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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Betrachtungen über innere Politik

Justiz gilt, daß zu viele Beamte vom Übel sind, das gilt auch für die Ver¬
waltung. Es wird auf diese Weise nicht nur das Schreibwerk künstlich ge¬
fördert, es liegt nicht nur eine Verschwendung von Staatsmitteln vor, die für
dringende Kulturaufgaben besser verwandt werden können, sondern es ist auch
klar, daß die Anforderungen an die geistigen Leistungen des Beamtentums um
so tiefer gestellt werden müssen, je größer die Zahl der Beamten ist. Je weniger
Beamte, um so bessere Auswahl wird man treffen können. Man darf sich wohl
nicht verhehlen, daß das Ansehen des Beamtentums in den letzten Jahrzehnten
abgenommen hat. Mit den Leistungen und Fortschritten auf wirtschaftlichem
Gebiete haben die Beamten nicht Schritt halten können; da wir aber ein nicht
nur pflichtgetreues, sondern auch tüchtiges Beamtentum in Deutschland nicht
entbehren können, so liegt alle Veranlassung vor, ernstlich zu prüfen, auf welche
Weise die Leistungsfähigkeit des Staatsbeamtentums so gehoben werden kann,
daß es das volle Vertrauen der Bevölkerung wieder gewinnt. Die Voraus¬
setzung dafür wird aber sein, daß man die Zahl der Beamten nach Möglichkeit
vermindert. Eine kleinere Zahl von Beamten wird man dann auch leichter mit der
freiern Auffassung zu erfülle" vermögen, die Graf Posadowsky gefordert hat.

Wenn es hiernach von der Initiative der Staatsregierung abhängt, dafür
zu sorgen, daß sich unsre Verwaltung von den kleinen Ideen des alten Polizei¬
staates frei macht, so hat allerdings auf die Erfüllung des andern Wunsches, daß
die Opferfreudigkeit und Großherzigkeit in wirtschaftlichen Dingen zunehmen möge,
und daß materialistische Weltanschauung und Genußsucht nicht weiter überhand¬
nehmen möchten, die Regierung keinen Einfluß. Daß in einem Volke, dessen Wohl¬
stand dauernd wächst, auch das Wohlleben und die Freude am Genusse zunimmt,
kann schließlich nicht wundernehmen, und es ist dabei doch auch zu berücksichtigen,
daß nicht nur die Freude an materiellen, sondern auch die an edeln Genüssen zu¬
genommen hat. Die vergangnen Jahrzehnte, in denen unsre Vorfahren vielleicht
behaglich und zufrieden, aber auch recht armselig und freudlos dahinlebten, wird
man doch auch nicht zurückwünschen können. Daß die Opferfreudigkeit in unserm
öffentlichen Leben noch nicht so entwickelt ist, wie erwünscht wäre, ist gewiß
richtig. Aber Fortschritte sind doch auch auf diesem Gebiete gemacht worden,
manches ist geschaffen worden, und wenn noch mehr zu tun übrig bleibt, so ist
zu bedenken, daß unsre wirtschaftliche Entwicklung seit dem Kriege mit Frank¬
reich überstürzt war, daß wir zu schnell reich geworden sind, und daß wir, wie
es in solchen Fällen zu gehen Pflegt, noch nicht Zeit gehabt haben, die Eigen¬
schaften zu entwickeln, die zu dem neuen Wohlstande gehören.

