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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzversuche 11,863 bis ^870

ein freundliches Verhältnis zwischen den alten Gegnern herzustellen. Die Ab¬
tretung Veneziens hatte das Haupthindernis einer Verständigung aus dem Wege
geräumt. Was die Italiener weiter begehrten, die Gewinnung der Hauptstadt
Rom, das hing vom Wohlwollen des Kaisers Napoleon ab. Noch eben waren
sie die glücklichen Verbündeten Preußens gewesen, doch der ältere Verbündete
war Napoleon, und daß seit Mendana die Franzosen wieder als die Wächter
des Papstes in Rom standen, schärfte den Italienern von neuem das Bewußt¬
sein ihrer Abhängigkeit vom Kaiser ein. Sie waren, wenn sie ihr Ziel erreichen
wollten, an dessen Politik enger gebunden als je. So waren die Bedingungen
zu einer Tripelallianz gegeben, die gegen das Werk von 1866, zum mindesten
gegen eine Ausdehnung, gegen die Vollendung dieses Werkes gerichtet war.
Man hat mit Recht in dieser Situation die Einleitung zu einer Kriegsver-
schwörnng erblickt, "ähnlich derjenigen, die dem siebenjährigen Krieg voran¬
gegangen ist". Bis zum Abschluß bindender Verträge war freilich noch ein
weiter Weg.

Zum erstenmal scheint während der Luxemburger Krisis der Kaiser Napoleon
wegen einer Offensivallianz in Wien angeklopft zu haben, ein plumper Versuch,
den Beust rundweg zurückwies, jedoch ohne damit die Anknüpfung enger Be¬
ziehungen zu Frankreich überhaupt abzuweisen Dann gab die Salzburger Zu-
sammenkunft im August 1867 zu einem Meinungsaustausch Anlaß, wobei, ohne
daß es zu förmlichen Abmachungen ,kam, Übereinstimmung darüber festgestellt
wurde, daß an deu Bestimmungen des Prager Friedens festgehalten und die
Überschreitung der Mainlinie nicht gestattet werden solle. Der Besuch Napoleons
in Salzburg wurde im Oktober von Franz Joseph in Paris erwidert. Auf der
Rückreise verabschiedete sich der österreichische Kaiser in Straßburg von dem dort
kommandierender General Ducrot nach einem Gespräch über die Gemeinsamkeit
der beiderseitigen Interessen mit den Worten: "Wie Sie, hoffe ich, daß wir
eines Tages zusammen marschieren werden." War einmal eine Übereinstimmung
in wichtigen europäischen Fragen festgestellt, so führte das von selbst zu dem
weitern, wenn auch zunächst noch ganz allgemeinen Gedanken einer künftigen
Waffenbrüderschaft.

Im Juli des folgenden Jahres tat der Kaiser Napoleon einen weitern
Schritt. Er regte dnrch den österreichischen Botschafter, den Fürsten Metternich,
eine gemeinschaftliche Jnterpellation an Preußen wegen der Versuche zur Über¬
schreitung der Mainlinie an. Abermals wich Beust aus, mit der Begründung,
daß jede Drohung gegen Deutschland nur um so sichrer die süddeutschen Staaten
in die Arme Preußens treiben würde. Er schlug dafür vor, der Kaiser möge
eine allgemeine Abrüstung in Anregung bringen, falls Preußen eine befriedigende
Erklärung über die Aufrechterhaltung der Bestimmungen des Prager Friedens
gebe. Es war derselbe Gedanke, nur in abgeschwächter Form, fand aber nicht
den Beifall des Kaisers. Jeder Verlockung zu einer Offensivpolitik gegen
Preußen wich Beust sorgfältig aus, aber er fuhr fort, das engste Einvernehmen


Frankreichs Allianzversuche 11,863 bis ^870

ein freundliches Verhältnis zwischen den alten Gegnern herzustellen. Die Ab¬
tretung Veneziens hatte das Haupthindernis einer Verständigung aus dem Wege
geräumt. Was die Italiener weiter begehrten, die Gewinnung der Hauptstadt
Rom, das hing vom Wohlwollen des Kaisers Napoleon ab. Noch eben waren
sie die glücklichen Verbündeten Preußens gewesen, doch der ältere Verbündete
war Napoleon, und daß seit Mendana die Franzosen wieder als die Wächter
des Papstes in Rom standen, schärfte den Italienern von neuem das Bewußt¬
sein ihrer Abhängigkeit vom Kaiser ein. Sie waren, wenn sie ihr Ziel erreichen
wollten, an dessen Politik enger gebunden als je. So waren die Bedingungen
zu einer Tripelallianz gegeben, die gegen das Werk von 1866, zum mindesten
gegen eine Ausdehnung, gegen die Vollendung dieses Werkes gerichtet war.
Man hat mit Recht in dieser Situation die Einleitung zu einer Kriegsver-
schwörnng erblickt, „ähnlich derjenigen, die dem siebenjährigen Krieg voran¬
gegangen ist". Bis zum Abschluß bindender Verträge war freilich noch ein
weiter Weg.

Zum erstenmal scheint während der Luxemburger Krisis der Kaiser Napoleon
wegen einer Offensivallianz in Wien angeklopft zu haben, ein plumper Versuch,
den Beust rundweg zurückwies, jedoch ohne damit die Anknüpfung enger Be¬
ziehungen zu Frankreich überhaupt abzuweisen Dann gab die Salzburger Zu-
sammenkunft im August 1867 zu einem Meinungsaustausch Anlaß, wobei, ohne
daß es zu förmlichen Abmachungen ,kam, Übereinstimmung darüber festgestellt
wurde, daß an deu Bestimmungen des Prager Friedens festgehalten und die
Überschreitung der Mainlinie nicht gestattet werden solle. Der Besuch Napoleons
in Salzburg wurde im Oktober von Franz Joseph in Paris erwidert. Auf der
Rückreise verabschiedete sich der österreichische Kaiser in Straßburg von dem dort
kommandierender General Ducrot nach einem Gespräch über die Gemeinsamkeit
der beiderseitigen Interessen mit den Worten: „Wie Sie, hoffe ich, daß wir
eines Tages zusammen marschieren werden." War einmal eine Übereinstimmung
in wichtigen europäischen Fragen festgestellt, so führte das von selbst zu dem
weitern, wenn auch zunächst noch ganz allgemeinen Gedanken einer künftigen
Waffenbrüderschaft.

Im Juli des folgenden Jahres tat der Kaiser Napoleon einen weitern
Schritt. Er regte dnrch den österreichischen Botschafter, den Fürsten Metternich,
eine gemeinschaftliche Jnterpellation an Preußen wegen der Versuche zur Über¬
schreitung der Mainlinie an. Abermals wich Beust aus, mit der Begründung,
daß jede Drohung gegen Deutschland nur um so sichrer die süddeutschen Staaten
in die Arme Preußens treiben würde. Er schlug dafür vor, der Kaiser möge
eine allgemeine Abrüstung in Anregung bringen, falls Preußen eine befriedigende
Erklärung über die Aufrechterhaltung der Bestimmungen des Prager Friedens
gebe. Es war derselbe Gedanke, nur in abgeschwächter Form, fand aber nicht
den Beifall des Kaisers. Jeder Verlockung zu einer Offensivpolitik gegen
Preußen wich Beust sorgfältig aus, aber er fuhr fort, das engste Einvernehmen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/21>, abgerufen am 01.09.2024.