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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Line neue Blücher-Biographie

Machwerken gelehrter Kameraden vorteilhaft abstechen, und hin und wieder trifft
man auf Perlen von hinreißender Schönheit. Das Schreiben ging ihm nicht schwer
von der Hand; er schrieb viel und diktierte nur, wenn er krank war; seine
Briefe sind oft viele Seiten lang; gesammelt würden sie dicke Bände füllen."

Mündlich hat sich Blücher wohl gelegentlich in der Sprache gehen lassen,
jedoch nicht mehr, als es zu jener Zeit in der Armee allgemein üblich war.
Hier und da ist er ins Plattdeutsche verfallen. "Daß er aber im gewöhnlichen
Sprechen oder gar in gehobner Rede auffallend viel Sprachfehler gemacht
hätte, ist entschieden nicht der Fall. Valentini, der als General dem Militär-
Erzichungs- und Bildungswesen vorstand, versichert, Blücher habe "in Rücksicht
der Bildung der Mehrheit seiner Zeitgenossen auf keine Weise nachgestanden",
er habe sich "in Rede und Schrift sehr gut auszudrücken gewußt". Vielfach
werden uns seine Gespräche in gutem Deutsch wiedergegeben."

Als hervorstechendster Zug in ihm zeigt sich frühzeitig ein hochentwickelter
gesunder Menschenverstand. Las er nicht viel in Büchern, so verstand er um
so besser in den Menschen zu lesen. Im Umgang mit ihnen ist er bemüht, sich
fortzubilden, lebt er höhern geistigen und sittlichen Interessen. So ist er ein
eifriger Freimaurer gewesen, so hat er es verstanden, auch als Landwirt zeit¬
weise nach seiner bekannten ungnädigen Verabschiedung durch Friedrich den
Großen Tüchtiges zu leisten. Als Landschaftsdeputierter erfreute er sich des
Vertrauens seiner Standesgenossen, erarbeitete sich rasch in jeden Gegenstand
ein und wußte die Angelegenheiten der Landschaft mit Geschick auch dem Gro߬
kanzler von Carmer gegenüber zu vertreten.

Eine gründliche formale Bildung hat Blücher allerdings nicht gehabt; eine
solche konnte er sich bei den dürftigen Verhältnissen, in denen er aufwuchs,
und die ihn schon im Knabenalter in das Kriegsleben verwickelten, nicht an¬
eignen. Darum hat er auch später die Hilfe eines geschulten Kopfes, wie es
Gneisenau war, nicht zu entbehren vermocht. Die Wurzeln seiner Kraft sind
im Gemüt zu suchen. Aus innerer Freiheit heraus ergab sich die Größe des
Blicks, die feste Zuversicht, die ihm später über alle Schwierigkeiten der Heer¬
führung hinweggeholfen hat. Überhaupt ist es nicht vorzugsweise kalte Ver¬
standesarbeit, sondern vor allem ein tapferes, warmes Herz, das den großen
Soldaten kennzeichnet. Gleichwohl Hütte Blücher niemals eine so hohe Be¬
deutung gewinnen können, wenn er nicht auch durch hervorstechende Geistesgaben
ausgezeichnet gewesen wäre. Gerade weil sein Geist nicht mit vielem Wissen
belastet war, ist ihm die Ursprünglichkeit des Blickes gewahrt geblieben. In
diesem Sinne trifft mit entsprechenden Einschränkungen auch auf Blücher zu,
was Taine von Napoleon sagt, dessen Überlegenheit über die ihn umgebende
Kulturwelt er zum Teil daraus erklärt, daß er in den ursprünglichen und
einfachen korsischen Verhältnissen aufwuchs. "Unser Denkvermögen, sagt er
(I^Sö oriAines ac la ?ranoe vouee-llixorame, le rvAiine moclsroe I), hat nach
jahrhundertelangem Gebrauch etwas von seiner Kernigkeit, seiner Schärfe und


Line neue Blücher-Biographie

Machwerken gelehrter Kameraden vorteilhaft abstechen, und hin und wieder trifft
man auf Perlen von hinreißender Schönheit. Das Schreiben ging ihm nicht schwer
von der Hand; er schrieb viel und diktierte nur, wenn er krank war; seine
Briefe sind oft viele Seiten lang; gesammelt würden sie dicke Bände füllen."

