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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzversuche 1.363 bis 1.870

daß Sie uns vom Kriege abrieten, bis zu dem Augenblick, da Sie den Grafen
Vitzthum nach Paris schickten. (13. Juli.) Ich will sogar gern anerkennen, daß
Sie uns noch am 13. Juli anrieten, uns mit dem Verzicht des Prinzen von
Hohenzollern zufrieden zu geben." In der Tat war Beust mit der Überstürzung,
die sich in Paris seit dem 6. Juli zeigte, im höchsten Grad unzufrieden. Er
ließ keinen Zweifel darüber, daß Österreich nicht daran denke, sich über die
Grenze, die ihm durch seine Lebensinteressen und durch seine materielle Lage
gezogen sei, fortreißen zu lassen. "Die einzige Verpflichtung, die wir gegen¬
seitig eingegangen haben, besteht darin, uns nicht einseitig mit einer dritten
Macht ins Benehmen zu setzen. Diese Verpflichtung werden wir streng ein¬
halten. Der Kriegsfall ist wohl in den Vorverhandlungen erörtert worden.
Es ist jedoch nichts fest beschlossen worden, und selbst wenn man den skizzen¬
haft gebliebner Plänen, die übrigens zum erklärten Zweck nicht einen Krieg,
sondern die Aufrechthaltung des Friedens bezweckten, sowie dem Austausch der
Ansichten einen reellem Wert geben wollte, könnte man daraus nicht die
Folgerung ableiten, daß wir zu einer bewaffneten Demonstration verpflichtet
seien, wenn es Frankreich beliebte, sie von uns zu fordern." So in der De¬
pesche Beusts an Metternich vom 11. Juli. In dem begleitenden Privatbrief
wies Beust noch in bestimmterer Form die Zumutung zurück, sich wegen einer
Frage, "die uns nichts angeht", in einen Krieg hineinreißen zu lassen auf
Grund von angeblichen Stipulationen, die "nicht durch unsre Schuld" bloße
Projekte geblieben sind. Bis zur letzten Stunde hat Beust nichts versäumt,
den französischen Staatslenkern jede Illusion zu nehmen, nichts, sie zu warnen
vor einem Kriege, der in diesem Augenblick und über diese Frage herbeigeführt,
nur zum Nachteil ausschlagen konnte, vor einer Politik, die Süddeutschland in
die Arme Preußens treiben und somit gerade das herbeiführen mußte, was
Beust durch seine Verbindung mit Frankreich zu verhindern gedachte. Am
15. Juli schrieb Cazcmx von Beust: "er hat einen tiefen Haß auf Preußen ge¬
worfen und möchte es erniedrigen. . . . Aber als es zur Aktion kommen sollte,
war er überrascht und aus dem Konzept gebracht. Er glaubte nicht, daß die
Stunde, die er herbeisehnte und zugleich fürchtete, so rasch kommen werde. Das
sind seine eignen Worte."

Die Stunde, die eine Entscheidung verlangte, war gekommen, als in der
Nacht zum 15. Juli in Paris die Kriegserklärung beschlossen wurde. Es gab
kein Innehalten mehr auf dem eingeschlagnen Wege. "Haben Sie Allianzen?"
wurde der Herzog von Gramont in der Kommission gefragt, die der Gesetz¬
gebende Körper zur Beratung der Kriegsvorlagen einsetzte. Der Herzog gab
eine ausweichende Antwort, aber er hatte keine Zeit verloren, sich der Bundes¬
genossen zu versichern. In einer Konferenz, die er noch am Abend des 15. Juli
mit Metternich, Vitzthum und Vimercati hatte, wurde rasch ein vorläufiger
Bundesentwurf vereinbart, der, wie Busch wahrscheinlich gemacht hat, aus den
drei Punkten bestand: 1. Bündnis der drei Mächte, 2. als Vorstufe dazu eine


