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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzvechlche ^868 bis ^370

mit dem Tuilerienhof zu pflegen, während er jede Annäherung an den Nord¬
deutschen Bund vermied. Ein Zeichen zunehmender Intimität mit Paris war
es, daß Beust in diesen Tagen einen seiner nächststehenden Mitarbeiter aus der
sächsischen Zeit, den Grafen von Vitzthum-Eckstädt, zum Gesandten im nahen
Brüssel machte, um neben dem Botschafter noch einen Mann seines besondern
Vertrauens für Geheimbesprechungen am Kaiserhofe zu haben. Zunächst hatte
dieser die Aufgabe, die kaiserliche Negierung zur Geduld zu ernähren, von ge¬
wagten Schritten zurückzuhalten. "Für jetzt", erklärte Vitzthum, sei an einen
Eintritt Österreichs in die Aktion nicht zu denken.

Das Jahr ging nicht zu Ende, ohne dem Kaiser Napoleon eine neue Ent¬
täuschung zu bereiten. Sein Plan, die belgischen Eisenbahnen in den Besitz
einer französischen Gesellschaft zu bringen, scheiterte an dem Widerstande der
belgischen Negierung. Der Kaiser war über diesen abermaligen Mißerfolg, der
natürlich auf preußische Einflüsterung zurückgeführt wurde, in hohem Grade er¬
bittert, und lauter wurde der Ruf, daß Frankreichs Ehre und Ansehen einer'
gründlichen Reparation bedürften. Zu Anfang des Jahres 1869 sagte Marschall
Niet zu dem ihn besuchenden General Lebrun: "Wir werden den Krieg haben,
wir müssen ihn haben, nicht später als im Jahre 1871." Er fügte aber hinzu,
daß er einen Krieg ohne Verbündete für aussichtslos halte. Dies ist die erste
Spur davon, daß der Krieg von denen, die ihn fiir unvermeidlich hielten, für
1871 in Aussicht genommen wurde.

Indessen waren die Verhandlungen mit Italien wegen der römischen Frage,
die durch den Bruch der Septembcrkonvcntion unterbrochen worden waren,
wieder aufgenommen worden, und im Frühjahr 1869 nahmen die Umrisse einer
Tripelallianz festere Gestalt an. Nur wenige Personen waren im Geheimnis.
Von seiten des Kaisers wurde sein Staatsminister Rouher, der "Vizekaiser",
mit der Führung der Verhandlungen betraut, an denen von seiten Österreichs
der Fürst Metternich, der Hausfreund der Tuilerien, und der Graf Vitzthum,
von seiten des Königs von Italien der Militärattache Graf Vimercati und erst
in einem spätern Stadium der Gesandte Nigra teilnahmen. Zunächst kam es
zu einem vorläufigen Einverständnis mit Italien, zu einem Vorentwurf, der
einen defensiven Charakter haben sollte, aber bezeichnenderweise schon Be¬
stimmungen über die in einem möglichen Kriege zu machende Beute enthielt:
Italien verlangte eine kleine Abtretung an der französischen, eine größere an
der Tiroler Grenze, wofür Österreich durch den Wiedererwerb seiner Stellung
in Deutschland oder durch Schlesien entschädigt werden sollte. Es scheint, daß
die heikle römische Frage in diesem Vvrentwurf aus dem Spiele gelassen wurde.
Nun fragte sich, wie die Österreicher die Einladung zu einem Dreibund auf¬
nehmen würden. Vorsichtig wie immer wiesen sie die ersten Vorschlüge als
unannehmbar zurück. Es sollte alles vermieden werden, was der Übereinkunft
einen offensiven Charakter geben konnte. Vitzthum reiste im Mürz nach Wien,
um sich genanere Weisungen zu holen, und brachte einen Gegenvorschlag zurück,


Frankreichs Allianzvechlche ^868 bis ^370

mit dem Tuilerienhof zu pflegen, während er jede Annäherung an den Nord¬
deutschen Bund vermied. Ein Zeichen zunehmender Intimität mit Paris war
es, daß Beust in diesen Tagen einen seiner nächststehenden Mitarbeiter aus der
sächsischen Zeit, den Grafen von Vitzthum-Eckstädt, zum Gesandten im nahen
Brüssel machte, um neben dem Botschafter noch einen Mann seines besondern
Vertrauens für Geheimbesprechungen am Kaiserhofe zu haben. Zunächst hatte
dieser die Aufgabe, die kaiserliche Negierung zur Geduld zu ernähren, von ge¬
wagten Schritten zurückzuhalten. „Für jetzt", erklärte Vitzthum, sei an einen
Eintritt Österreichs in die Aktion nicht zu denken.

Das Jahr ging nicht zu Ende, ohne dem Kaiser Napoleon eine neue Ent¬
täuschung zu bereiten. Sein Plan, die belgischen Eisenbahnen in den Besitz
einer französischen Gesellschaft zu bringen, scheiterte an dem Widerstande der
belgischen Negierung. Der Kaiser war über diesen abermaligen Mißerfolg, der
natürlich auf preußische Einflüsterung zurückgeführt wurde, in hohem Grade er¬
bittert, und lauter wurde der Ruf, daß Frankreichs Ehre und Ansehen einer'
gründlichen Reparation bedürften. Zu Anfang des Jahres 1869 sagte Marschall
Niet zu dem ihn besuchenden General Lebrun: „Wir werden den Krieg haben,
wir müssen ihn haben, nicht später als im Jahre 1871." Er fügte aber hinzu,
daß er einen Krieg ohne Verbündete für aussichtslos halte. Dies ist die erste
Spur davon, daß der Krieg von denen, die ihn fiir unvermeidlich hielten, für
1871 in Aussicht genommen wurde.

Indessen waren die Verhandlungen mit Italien wegen der römischen Frage,
die durch den Bruch der Septembcrkonvcntion unterbrochen worden waren,
wieder aufgenommen worden, und im Frühjahr 1869 nahmen die Umrisse einer
Tripelallianz festere Gestalt an. Nur wenige Personen waren im Geheimnis.
Von seiten des Kaisers wurde sein Staatsminister Rouher, der „Vizekaiser",
mit der Führung der Verhandlungen betraut, an denen von seiten Österreichs
der Fürst Metternich, der Hausfreund der Tuilerien, und der Graf Vitzthum,
von seiten des Königs von Italien der Militärattache Graf Vimercati und erst
in einem spätern Stadium der Gesandte Nigra teilnahmen. Zunächst kam es
zu einem vorläufigen Einverständnis mit Italien, zu einem Vorentwurf, der
einen defensiven Charakter haben sollte, aber bezeichnenderweise schon Be¬
stimmungen über die in einem möglichen Kriege zu machende Beute enthielt:
Italien verlangte eine kleine Abtretung an der französischen, eine größere an
der Tiroler Grenze, wofür Österreich durch den Wiedererwerb seiner Stellung
in Deutschland oder durch Schlesien entschädigt werden sollte. Es scheint, daß
die heikle römische Frage in diesem Vvrentwurf aus dem Spiele gelassen wurde.
Nun fragte sich, wie die Österreicher die Einladung zu einem Dreibund auf¬
nehmen würden. Vorsichtig wie immer wiesen sie die ersten Vorschlüge als
unannehmbar zurück. Es sollte alles vermieden werden, was der Übereinkunft
einen offensiven Charakter geben konnte. Vitzthum reiste im Mürz nach Wien,
um sich genanere Weisungen zu holen, und brachte einen Gegenvorschlag zurück,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/22>, abgerufen am 01.09.2024.