Mündlich hat sich Blücher wohl gelegentlich in der Sprache gehen lassen,
jedoch nicht mehr, als es zu jener Zeit in der Armee allgemein üblich war.
Hier und da ist er ins Plattdeutsche verfallen. „Daß er aber im gewöhnlichen
Sprechen oder gar in gehobner Rede auffallend viel Sprachfehler gemacht
hätte, ist entschieden nicht der Fall. Valentini, der als General dem Militär-
Erzichungs- und Bildungswesen vorstand, versichert, Blücher habe »in Rücksicht
der Bildung der Mehrheit seiner Zeitgenossen auf keine Weise nachgestanden«,
er habe sich »in Rede und Schrift sehr gut auszudrücken gewußt«. Vielfach
werden uns seine Gespräche in gutem Deutsch wiedergegeben."

Als hervorstechendster Zug in ihm zeigt sich frühzeitig ein hochentwickelter
gesunder Menschenverstand. Las er nicht viel in Büchern, so verstand er um
so besser in den Menschen zu lesen. Im Umgang mit ihnen ist er bemüht, sich
fortzubilden, lebt er höhern geistigen und sittlichen Interessen. So ist er ein
eifriger Freimaurer gewesen, so hat er es verstanden, auch als Landwirt zeit¬
weise nach seiner bekannten ungnädigen Verabschiedung durch Friedrich den
Großen Tüchtiges zu leisten. Als Landschaftsdeputierter erfreute er sich des
Vertrauens seiner Standesgenossen, erarbeitete sich rasch in jeden Gegenstand
ein und wußte die Angelegenheiten der Landschaft mit Geschick auch dem Gro߬
kanzler von Carmer gegenüber zu vertreten.

