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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Lthik und Kapitalismus

Er sah Gott und dürstende Menschenseelen. Diese beiden zusammenbringen,
war seine Kraft. So war er Erlöser und ist es bis heute."

Den letzten Teil der Ausführungen unterschreibe ich; den ersten, wie schon
oben angedeutet, nicht. Es ist eine Überschätzung der wirtschaftlichen Größen,
die sich auch bei Nciumcmn findet. Bank-, Kreditwesen usw. sind doch nur quan-
titiv, nicht qualitativ von Christi Zeitalter unterschieden. Bei den Juden jener
Zeit gab es doch schon ein stark ausgebildetes Handels- und Geldsystem. Die
Römer hatten einen Agrikulturgroßbetrieb in ihren Latifundien, der eine respek¬
table volkswirtschaftliche Größe bedeutete. Zwischen Panzerflotte und Kanonen¬
donner und Römerflotte und Schlachttoben war doch auch nur ein quantitativer
Unterschied. Ja Handel und Krieg waren damals in einer Weise weltpolitisch,
wie wir sie erst im zwanzigsten Jahrhundert wieder erleben. Und gab es
wirklich keine Großindustrie im alten römischen Weltreich? Zum mindesten gab
es einen Kunsthandel, der in seinen Weltbeziehungen und seinem Fabrikbetrieb
Industrie war. Man kann aber für alle diese volkswirtschaftlichen Größen der
alten und der neuen Zeit oberste Maximen aus Christi Weltanschauung finden,
ohne gewaltsame Exegese: Ehrlichkeit im Handel und Geldverkehr, Solidität in
der wägenden Spekulation, in der Fabrikproduktion. Und der Ackerbau, sollte
der nicht heute noch in unmittelbarster Beziehung zu Christi Gedanken stehn?
Christus hat mit keinem Wort das strenge Verhältnis von Herren und Knechten
aufgehoben. Er verlangt vom müden Knechte, daß er vor seinem Feier¬
abend noch den Herrn zuerst bedient. In allen diesen natürlichen Lebens-
ordmmgen hat sich Christus weiter an nichts als eine natürliche Gerechtigkeit
gehalten, die weiß, daß sich die Dinge der Welt nur in festen Ordnungen
von Befehlenden und Gehorchenden ausleben und fortentwickeln. Christus hat
das Gefüge der Weltmaschine nicht zerschlagen, sondern nur das Öl der Liebe
in ihre Gelenke gegossen. Wenn also Christus über viele soziale Gliederungen
nichts sagte, so war das kein Mangel seines Zeitbildes, sondern die Achtung
bor den bestehenden Grundordnnngen der Dinge, die er auf seinen himmlischen
Vater zurückzuführen allen Grund hatte.

Würden alle modernen volkswirtschaftlichen Größen heute nur nach dem
einen Grundgesetz Christi: Liebe oder soziale Fürsorge des Starken für den
Schwachen organisierte Werke von einer Einheit sittlicher Persönlichkeiten -- ich
wüßte nicht, warum wir mit diesem einen Grundsatz Christi nicht in bessere
Zukunft steuern sollten. Ich finde, daß der soziale Geist der Liebe in den großen
Parlamenten der christlichen Völker mächtig erwacht. Da und dort reibt er sich
schlaftrunken noch die Augen, aber da und dort ist man doch im Begriff, die
Kinderschuhe zu zertreten. Gerade an dieser Stelle des Buches hätte ich zwei
Paragraphen gewünscht: Ethik und Volksvertretung. Ethik und Volksverwaltung,
oder: Wie erkennen Parlament und Regierung ihre ethischsozialen Aufgaben?

Es ist noch ein weiter Weg. bis Trcmb alle sittlichen Werturteile, die die
Beziehung zum Kapitalismus fordert, festgestellt hat. Dieser theoretische Teil


Grenzboten III 1907 39
Lthik und Kapitalismus

Er sah Gott und dürstende Menschenseelen. Diese beiden zusammenbringen,
war seine Kraft. So war er Erlöser und ist es bis heute."

Den letzten Teil der Ausführungen unterschreibe ich; den ersten, wie schon
oben angedeutet, nicht. Es ist eine Überschätzung der wirtschaftlichen Größen,
die sich auch bei Nciumcmn findet. Bank-, Kreditwesen usw. sind doch nur quan-
titiv, nicht qualitativ von Christi Zeitalter unterschieden. Bei den Juden jener
Zeit gab es doch schon ein stark ausgebildetes Handels- und Geldsystem. Die
Römer hatten einen Agrikulturgroßbetrieb in ihren Latifundien, der eine respek¬
table volkswirtschaftliche Größe bedeutete. Zwischen Panzerflotte und Kanonen¬
donner und Römerflotte und Schlachttoben war doch auch nur ein quantitativer
Unterschied. Ja Handel und Krieg waren damals in einer Weise weltpolitisch,
wie wir sie erst im zwanzigsten Jahrhundert wieder erleben. Und gab es
wirklich keine Großindustrie im alten römischen Weltreich? Zum mindesten gab
es einen Kunsthandel, der in seinen Weltbeziehungen und seinem Fabrikbetrieb
Industrie war. Man kann aber für alle diese volkswirtschaftlichen Größen der
alten und der neuen Zeit oberste Maximen aus Christi Weltanschauung finden,
ohne gewaltsame Exegese: Ehrlichkeit im Handel und Geldverkehr, Solidität in
der wägenden Spekulation, in der Fabrikproduktion. Und der Ackerbau, sollte
der nicht heute noch in unmittelbarster Beziehung zu Christi Gedanken stehn?
Christus hat mit keinem Wort das strenge Verhältnis von Herren und Knechten
aufgehoben. Er verlangt vom müden Knechte, daß er vor seinem Feier¬
abend noch den Herrn zuerst bedient. In allen diesen natürlichen Lebens-
ordmmgen hat sich Christus weiter an nichts als eine natürliche Gerechtigkeit
gehalten, die weiß, daß sich die Dinge der Welt nur in festen Ordnungen
von Befehlenden und Gehorchenden ausleben und fortentwickeln. Christus hat
das Gefüge der Weltmaschine nicht zerschlagen, sondern nur das Öl der Liebe
in ihre Gelenke gegossen. Wenn also Christus über viele soziale Gliederungen
nichts sagte, so war das kein Mangel seines Zeitbildes, sondern die Achtung
bor den bestehenden Grundordnnngen der Dinge, die er auf seinen himmlischen
Vater zurückzuführen allen Grund hatte.