Damit soll die Bedeutung der Worte des Staatssekretärs nicht angezweifelt
werden. Wenn ein Staatsmann wie Graf Posadowsky von der hohen Warte aus,
auf der er so viele Jahre gestanden hat, solche Mahnungen ausspricht, so hat er das
sicherlich getan auf Grund vielfacher Erfahrungen und Beobachtungen, und diese
Mahnung sollte deshalb nicht vergessen werden. Inwieweit die Mängel, die uns
auf diesen Gebieten anhaften, dazu beigetragen haben, dem erschreckenden Wachstum


Betrachtungen über innere Politik

Justiz gilt, daß zu viele Beamte vom Übel sind, das gilt auch für die Ver¬
waltung. Es wird auf diese Weise nicht nur das Schreibwerk künstlich ge¬
fördert, es liegt nicht nur eine Verschwendung von Staatsmitteln vor, die für
dringende Kulturaufgaben besser verwandt werden können, sondern es ist auch
klar, daß die Anforderungen an die geistigen Leistungen des Beamtentums um
so tiefer gestellt werden müssen, je größer die Zahl der Beamten ist. Je weniger
Beamte, um so bessere Auswahl wird man treffen können. Man darf sich wohl
nicht verhehlen, daß das Ansehen des Beamtentums in den letzten Jahrzehnten
abgenommen hat. Mit den Leistungen und Fortschritten auf wirtschaftlichem
Gebiete haben die Beamten nicht Schritt halten können; da wir aber ein nicht
nur pflichtgetreues, sondern auch tüchtiges Beamtentum in Deutschland nicht
entbehren können, so liegt alle Veranlassung vor, ernstlich zu prüfen, auf welche
Weise die Leistungsfähigkeit des Staatsbeamtentums so gehoben werden kann,
daß es das volle Vertrauen der Bevölkerung wieder gewinnt. Die Voraus¬
setzung dafür wird aber sein, daß man die Zahl der Beamten nach Möglichkeit
vermindert. Eine kleinere Zahl von Beamten wird man dann auch leichter mit der
freiern Auffassung zu erfülle» vermögen, die Graf Posadowsky gefordert hat.

Wenn es hiernach von der Initiative der Staatsregierung abhängt, dafür
zu sorgen, daß sich unsre Verwaltung von den kleinen Ideen des alten Polizei¬
staates frei macht, so hat allerdings auf die Erfüllung des andern Wunsches, daß
die Opferfreudigkeit und Großherzigkeit in wirtschaftlichen Dingen zunehmen möge,
und daß materialistische Weltanschauung und Genußsucht nicht weiter überhand¬
nehmen möchten, die Regierung keinen Einfluß. Daß in einem Volke, dessen Wohl¬
stand dauernd wächst, auch das Wohlleben und die Freude am Genusse zunimmt,
kann schließlich nicht wundernehmen, und es ist dabei doch auch zu berücksichtigen,
daß nicht nur die Freude an materiellen, sondern auch die an edeln Genüssen zu¬
genommen hat. Die vergangnen Jahrzehnte, in denen unsre Vorfahren vielleicht
behaglich und zufrieden, aber auch recht armselig und freudlos dahinlebten, wird
man doch auch nicht zurückwünschen können. Daß die Opferfreudigkeit in unserm
öffentlichen Leben noch nicht so entwickelt ist, wie erwünscht wäre, ist gewiß
richtig. Aber Fortschritte sind doch auch auf diesem Gebiete gemacht worden,
manches ist geschaffen worden, und wenn noch mehr zu tun übrig bleibt, so ist
zu bedenken, daß unsre wirtschaftliche Entwicklung seit dem Kriege mit Frank¬
reich überstürzt war, daß wir zu schnell reich geworden sind, und daß wir, wie
es in solchen Fällen zu gehen Pflegt, noch nicht Zeit gehabt haben, die Eigen¬
schaften zu entwickeln, die zu dem neuen Wohlstande gehören.