Frankreichs Allianzversuche 1.363 bis 1.870

daß Sie uns vom Kriege abrieten, bis zu dem Augenblick, da Sie den Grafen
Vitzthum nach Paris schickten. (13. Juli.) Ich will sogar gern anerkennen, daß
Sie uns noch am 13. Juli anrieten, uns mit dem Verzicht des Prinzen von
Hohenzollern zufrieden zu geben." In der Tat war Beust mit der Überstürzung,
die sich in Paris seit dem 6. Juli zeigte, im höchsten Grad unzufrieden. Er
ließ keinen Zweifel darüber, daß Österreich nicht daran denke, sich über die
Grenze, die ihm durch seine Lebensinteressen und durch seine materielle Lage
gezogen sei, fortreißen zu lassen. „Die einzige Verpflichtung, die wir gegen¬
seitig eingegangen haben, besteht darin, uns nicht einseitig mit einer dritten
Macht ins Benehmen zu setzen. Diese Verpflichtung werden wir streng ein¬
halten. Der Kriegsfall ist wohl in den Vorverhandlungen erörtert worden.
Es ist jedoch nichts fest beschlossen worden, und selbst wenn man den skizzen¬
haft gebliebner Plänen, die übrigens zum erklärten Zweck nicht einen Krieg,
sondern die Aufrechthaltung des Friedens bezweckten, sowie dem Austausch der
Ansichten einen reellem Wert geben wollte, könnte man daraus nicht die
Folgerung ableiten, daß wir zu einer bewaffneten Demonstration verpflichtet
seien, wenn es Frankreich beliebte, sie von uns zu fordern." So in der De¬
pesche Beusts an Metternich vom 11. Juli. In dem begleitenden Privatbrief
wies Beust noch in bestimmterer Form die Zumutung zurück, sich wegen einer
Frage, „die uns nichts angeht", in einen Krieg hineinreißen zu lassen auf
Grund von angeblichen Stipulationen, die „nicht durch unsre Schuld" bloße
Projekte geblieben sind. Bis zur letzten Stunde hat Beust nichts versäumt,
den französischen Staatslenkern jede Illusion zu nehmen, nichts, sie zu warnen
vor einem Kriege, der in diesem Augenblick und über diese Frage herbeigeführt,
nur zum Nachteil ausschlagen konnte, vor einer Politik, die Süddeutschland in
die Arme Preußens treiben und somit gerade das herbeiführen mußte, was
Beust durch seine Verbindung mit Frankreich zu verhindern gedachte. Am
15. Juli schrieb Cazcmx von Beust: „er hat einen tiefen Haß auf Preußen ge¬
worfen und möchte es erniedrigen. . . . Aber als es zur Aktion kommen sollte,
war er überrascht und aus dem Konzept gebracht. Er glaubte nicht, daß die
Stunde, die er herbeisehnte und zugleich fürchtete, so rasch kommen werde. Das
sind seine eignen Worte."

Die Stunde, die eine Entscheidung verlangte, war gekommen, als in der
Nacht zum 15. Juli in Paris die Kriegserklärung beschlossen wurde. Es gab
kein Innehalten mehr auf dem eingeschlagnen Wege. „Haben Sie Allianzen?"
wurde der Herzog von Gramont in der Kommission gefragt, die der Gesetz¬
gebende Körper zur Beratung der Kriegsvorlagen einsetzte. Der Herzog gab
eine ausweichende Antwort, aber er hatte keine Zeit verloren, sich der Bundes¬
genossen zu versichern. In einer Konferenz, die er noch am Abend des 15. Juli
mit Metternich, Vitzthum und Vimercati hatte, wurde rasch ein vorläufiger
Bundesentwurf vereinbart, der, wie Busch wahrscheinlich gemacht hat, aus den
drei Punkten bestand: 1. Bündnis der drei Mächte, 2. als Vorstufe dazu eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/182>, abgerufen am 01.09.2024.