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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Papst plus der Zehnte

zur Einmischung in die Angelegenheiten der Gläubigen über die rein religiöse
Sphäre hinaus in die bürgerlich-praktische erstrecke. Eine ganze Reihe "auto¬
nomer" Vereine, die die "Jungen" daraufhin gebildet haben, hat nun der Papst
aufs prompteste ohne weiteres aufgelöst, auch wo sie sich in ihren Zielen und
Wegen sehr maßvoll gehalten haben; ein Blick auf die moderne Welt mag
ihn gemahnt haben, daß der Weg von scheinbar unschuldigen, heutzutage
scheinbar selbstverständlichen wirtschaftlich und sozial emanzipatorischen Be¬
strebungen zu politischen, intellektuellen, religiösen Aspirationen liberalen
Charakters viel zu kurz sei, als daß er nicht so zeitig wie möglich gesperrt
werden müßte. Konnte er freilich trotz der Androhung schwerer Kirchenstrafen
nicht verhindern, daß sehr viele der "Jungen" nunmehr aus den klerikalen
Reihen überhaupt auftraten und sich in das religiös angeblich neutrale, sozial-
radikalistische Lager begaben, so hatte er andrerseits doch die Genugtuung, daß
die schweren Strafen, die er den Geistlichen und vor allen Nomolo Murri
wegen ihrer "rebellischen" Gesinnung und Betätigung tatsächlich auferlegte, diese
mit wenigen Ausnahmen zu "löblicher Unterwerfung" unter den päpstlichen
Willen zwangen.

Was man in Deutschland Toleranz nennt, spricht aus all dem nicht. Ob
das auf das persönliche Konto des Papstes Pius des Zehnten zu schreiben
oder ob die heute allerdings sehr gesteigerte Geltung der Jesuiten dafür ver¬
antwortlich zu machen sei, scheint mir in Rücksicht auf das so streng hierarchische
System des Vatikans einer Untersuchung nicht bedürftig. Allerdings ist Pater
Weruz, der jetzige General der Jesuiten und frühere Rektor der als Hochburg
ultrakonservativen Geistes bekannten Gregorianischen "Universität", ein Feind
alles modernen Bildungs- und Freiheitsstrebens und insbesondre ein grimmer
Gegner der demokratischen Bestrebungen. Aber auch Pius der Zehnte hat schon
als Patriarch von Venedig die eindeutigsten Proben derselben Gesinnung ge¬
geben. Sein ganz persönliches Werk ist also sicherlich auch der vor einem
Jahre geschehene Erlaß an die italienischen Bischöfe, der, fußend auf den
Äußerungen eines "Geistes der Insubordination", der in die jungen Priester
dringe und sogar schon neue Theorien über die Natur des Gehorsams selbst
gezeitigt habe, Normen der Ausbildung und Disziplin folgendermaßen aufstellt.
Der Lehrstoff der Klerikerseminare soll sich auf die "Mission und die christlichen
Bestrebungen" beschränken, und es soll über Lehrer und Lehren aufs strengste
andauernd gewacht sowie außerdem verhütet werden, daß sich die Kleriker philo¬
sophische, theologische oder wissenschaftliche Belehrung auf weltlichen Universitäten
verschaffen. Die Predigt soll sich auf das Evangelium, den Tadel der Laster
und das Lob der Tugenden beschränken und sich der Erörterung moderner
Probleme enthalten: "jede Äußerung, die im Volke Abneigung gegen die höhern
Klassen wecken kann, ist und muß gelten als völlig entgegen dem wahren Geiste
der christlichen Liebe; es ist in den katholischen Veröffentlichungen jedes Wort
zu tadeln, das die Vertrauensseligkeit der Gläubigen herabsetzt und anspielt auf


Grenzboten HI 1907 Zg
Papst plus der Zehnte

zur Einmischung in die Angelegenheiten der Gläubigen über die rein religiöse
Sphäre hinaus in die bürgerlich-praktische erstrecke. Eine ganze Reihe „auto¬
nomer" Vereine, die die „Jungen" daraufhin gebildet haben, hat nun der Papst
aufs prompteste ohne weiteres aufgelöst, auch wo sie sich in ihren Zielen und
Wegen sehr maßvoll gehalten haben; ein Blick auf die moderne Welt mag
ihn gemahnt haben, daß der Weg von scheinbar unschuldigen, heutzutage
scheinbar selbstverständlichen wirtschaftlich und sozial emanzipatorischen Be¬
strebungen zu politischen, intellektuellen, religiösen Aspirationen liberalen
Charakters viel zu kurz sei, als daß er nicht so zeitig wie möglich gesperrt
werden müßte. Konnte er freilich trotz der Androhung schwerer Kirchenstrafen
nicht verhindern, daß sehr viele der „Jungen" nunmehr aus den klerikalen
Reihen überhaupt auftraten und sich in das religiös angeblich neutrale, sozial-
radikalistische Lager begaben, so hatte er andrerseits doch die Genugtuung, daß
die schweren Strafen, die er den Geistlichen und vor allen Nomolo Murri
wegen ihrer „rebellischen" Gesinnung und Betätigung tatsächlich auferlegte, diese
mit wenigen Ausnahmen zu „löblicher Unterwerfung" unter den päpstlichen
Willen zwangen.

Was man in Deutschland Toleranz nennt, spricht aus all dem nicht. Ob
das auf das persönliche Konto des Papstes Pius des Zehnten zu schreiben
oder ob die heute allerdings sehr gesteigerte Geltung der Jesuiten dafür ver¬
antwortlich zu machen sei, scheint mir in Rücksicht auf das so streng hierarchische
System des Vatikans einer Untersuchung nicht bedürftig. Allerdings ist Pater
Weruz, der jetzige General der Jesuiten und frühere Rektor der als Hochburg
ultrakonservativen Geistes bekannten Gregorianischen „Universität", ein Feind
alles modernen Bildungs- und Freiheitsstrebens und insbesondre ein grimmer
Gegner der demokratischen Bestrebungen. Aber auch Pius der Zehnte hat schon
als Patriarch von Venedig die eindeutigsten Proben derselben Gesinnung ge¬
geben. Sein ganz persönliches Werk ist also sicherlich auch der vor einem
Jahre geschehene Erlaß an die italienischen Bischöfe, der, fußend auf den
Äußerungen eines „Geistes der Insubordination", der in die jungen Priester
dringe und sogar schon neue Theorien über die Natur des Gehorsams selbst
gezeitigt habe, Normen der Ausbildung und Disziplin folgendermaßen aufstellt.
Der Lehrstoff der Klerikerseminare soll sich auf die „Mission und die christlichen
Bestrebungen" beschränken, und es soll über Lehrer und Lehren aufs strengste
andauernd gewacht sowie außerdem verhütet werden, daß sich die Kleriker philo¬
sophische, theologische oder wissenschaftliche Belehrung auf weltlichen Universitäten
verschaffen. Die Predigt soll sich auf das Evangelium, den Tadel der Laster
und das Lob der Tugenden beschränken und sich der Erörterung moderner
Probleme enthalten: „jede Äußerung, die im Volke Abneigung gegen die höhern
Klassen wecken kann, ist und muß gelten als völlig entgegen dem wahren Geiste
der christlichen Liebe; es ist in den katholischen Veröffentlichungen jedes Wort
zu tadeln, das die Vertrauensseligkeit der Gläubigen herabsetzt und anspielt auf


Grenzboten HI 1907 Zg
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/233>, abgerufen am 01.09.2024.