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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Naturwissenschaft und Theismus

charakter tragen, schließlich die charakteristischen Formen der Art und endlich
das Individuum. So hat K. E. von Baer in allen Punkten Recht behalten,
und das biogenetische Grundgesetz Haeckels, jene halb physiologische halb historische
Zwitterbildung, löst sich in blauen Dunst auf." In dem längern Essay äußert
er sich über die Verbreitung des Haeckeltums. Er habe den Eindruck gewonnen,
"daß die Zeitungen ihren Leser für ein Konglomerat von ziemlich widerwärtigen
Eigenschaften und Instinkten halten, wie Eitelkeit, Hochmut, Ungerechtigkeit,
Neid und Habgier". Man dürfe sich demnach auch über die Verbreitung der
Lehren Haeckels nicht wundern, "denn der Haeckelismus ist seinem wahren
Wesen nach nichts als eine einzige Predigt gegen die Bildung". Uxkull schließt
mit dem Satze: "Ich halte es für meine Pflicht, als Fachmann dagegen Ver¬
wahrung einzulegen, daß Haeckel und seine Apostel immer noch die Natur¬
forschung als Autorität anrufen bei der Verkündigung ihrer Allerwelts-
unwahrheiten, nachdem die neuen Forschungen gerade das Gegenteil als richtig
erwiesen haben."

Reinkes Herrenhausrede hat selbstverständlich in der liberalen Presse einen
Sturm sittlicher Entrüstung hervorgerufen. Nicht bloß die Jugend und der
Kladderadatsch haben ihm schöne Verse gewidmet -- die Witzblätter leben ja
zum großen Teil von der Verhöhnung der Religion und aller, die ein Wort
für die Religion wagen --, sondern sogar der Tag hat den Pegasus bestiegen.
Die Berliner Zeitung am Mittag hört schon den Scheiterhaufen knistern, und
das Jenaer Volksblatt überschreibt seinen Erguß: "Ein modernes Ketzergericht".
Wozu bemerkt werden muß, daß der Großinquisitor in Jena residiert und Haeckel
heißt, denn dieser und seine Trabanten sind es, die jedes noch so begründete
und klar erwiesne Forschungsergebnis als Ketzerei verdammen, wenn es der
orthodoxen Lehre des Jenenser Papstes widerspricht. Die Gegner zu verbrennen,
gelüstet heutzutage wohl keine der beiden Parteien, denn darin hat sich der
Volksgeschmack seit der guten alten Zeit wirklich gebessert; aber während der
Verkündigung des Haeckelschen Monismus als alleinseligmachenden Dogmas
von den Lehrstühlen der Hochschulen noch nie das mindeste Hindernis bereitet
worden ist, hat vor ein paar Jahren im Freien Wort ein Vertreter der unfehl¬
baren Wissenschaft die Forderung erhoben: einem Manne, der noch so borniert
sei, daß er an Gott glaube, dürfe keine Professur der Naturwissenschaften anver¬
traut werden. Von den Kathedern also würde das moderne Ketzergericht alle
Ketzer gegen die Haeckelsche Lehre aussperren, wenn es die Macht hätte. Will
man lernen, wies gemacht wird, so muß man den Artikel: "Haeckel als Umstürzler"
im Berliner Tageblatt lesen. Gegenstand der "lodernden Verfolgungssucht"
Reinkes sei Haeckel. Wenn Haeckel alle Forscher, die sich erlauben, von seinen
Dogmen abzuweichen, beschimpft, als Dummköpfe, Jesuiten, am w-u-ÄSUms
Lknilis siechende Schwätzer der Verachtung der studierenden Jugend und des
Zeitungspublikums preisgibt, so ist das ganz in der Ordnung. Wenn dagegen
einer der Gemißhandelten in ruhigen Worten gegen dieses Verfahren im Namen
der Wissenschaft protestiert, so ist das lodernde Verfolgungssucht. Reinke hat


