬<lb/> äugeln und überdies die verdammenswerten Worte geäußert zu haben, daß ihr</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1907 47</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0365]
Line Mittclmeerfahrt nach Spanien
allen Seiten in ein lichtes Chaos von grau abtönt. Blei- und Schiefergrau
stehn als dunkle Töne zwischen Hellem Zement- und Perlgrau; der Rauch hängt
wie eine Rohseidenschleppe über dem schweren Quecksilberton des Kielwassers.
Grau in allen Tönen und Schattierungen, und weiter nichts als grau! Wohl¬
tuend sanft, eintönig und dennoch reich quillt es uns entgegen wie ein Farben¬
gedicht ohne Farben: so summt das Volk seine Poesien über die Welt; so
hat der Urnebel ausgesehn.
Aber die Nacht kommt, und der Himmel löst sich aus in einem heftigen,
fast beklemmenden Violett, das den Puls wieder lauter schlagen macht. Und
das Meer fließt schwarz und träge wie Teer. Diese Nächte mit ihrem Glucksen
und Gurgeln unter dem Schiffe, dem schwachen Klingen des Logs und dem
derben Schnarchen der Mannschaft unter Back! Und dazu die große seltsame
Stille des Himmelsraumes, in die unablässig die dumpfen Stempelschläge des
Schiffes hacken, daß es klingt, als piete ein Totenwurm in einem großen ge¬
schlossenen Alkoven!
Am Morgen des fünften Tages taucht Spanien auf wie eine violette
Felsmauer, die sich schroff aus dem Meere erhebt, und deren oberer Rand
von Wolken verdeckt ist. Während wir näher kommen, ziehen sich jedoch die
obern Felsmassen zurück, blaue Klüfte öffnen sich und grüne Täter, ganze
Felsen lösen sich aus der Masse und treten in den Vordergrund, bis sie sich
endlich als Vorgebirge offenbaren, die sich mehrere Meilen vor die eigentliche
Küste schieben. Und wo die Klippen just in das Meer zu tauchen scheinen,
da erschaut man eine breite üppige Ebene; es sind die berühmten Huertas,
die fruchtbarste» Gegenden der Welt. Sie bilden einen Küstengürtel von
Barcelona bis südlich von Malaga und umfassen eine Strecke von mehr als
150 deutschen Meilen.
Über den Wolken glänzt es weiß, und als diese sich gegen Morgen zer¬
teilen, sehen wir südwestlich in einer Entfernung von 30 bis 40 Meilen die
mächtigen Schneefirnen der Sierra Nevada. Den ganzen Tag behalten wir
die „Schneeberge" in gleicher Richtung und Entfernung, so fern und so ge¬
waltig sind sie. Erst am nächsten Morgen kann ich durch das Fernrohr die
verschiednen Dörfer am Südabhange der Bergkette unterscheiden, das ganze
Alpujarras, das so berühmt ist wegen seiner Früchte und Schinken und seiner
tausendjährigen maurischen Sitten. Und dahinter, am Nordabhcmge der Berge,
liegt wohl Granada mit der Alhambra, der Vega, den Zigeunern.
Zur Mittagszeit gleiten wir in den Hafen von Malaga. Malaga ist die¬
selbe freundliche Stadt wie vor sechs Jahren, reizend in ihrem Gemisch von
alt und neu: maurische Ruinen, cmdalusische Winkelgäßchen, neue Straßen
mit Holzpflaster, moderne Zementmolen. Es ist lauter Gutes, aber nichts
Charakteristisches von seinen 200000 recht rührigen Einwohnern zu sagen, die
von dem übrigen Andalusien beschuldigt werden, mit den Engländern zu lieb¬
äugeln und überdies die verdammenswerten Worte geäußert zu haben, daß ihr
Grenzboten III 1907 47
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