Eine gründliche formale Bildung hat Blücher allerdings nicht gehabt; eine
solche konnte er sich bei den dürftigen Verhältnissen, in denen er aufwuchs,
und die ihn schon im Knabenalter in das Kriegsleben verwickelten, nicht an¬
eignen. Darum hat er auch später die Hilfe eines geschulten Kopfes, wie es
Gneisenau war, nicht zu entbehren vermocht. Die Wurzeln seiner Kraft sind
im Gemüt zu suchen. Aus innerer Freiheit heraus ergab sich die Größe des
Blicks, die feste Zuversicht, die ihm später über alle Schwierigkeiten der Heer¬
führung hinweggeholfen hat. Überhaupt ist es nicht vorzugsweise kalte Ver¬
standesarbeit, sondern vor allem ein tapferes, warmes Herz, das den großen
Soldaten kennzeichnet. Gleichwohl Hütte Blücher niemals eine so hohe Be¬
deutung gewinnen können, wenn er nicht auch durch hervorstechende Geistesgaben
ausgezeichnet gewesen wäre. Gerade weil sein Geist nicht mit vielem Wissen
belastet war, ist ihm die Ursprünglichkeit des Blickes gewahrt geblieben. In
diesem Sinne trifft mit entsprechenden Einschränkungen auch auf Blücher zu,
was Taine von Napoleon sagt, dessen Überlegenheit über die ihn umgebende
Kulturwelt er zum Teil daraus erklärt, daß er in den ursprünglichen und
einfachen korsischen Verhältnissen aufwuchs. „Unser Denkvermögen, sagt er
(I^Sö oriAines ac la ?ranoe vouee-llixorame, le rvAiine moclsroe I), hat nach
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[0350] Line neue Blücher-Biographie Machwerken gelehrter Kameraden vorteilhaft abstechen, und hin und wieder trifft man auf Perlen von hinreißender Schönheit. Das Schreiben ging ihm nicht schwer von der Hand; er schrieb viel und diktierte nur, wenn er krank war; seine Briefe sind oft viele Seiten lang; gesammelt würden sie dicke Bände füllen." Mündlich hat sich Blücher wohl gelegentlich in der Sprache gehen lassen, jedoch nicht mehr, als es zu jener Zeit in der Armee allgemein üblich war. Hier und da ist er ins Plattdeutsche verfallen. „Daß er aber im gewöhnlichen Sprechen oder gar in gehobner Rede auffallend viel Sprachfehler gemacht hätte, ist entschieden nicht der Fall. Valentini, der als General dem Militär- Erzichungs- und Bildungswesen vorstand, versichert, Blücher habe »in Rücksicht der Bildung der Mehrheit seiner Zeitgenossen auf keine Weise nachgestanden«, er habe sich »in Rede und Schrift sehr gut auszudrücken gewußt«. Vielfach werden uns seine Gespräche in gutem Deutsch wiedergegeben." Als hervorstechendster Zug in ihm zeigt sich frühzeitig ein hochentwickelter gesunder Menschenverstand. Las er nicht viel in Büchern, so verstand er um so besser in den Menschen zu lesen. Im Umgang mit ihnen ist er bemüht, sich fortzubilden, lebt er höhern geistigen und sittlichen Interessen. So ist er ein eifriger Freimaurer gewesen, so hat er es verstanden, auch als Landwirt zeit¬ weise nach seiner bekannten ungnädigen Verabschiedung durch Friedrich den Großen Tüchtiges zu leisten. Als Landschaftsdeputierter erfreute er sich des Vertrauens seiner Standesgenossen, erarbeitete sich rasch in jeden Gegenstand ein und wußte die Angelegenheiten der Landschaft mit Geschick auch dem Gro߬ kanzler von Carmer gegenüber zu vertreten. Eine gründliche formale Bildung hat Blücher allerdings nicht gehabt; eine solche konnte er sich bei den dürftigen Verhältnissen, in denen er aufwuchs, und die ihn schon im Knabenalter in das Kriegsleben verwickelten, nicht an¬ eignen. Darum hat er auch später die Hilfe eines geschulten Kopfes, wie es Gneisenau war, nicht zu entbehren vermocht. Die Wurzeln seiner Kraft sind im Gemüt zu suchen. Aus innerer Freiheit heraus ergab sich die Größe des Blicks, die feste Zuversicht, die ihm später über alle Schwierigkeiten der Heer¬ führung hinweggeholfen hat. Überhaupt ist es nicht vorzugsweise kalte Ver¬ standesarbeit, sondern vor allem ein tapferes, warmes Herz, das den großen Soldaten kennzeichnet. Gleichwohl Hütte Blücher niemals eine so hohe Be¬ deutung gewinnen können, wenn er nicht auch durch hervorstechende Geistesgaben ausgezeichnet gewesen wäre. Gerade weil sein Geist nicht mit vielem Wissen belastet war, ist ihm die Ursprünglichkeit des Blickes gewahrt geblieben. In diesem Sinne trifft mit entsprechenden Einschränkungen auch auf Blücher zu, was Taine von Napoleon sagt, dessen Überlegenheit über die ihn umgebende Kulturwelt er zum Teil daraus erklärt, daß er in den ursprünglichen und einfachen korsischen Verhältnissen aufwuchs. „Unser Denkvermögen, sagt er (I^Sö oriAines ac la ?ranoe vouee-llixorame, le rvAiine moclsroe I), hat nach jahrhundertelangem Gebrauch etwas von seiner Kernigkeit, seiner Schärfe und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/350>, abgerufen am 01.09.2024.