Naturwissenschaft und Theismus

charakter tragen, schließlich die charakteristischen Formen der Art und endlich
das Individuum. So hat K. E. von Baer in allen Punkten Recht behalten,
und das biogenetische Grundgesetz Haeckels, jene halb physiologische halb historische
Zwitterbildung, löst sich in blauen Dunst auf." In dem längern Essay äußert
er sich über die Verbreitung des Haeckeltums. Er habe den Eindruck gewonnen,
„daß die Zeitungen ihren Leser für ein Konglomerat von ziemlich widerwärtigen
Eigenschaften und Instinkten halten, wie Eitelkeit, Hochmut, Ungerechtigkeit,
Neid und Habgier". Man dürfe sich demnach auch über die Verbreitung der
Lehren Haeckels nicht wundern, „denn der Haeckelismus ist seinem wahren
Wesen nach nichts als eine einzige Predigt gegen die Bildung". Uxkull schließt
mit dem Satze: „Ich halte es für meine Pflicht, als Fachmann dagegen Ver¬
wahrung einzulegen, daß Haeckel und seine Apostel immer noch die Natur¬
forschung als Autorität anrufen bei der Verkündigung ihrer Allerwelts-
unwahrheiten, nachdem die neuen Forschungen gerade das Gegenteil als richtig
erwiesen haben."

Reinkes Herrenhausrede hat selbstverständlich in der liberalen Presse einen
Sturm sittlicher Entrüstung hervorgerufen. Nicht bloß die Jugend und der
Kladderadatsch haben ihm schöne Verse gewidmet — die Witzblätter leben ja
zum großen Teil von der Verhöhnung der Religion und aller, die ein Wort
für die Religion wagen —, sondern sogar der Tag hat den Pegasus bestiegen.
Die Berliner Zeitung am Mittag hört schon den Scheiterhaufen knistern, und
das Jenaer Volksblatt überschreibt seinen Erguß: „Ein modernes Ketzergericht".
Wozu bemerkt werden muß, daß der Großinquisitor in Jena residiert und Haeckel
heißt, denn dieser und seine Trabanten sind es, die jedes noch so begründete
und klar erwiesne Forschungsergebnis als Ketzerei verdammen, wenn es der
orthodoxen Lehre des Jenenser Papstes widerspricht. Die Gegner zu verbrennen,
gelüstet heutzutage wohl keine der beiden Parteien, denn darin hat sich der
Volksgeschmack seit der guten alten Zeit wirklich gebessert; aber während der
Verkündigung des Haeckelschen Monismus als alleinseligmachenden Dogmas
von den Lehrstühlen der Hochschulen noch nie das mindeste Hindernis bereitet
worden ist, hat vor ein paar Jahren im Freien Wort ein Vertreter der unfehl¬
baren Wissenschaft die Forderung erhoben: einem Manne, der noch so borniert
sei, daß er an Gott glaube, dürfe keine Professur der Naturwissenschaften anver¬
traut werden. Von den Kathedern also würde das moderne Ketzergericht alle
Ketzer gegen die Haeckelsche Lehre aussperren, wenn es die Macht hätte. Will
man lernen, wies gemacht wird, so muß man den Artikel: „Haeckel als Umstürzler"
im Berliner Tageblatt lesen. Gegenstand der „lodernden Verfolgungssucht"
Reinkes sei Haeckel. Wenn Haeckel alle Forscher, die sich erlauben, von seinen
Dogmen abzuweichen, beschimpft, als Dummköpfe, Jesuiten, am w-u-ÄSUms
Lknilis siechende Schwätzer der Verachtung der studierenden Jugend und des
Zeitungspublikums preisgibt, so ist das ganz in der Ordnung. Wenn dagegen
einer der Gemißhandelten in ruhigen Worten gegen dieses Verfahren im Namen
der Wissenschaft protestiert, so ist das lodernde Verfolgungssucht. Reinke hat