Damit soll die Bedeutung der Worte des Staatssekretärs nicht angezweifelt
werden. Wenn ein Staatsmann wie Graf Posadowsky von der hohen Warte aus,
auf der er so viele Jahre gestanden hat, solche Mahnungen ausspricht, so hat er das
sicherlich getan auf Grund vielfacher Erfahrungen und Beobachtungen, und diese
Mahnung sollte deshalb nicht vergessen werden. Inwieweit die Mängel, die uns
auf diesen Gebieten anhaften, dazu beigetragen haben, dem erschreckenden Wachstum


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[0344] Betrachtungen über innere Politik Justiz gilt, daß zu viele Beamte vom Übel sind, das gilt auch für die Ver¬ waltung. Es wird auf diese Weise nicht nur das Schreibwerk künstlich ge¬ fördert, es liegt nicht nur eine Verschwendung von Staatsmitteln vor, die für dringende Kulturaufgaben besser verwandt werden können, sondern es ist auch klar, daß die Anforderungen an die geistigen Leistungen des Beamtentums um so tiefer gestellt werden müssen, je größer die Zahl der Beamten ist. Je weniger Beamte, um so bessere Auswahl wird man treffen können. Man darf sich wohl nicht verhehlen, daß das Ansehen des Beamtentums in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat. Mit den Leistungen und Fortschritten auf wirtschaftlichem Gebiete haben die Beamten nicht Schritt halten können; da wir aber ein nicht nur pflichtgetreues, sondern auch tüchtiges Beamtentum in Deutschland nicht entbehren können, so liegt alle Veranlassung vor, ernstlich zu prüfen, auf welche Weise die Leistungsfähigkeit des Staatsbeamtentums so gehoben werden kann, daß es das volle Vertrauen der Bevölkerung wieder gewinnt. Die Voraus¬ setzung dafür wird aber sein, daß man die Zahl der Beamten nach Möglichkeit vermindert. Eine kleinere Zahl von Beamten wird man dann auch leichter mit der freiern Auffassung zu erfülle» vermögen, die Graf Posadowsky gefordert hat. Wenn es hiernach von der Initiative der Staatsregierung abhängt, dafür zu sorgen, daß sich unsre Verwaltung von den kleinen Ideen des alten Polizei¬ staates frei macht, so hat allerdings auf die Erfüllung des andern Wunsches, daß die Opferfreudigkeit und Großherzigkeit in wirtschaftlichen Dingen zunehmen möge, und daß materialistische Weltanschauung und Genußsucht nicht weiter überhand¬ nehmen möchten, die Regierung keinen Einfluß. Daß in einem Volke, dessen Wohl¬ stand dauernd wächst, auch das Wohlleben und die Freude am Genusse zunimmt, kann schließlich nicht wundernehmen, und es ist dabei doch auch zu berücksichtigen, daß nicht nur die Freude an materiellen, sondern auch die an edeln Genüssen zu¬ genommen hat. Die vergangnen Jahrzehnte, in denen unsre Vorfahren vielleicht behaglich und zufrieden, aber auch recht armselig und freudlos dahinlebten, wird man doch auch nicht zurückwünschen können. Daß die Opferfreudigkeit in unserm öffentlichen Leben noch nicht so entwickelt ist, wie erwünscht wäre, ist gewiß richtig. Aber Fortschritte sind doch auch auf diesem Gebiete gemacht worden, manches ist geschaffen worden, und wenn noch mehr zu tun übrig bleibt, so ist zu bedenken, daß unsre wirtschaftliche Entwicklung seit dem Kriege mit Frank¬ reich überstürzt war, daß wir zu schnell reich geworden sind, und daß wir, wie es in solchen Fällen zu gehen Pflegt, noch nicht Zeit gehabt haben, die Eigen¬ schaften zu entwickeln, die zu dem neuen Wohlstande gehören. Damit soll die Bedeutung der Worte des Staatssekretärs nicht angezweifelt werden. Wenn ein Staatsmann wie Graf Posadowsky von der hohen Warte aus, auf der er so viele Jahre gestanden hat, solche Mahnungen ausspricht, so hat er das sicherlich getan auf Grund vielfacher Erfahrungen und Beobachtungen, und diese Mahnung sollte deshalb nicht vergessen werden. Inwieweit die Mängel, die uns auf diesen Gebieten anhaften, dazu beigetragen haben, dem erschreckenden Wachstum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/344>, abgerufen am 01.09.2024.