Würden alle modernen volkswirtschaftlichen Größen heute nur nach dem
einen Grundgesetz Christi: Liebe oder soziale Fürsorge des Starken für den
Schwachen organisierte Werke von einer Einheit sittlicher Persönlichkeiten — ich
wüßte nicht, warum wir mit diesem einen Grundsatz Christi nicht in bessere
Zukunft steuern sollten. Ich finde, daß der soziale Geist der Liebe in den großen
Parlamenten der christlichen Völker mächtig erwacht. Da und dort reibt er sich
schlaftrunken noch die Augen, aber da und dort ist man doch im Begriff, die
Kinderschuhe zu zertreten. Gerade an dieser Stelle des Buches hätte ich zwei
Paragraphen gewünscht: Ethik und Volksvertretung. Ethik und Volksverwaltung,
oder: Wie erkennen Parlament und Regierung ihre ethischsozialen Aufgaben?

Es ist noch ein weiter Weg. bis Trcmb alle sittlichen Werturteile, die die
Beziehung zum Kapitalismus fordert, festgestellt hat. Dieser theoretische Teil


Grenzboten III 1907 39
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[0305] Lthik und Kapitalismus Er sah Gott und dürstende Menschenseelen. Diese beiden zusammenbringen, war seine Kraft. So war er Erlöser und ist es bis heute." Den letzten Teil der Ausführungen unterschreibe ich; den ersten, wie schon oben angedeutet, nicht. Es ist eine Überschätzung der wirtschaftlichen Größen, die sich auch bei Nciumcmn findet. Bank-, Kreditwesen usw. sind doch nur quan- titiv, nicht qualitativ von Christi Zeitalter unterschieden. Bei den Juden jener Zeit gab es doch schon ein stark ausgebildetes Handels- und Geldsystem. Die Römer hatten einen Agrikulturgroßbetrieb in ihren Latifundien, der eine respek¬ table volkswirtschaftliche Größe bedeutete. Zwischen Panzerflotte und Kanonen¬ donner und Römerflotte und Schlachttoben war doch auch nur ein quantitativer Unterschied. Ja Handel und Krieg waren damals in einer Weise weltpolitisch, wie wir sie erst im zwanzigsten Jahrhundert wieder erleben. Und gab es wirklich keine Großindustrie im alten römischen Weltreich? Zum mindesten gab es einen Kunsthandel, der in seinen Weltbeziehungen und seinem Fabrikbetrieb Industrie war. Man kann aber für alle diese volkswirtschaftlichen Größen der alten und der neuen Zeit oberste Maximen aus Christi Weltanschauung finden, ohne gewaltsame Exegese: Ehrlichkeit im Handel und Geldverkehr, Solidität in der wägenden Spekulation, in der Fabrikproduktion. Und der Ackerbau, sollte der nicht heute noch in unmittelbarster Beziehung zu Christi Gedanken stehn? Christus hat mit keinem Wort das strenge Verhältnis von Herren und Knechten aufgehoben. Er verlangt vom müden Knechte, daß er vor seinem Feier¬ abend noch den Herrn zuerst bedient. In allen diesen natürlichen Lebens- ordmmgen hat sich Christus weiter an nichts als eine natürliche Gerechtigkeit gehalten, die weiß, daß sich die Dinge der Welt nur in festen Ordnungen von Befehlenden und Gehorchenden ausleben und fortentwickeln. Christus hat das Gefüge der Weltmaschine nicht zerschlagen, sondern nur das Öl der Liebe in ihre Gelenke gegossen. Wenn also Christus über viele soziale Gliederungen nichts sagte, so war das kein Mangel seines Zeitbildes, sondern die Achtung bor den bestehenden Grundordnnngen der Dinge, die er auf seinen himmlischen Vater zurückzuführen allen Grund hatte. Würden alle modernen volkswirtschaftlichen Größen heute nur nach dem einen Grundgesetz Christi: Liebe oder soziale Fürsorge des Starken für den Schwachen organisierte Werke von einer Einheit sittlicher Persönlichkeiten — ich wüßte nicht, warum wir mit diesem einen Grundsatz Christi nicht in bessere Zukunft steuern sollten. Ich finde, daß der soziale Geist der Liebe in den großen Parlamenten der christlichen Völker mächtig erwacht. Da und dort reibt er sich schlaftrunken noch die Augen, aber da und dort ist man doch im Begriff, die Kinderschuhe zu zertreten. Gerade an dieser Stelle des Buches hätte ich zwei Paragraphen gewünscht: Ethik und Volksvertretung. Ethik und Volksverwaltung, oder: Wie erkennen Parlament und Regierung ihre ethischsozialen Aufgaben? Es ist noch ein weiter Weg. bis Trcmb alle sittlichen Werturteile, die die Beziehung zum Kapitalismus fordert, festgestellt hat. Dieser theoretische Teil Grenzboten III 1907 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/305>, abgerufen am 01.09.2024.