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[0198] Naturwissenschaft und Theismus charakter tragen, schließlich die charakteristischen Formen der Art und endlich das Individuum. So hat K. E. von Baer in allen Punkten Recht behalten, und das biogenetische Grundgesetz Haeckels, jene halb physiologische halb historische Zwitterbildung, löst sich in blauen Dunst auf." In dem längern Essay äußert er sich über die Verbreitung des Haeckeltums. Er habe den Eindruck gewonnen, „daß die Zeitungen ihren Leser für ein Konglomerat von ziemlich widerwärtigen Eigenschaften und Instinkten halten, wie Eitelkeit, Hochmut, Ungerechtigkeit, Neid und Habgier". Man dürfe sich demnach auch über die Verbreitung der Lehren Haeckels nicht wundern, „denn der Haeckelismus ist seinem wahren Wesen nach nichts als eine einzige Predigt gegen die Bildung". Uxkull schließt mit dem Satze: „Ich halte es für meine Pflicht, als Fachmann dagegen Ver¬ wahrung einzulegen, daß Haeckel und seine Apostel immer noch die Natur¬ forschung als Autorität anrufen bei der Verkündigung ihrer Allerwelts- unwahrheiten, nachdem die neuen Forschungen gerade das Gegenteil als richtig erwiesen haben." Reinkes Herrenhausrede hat selbstverständlich in der liberalen Presse einen Sturm sittlicher Entrüstung hervorgerufen. Nicht bloß die Jugend und der Kladderadatsch haben ihm schöne Verse gewidmet — die Witzblätter leben ja zum großen Teil von der Verhöhnung der Religion und aller, die ein Wort für die Religion wagen —, sondern sogar der Tag hat den Pegasus bestiegen. Die Berliner Zeitung am Mittag hört schon den Scheiterhaufen knistern, und das Jenaer Volksblatt überschreibt seinen Erguß: „Ein modernes Ketzergericht". Wozu bemerkt werden muß, daß der Großinquisitor in Jena residiert und Haeckel heißt, denn dieser und seine Trabanten sind es, die jedes noch so begründete und klar erwiesne Forschungsergebnis als Ketzerei verdammen, wenn es der orthodoxen Lehre des Jenenser Papstes widerspricht. Die Gegner zu verbrennen, gelüstet heutzutage wohl keine der beiden Parteien, denn darin hat sich der Volksgeschmack seit der guten alten Zeit wirklich gebessert; aber während der Verkündigung des Haeckelschen Monismus als alleinseligmachenden Dogmas von den Lehrstühlen der Hochschulen noch nie das mindeste Hindernis bereitet worden ist, hat vor ein paar Jahren im Freien Wort ein Vertreter der unfehl¬ baren Wissenschaft die Forderung erhoben: einem Manne, der noch so borniert sei, daß er an Gott glaube, dürfe keine Professur der Naturwissenschaften anver¬ traut werden. Von den Kathedern also würde das moderne Ketzergericht alle Ketzer gegen die Haeckelsche Lehre aussperren, wenn es die Macht hätte. Will man lernen, wies gemacht wird, so muß man den Artikel: „Haeckel als Umstürzler" im Berliner Tageblatt lesen. Gegenstand der „lodernden Verfolgungssucht" Reinkes sei Haeckel. Wenn Haeckel alle Forscher, die sich erlauben, von seinen Dogmen abzuweichen, beschimpft, als Dummköpfe, Jesuiten, am w-u-ÄSUms Lknilis siechende Schwätzer der Verachtung der studierenden Jugend und des Zeitungspublikums preisgibt, so ist das ganz in der Ordnung. Wenn dagegen einer der Gemißhandelten in ruhigen Worten gegen dieses Verfahren im Namen der Wissenschaft protestiert, so ist das lodernde Verfolgungssucht. Reinke hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/198>, abgerufen am 01.09.2024.