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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Papst Pius der Zehnte

Stuhle als der zu Unrecht und mit Gewalt von dem Könige Italiens Ge¬
fangne betrachte. Und als er die Protestnote an die Mächte wegen Loubets
Besuch im Quirinal richtete, hatte er für den König von Italien keine andre
Bezeichnung als "jener Usurpator". Auch verschmäht er die Jahresrente von
31/4 Millionen Lire, die ihm der italienische Staat kraft des Garantiegesetzes als
Entschädigung für die Säkularisierung von Kirchengütern zu zahlen verpflichtet
ist. Doch macht sich unter den obwaltenden realen Verhältnissen der italienisch¬
nationalen und der internationalen Politik Pius der Zehnte noch weniger als
seine Vorgänger Illusionen über die Möglichkeit einer Wiederaufrichtung des
Kirchenstaates selbst in beschränktem Maße oder in modifizierter Form. Seine
Genugtuung bleibt es bis auf weiteres, der unverletzliche Herr des Vatikans
zu sein und urbi se ordi in mehr und minder bösen Formen zu sagen, wie
einmal Rampolla an den Kardinal Lavigerie geschrieben hat: die Kurie erkennt
in jedem Staate jede Regierungsform und jede gesetzlich bestehende Regierung
an, selbst wenn sie die Grundsätze nicht billigt, die zu ihr geführt haben -- aber
mit Italien allein macht sie eine Ausnahme.

Es gilt darum für den Papst, unbeschadet der Aspiration auf den Kirchen¬
staat oder auf das Königtum von Rom, der Kirche die ihr seiner Meinung
nach gebührende tatsächliche Geltung auch in Italien zu schaffen. Leo der
Dreizehnte hat in einer gewissen negativen Jntransigenz davon fast völlig ab¬
gesehen. Pius der Zehnte beginnt mit einer energischen Förderung der Organisation
der Klerikalen, und zwar unter Betonung des orthodoxen Moments. Er hat das
Verbot der Beteiligung der Katholiken an den Wahlen zur Deputiertenkammer
aufgehoben, erstens um einem in deren Reihen schon allzulaut geäußerten Be¬
dürfnis zu entsprechen, zweitens weil das Interesse der Kirche durch die auf¬
steigende Flut der radikalistischen und revolutionären Elemente nicht minder
schwer gefährdet war wie das Interesse des Staates und die Errichtung eines
Dammes durch die kirchentreuen Elemente dringend nötig erscheinen ließ, drittens
und vornehmlich weil die Aufhebung die unumgängliche Voraussetzung war für
die wirksame politische Organisation der Katholiken. Das ist so wahr, daß Pius
die Beteiligung an den Politischen Wahlen keineswegs allgemein gestattete,
sondern nur vou Fall zu Fall gemäß der persönlichen Entschließung des Bischofs
der betreffenden Diözese, einer Entschließung, für die eben die Rücksicht auf die
Chancen der radikalistischen und revolutionären Massen und Kandidaten ma߬
gebend sein soll. Überdies ist zugleich an die Stelle der bisher die Klerikalen
vereinsmnßig zusammenschließenden OM-g. ciel ecmAi-sssi oattoliei, weil sie in
Verfolg von Leos des Dreizehnter sozialpolitischer Enzyklika Rsrum novarum
vom 15. Mai 1891 unter der Leitung des Grafen Grosoli in ein demokratisierendes
und modernisierendes Fahrwasser gekommen war, von Pius dem Zehnten
eine dem deutschen katholischen Volksvereine in vielen Punkten gleich geartete
Hinons sociale voxolars äei oattolioi ä'Itg.Ug. gesetzt wordeu. Diese Uniove
klerikaler Männer soll von sich fernhalten "alle Zwietracht säenden, in der


Papst Pius der Zehnte

Stuhle als der zu Unrecht und mit Gewalt von dem Könige Italiens Ge¬
fangne betrachte. Und als er die Protestnote an die Mächte wegen Loubets
Besuch im Quirinal richtete, hatte er für den König von Italien keine andre
Bezeichnung als „jener Usurpator". Auch verschmäht er die Jahresrente von
31/4 Millionen Lire, die ihm der italienische Staat kraft des Garantiegesetzes als
Entschädigung für die Säkularisierung von Kirchengütern zu zahlen verpflichtet
ist. Doch macht sich unter den obwaltenden realen Verhältnissen der italienisch¬
nationalen und der internationalen Politik Pius der Zehnte noch weniger als
seine Vorgänger Illusionen über die Möglichkeit einer Wiederaufrichtung des
Kirchenstaates selbst in beschränktem Maße oder in modifizierter Form. Seine
Genugtuung bleibt es bis auf weiteres, der unverletzliche Herr des Vatikans
zu sein und urbi se ordi in mehr und minder bösen Formen zu sagen, wie
einmal Rampolla an den Kardinal Lavigerie geschrieben hat: die Kurie erkennt
in jedem Staate jede Regierungsform und jede gesetzlich bestehende Regierung
an, selbst wenn sie die Grundsätze nicht billigt, die zu ihr geführt haben — aber
mit Italien allein macht sie eine Ausnahme.

