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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

Stellungen breit machen konnte. Es ist unnötig, nach andern Gründen zu
suchen, wie man häufig getan hat, dieser Dilettantismus erklärt alles, was
vorgekommen ist, vollständig.

Die Kolonialverwaltung bietet ein besonders handgreifliches Beispiel der
verderblichen Wirkung des Dilettantismus und damit weiter der Bedeutung der
Persönlichkeit in der Verwaltung. Kenner wissen, daß sich auch in der innern
Verwaltung aus denselben Ursachen dieselben Folgen entwickelt haben. Es ist
zwar bei den Verhandlungen über den Entwurf von 1903 von verschiednen
Seiten behauptet worden, daß den Verwaltungsbeamten nur die allgemeine
staatswissenschaftliche Ausbildung und Vertiefung, die Kenntnis der ausländischen
Gesetzgebung, der weite Blick und Horizont für neue Reformen und Gesetze
fehlten, daß sie aber den Anforderungen der Praxis noch immer genügt hätten.
Bei den Verhandlungen über den Gesetzentwurf von 1905 gab man schon zu,
daß infolge der unzulänglichen Leistungen der Verwaltungsbeamten Mißgriffe
vorgekommen seien. Wer mitten drin steht, weiß, daß die Beamtenschaft der
Verwaltung leider auch praktisch nicht genügt, daß auch im praktischen Dienst
nicht nur tagtäglich Mißgriffe vorkommen, sondern, was weit schlimmer ist,
zahlreiche Versäumnisse -- weil eben die Beamten der Verwaltung im Durch¬
schnitt nicht mehr auf der Höhe stehn, auf der sie stehn müßten, und auf der
unsre Vorfahren unter den beiden großen Königen des achtzehnten Jahrhunderts
und in der Stein-Hardenbergischen Zeit auch standen.

Um die ganze Größe der Gefahr ermessen zu können, die hieraus für
unser Land entspringt, vergegenwärtige man sich einmal, welche Veränderungen
seit jenen Glanzzeiten der preußischen Verwaltung für uns nach außen und im
Innern eingetreten sind, und wie außerordentlich dadurch zugleich die Tätigkeit
der Verwaltung erschwert worden ist.

Nach außen ist unsre an sich gefährliche Lage inmitten Europas verschärft
worden durch die Gründung des Deutschen Reichs, das mit seiner Waffengewalt,
seiner wirtschaftlichen Macht, seinen Ansprüchen auf einen Platz an der Sonne
den Nachbarn überall in den Weg treten muß und diese jetzt geeinigt sieht,
um im geeigneten Augenblick über uns herzufallen und uns wieder zurück¬
zuwerfen in die alte politische und wirtschaftliche Ohnmacht.

Im Innern dann, um nur einiges hervorzuheben, vor allem jene gewaltigen
Umwälzungen unsrer wirtschaftlichen Verhältnisse mit ihren Folgen: den großen
Verschiebungen im Aufbau der Gesellschaft, dem Übergang vom Ackerbaustaat
zum Industriestaat, den wachsenden Gefahren des Kapitalismus, der Arbeiter¬
frage, dem Auftreten und Anwachsen der Sozialdemokratie.

Welche Fülle von verwaltungstechnischen und politischen Aufgaben erwachsen
nicht schon aus diesen wenigen, aufs Geratewohl herausgegriffenen Punkten. Ich
erinnere nur an die Kolonisation des Ostens und die Lösung der Wohnungs¬
frage, die Klonau in dem früher erwähnten Artikel über die Reform der preußischen
Verwaltung mit Recht zu den wichtigsten Aufgaben der nähern Zukunft rechnet,
oder die Zusammenfassung und Vereinfachung der Arbeiterversicherung, die noch


Grenzboten III 1307 31
Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

Stellungen breit machen konnte. Es ist unnötig, nach andern Gründen zu
suchen, wie man häufig getan hat, dieser Dilettantismus erklärt alles, was
vorgekommen ist, vollständig.

Die Kolonialverwaltung bietet ein besonders handgreifliches Beispiel der
verderblichen Wirkung des Dilettantismus und damit weiter der Bedeutung der
Persönlichkeit in der Verwaltung. Kenner wissen, daß sich auch in der innern
Verwaltung aus denselben Ursachen dieselben Folgen entwickelt haben. Es ist
zwar bei den Verhandlungen über den Entwurf von 1903 von verschiednen
Seiten behauptet worden, daß den Verwaltungsbeamten nur die allgemeine
staatswissenschaftliche Ausbildung und Vertiefung, die Kenntnis der ausländischen
Gesetzgebung, der weite Blick und Horizont für neue Reformen und Gesetze
fehlten, daß sie aber den Anforderungen der Praxis noch immer genügt hätten.
Bei den Verhandlungen über den Gesetzentwurf von 1905 gab man schon zu,
daß infolge der unzulänglichen Leistungen der Verwaltungsbeamten Mißgriffe
vorgekommen seien. Wer mitten drin steht, weiß, daß die Beamtenschaft der
Verwaltung leider auch praktisch nicht genügt, daß auch im praktischen Dienst
nicht nur tagtäglich Mißgriffe vorkommen, sondern, was weit schlimmer ist,
zahlreiche Versäumnisse — weil eben die Beamten der Verwaltung im Durch¬
schnitt nicht mehr auf der Höhe stehn, auf der sie stehn müßten, und auf der
unsre Vorfahren unter den beiden großen Königen des achtzehnten Jahrhunderts
und in der Stein-Hardenbergischen Zeit auch standen.

Um die ganze Größe der Gefahr ermessen zu können, die hieraus für
unser Land entspringt, vergegenwärtige man sich einmal, welche Veränderungen
seit jenen Glanzzeiten der preußischen Verwaltung für uns nach außen und im
Innern eingetreten sind, und wie außerordentlich dadurch zugleich die Tätigkeit
der Verwaltung erschwert worden ist.

Nach außen ist unsre an sich gefährliche Lage inmitten Europas verschärft
worden durch die Gründung des Deutschen Reichs, das mit seiner Waffengewalt,
seiner wirtschaftlichen Macht, seinen Ansprüchen auf einen Platz an der Sonne
den Nachbarn überall in den Weg treten muß und diese jetzt geeinigt sieht,
um im geeigneten Augenblick über uns herzufallen und uns wieder zurück¬
zuwerfen in die alte politische und wirtschaftliche Ohnmacht.

Im Innern dann, um nur einiges hervorzuheben, vor allem jene gewaltigen
Umwälzungen unsrer wirtschaftlichen Verhältnisse mit ihren Folgen: den großen
Verschiebungen im Aufbau der Gesellschaft, dem Übergang vom Ackerbaustaat
zum Industriestaat, den wachsenden Gefahren des Kapitalismus, der Arbeiter¬
frage, dem Auftreten und Anwachsen der Sozialdemokratie.

Welche Fülle von verwaltungstechnischen und politischen Aufgaben erwachsen
nicht schon aus diesen wenigen, aufs Geratewohl herausgegriffenen Punkten. Ich
erinnere nur an die Kolonisation des Ostens und die Lösung der Wohnungs¬
frage, die Klonau in dem früher erwähnten Artikel über die Reform der preußischen
Verwaltung mit Recht zu den wichtigsten Aufgaben der nähern Zukunft rechnet,
oder die Zusammenfassung und Vereinfachung der Arbeiterversicherung, die noch


Grenzboten III 1307 31
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/241>, abgerufen am 02.09.2024.