Es gilt darum für den Papst, unbeschadet der Aspiration auf den Kirchen¬
staat oder auf das Königtum von Rom, der Kirche die ihr seiner Meinung
nach gebührende tatsächliche Geltung auch in Italien zu schaffen. Leo der
Dreizehnte hat in einer gewissen negativen Jntransigenz davon fast völlig ab¬
gesehen. Pius der Zehnte beginnt mit einer energischen Förderung der Organisation
der Klerikalen, und zwar unter Betonung des orthodoxen Moments. Er hat das
Verbot der Beteiligung der Katholiken an den Wahlen zur Deputiertenkammer
aufgehoben, erstens um einem in deren Reihen schon allzulaut geäußerten Be¬
dürfnis zu entsprechen, zweitens weil das Interesse der Kirche durch die auf¬
steigende Flut der radikalistischen und revolutionären Elemente nicht minder
schwer gefährdet war wie das Interesse des Staates und die Errichtung eines
Dammes durch die kirchentreuen Elemente dringend nötig erscheinen ließ, drittens
und vornehmlich weil die Aufhebung die unumgängliche Voraussetzung war für
die wirksame politische Organisation der Katholiken. Das ist so wahr, daß Pius
die Beteiligung an den Politischen Wahlen keineswegs allgemein gestattete,
sondern nur vou Fall zu Fall gemäß der persönlichen Entschließung des Bischofs
der betreffenden Diözese, einer Entschließung, für die eben die Rücksicht auf die
Chancen der radikalistischen und revolutionären Massen und Kandidaten ma߬
gebend sein soll. Überdies ist zugleich an die Stelle der bisher die Klerikalen
vereinsmnßig zusammenschließenden OM-g. ciel ecmAi-sssi oattoliei, weil sie in
Verfolg von Leos des Dreizehnter sozialpolitischer Enzyklika Rsrum novarum
vom 15. Mai 1891 unter der Leitung des Grafen Grosoli in ein demokratisierendes
und modernisierendes Fahrwasser gekommen war, von Pius dem Zehnten
eine dem deutschen katholischen Volksvereine in vielen Punkten gleich geartete
Hinons sociale voxolars äei oattolioi ä'Itg.Ug. gesetzt wordeu. Diese Uniove
klerikaler Männer soll von sich fernhalten „alle Zwietracht säenden, in der


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[0229] Papst Pius der Zehnte Stuhle als der zu Unrecht und mit Gewalt von dem Könige Italiens Ge¬ fangne betrachte. Und als er die Protestnote an die Mächte wegen Loubets Besuch im Quirinal richtete, hatte er für den König von Italien keine andre Bezeichnung als „jener Usurpator". Auch verschmäht er die Jahresrente von 31/4 Millionen Lire, die ihm der italienische Staat kraft des Garantiegesetzes als Entschädigung für die Säkularisierung von Kirchengütern zu zahlen verpflichtet ist. Doch macht sich unter den obwaltenden realen Verhältnissen der italienisch¬ nationalen und der internationalen Politik Pius der Zehnte noch weniger als seine Vorgänger Illusionen über die Möglichkeit einer Wiederaufrichtung des Kirchenstaates selbst in beschränktem Maße oder in modifizierter Form. Seine Genugtuung bleibt es bis auf weiteres, der unverletzliche Herr des Vatikans zu sein und urbi se ordi in mehr und minder bösen Formen zu sagen, wie einmal Rampolla an den Kardinal Lavigerie geschrieben hat: die Kurie erkennt in jedem Staate jede Regierungsform und jede gesetzlich bestehende Regierung an, selbst wenn sie die Grundsätze nicht billigt, die zu ihr geführt haben — aber mit Italien allein macht sie eine Ausnahme. Es gilt darum für den Papst, unbeschadet der Aspiration auf den Kirchen¬ staat oder auf das Königtum von Rom, der Kirche die ihr seiner Meinung nach gebührende tatsächliche Geltung auch in Italien zu schaffen. Leo der Dreizehnte hat in einer gewissen negativen Jntransigenz davon fast völlig ab¬ gesehen. Pius der Zehnte beginnt mit einer energischen Förderung der Organisation der Klerikalen, und zwar unter Betonung des orthodoxen Moments. Er hat das Verbot der Beteiligung der Katholiken an den Wahlen zur Deputiertenkammer aufgehoben, erstens um einem in deren Reihen schon allzulaut geäußerten Be¬ dürfnis zu entsprechen, zweitens weil das Interesse der Kirche durch die auf¬ steigende Flut der radikalistischen und revolutionären Elemente nicht minder schwer gefährdet war wie das Interesse des Staates und die Errichtung eines Dammes durch die kirchentreuen Elemente dringend nötig erscheinen ließ, drittens und vornehmlich weil die Aufhebung die unumgängliche Voraussetzung war für die wirksame politische Organisation der Katholiken. Das ist so wahr, daß Pius die Beteiligung an den Politischen Wahlen keineswegs allgemein gestattete, sondern nur vou Fall zu Fall gemäß der persönlichen Entschließung des Bischofs der betreffenden Diözese, einer Entschließung, für die eben die Rücksicht auf die Chancen der radikalistischen und revolutionären Massen und Kandidaten ma߬ gebend sein soll. Überdies ist zugleich an die Stelle der bisher die Klerikalen vereinsmnßig zusammenschließenden OM-g. ciel ecmAi-sssi oattoliei, weil sie in Verfolg von Leos des Dreizehnter sozialpolitischer Enzyklika Rsrum novarum vom 15. Mai 1891 unter der Leitung des Grafen Grosoli in ein demokratisierendes und modernisierendes Fahrwasser gekommen war, von Pius dem Zehnten eine dem deutschen katholischen Volksvereine in vielen Punkten gleich geartete Hinons sociale voxolars äei oattolioi ä'Itg.Ug. gesetzt wordeu. Diese Uniove klerikaler Männer soll von sich fernhalten „alle Zwietracht säenden, in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/229>, abgerufen am 01.09.2024.