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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Die moderne chinesische Armee

auf den praktischen Dienst und die Militärwissenschaften. In allem muß mit
den einfachsten Dingen begonnen werden, da meist jede Vorkenntnis fehlt, und
die Anschauungen von Grund auf einer Korrektur bedürfen. Häufig werden
den Lehrern große Schwierigkeiten von ihren Vorgesetzten in den Weg gelegt.
Am schlimmsten soll es sein, wenn sich hohe Beamte, die nie in ihrem Leben
militärische Stellungen bekleidet haben, bemüßigt finden, Befehle und An¬
ordnungen zu erlassen, die allen Grundsätzen der Kriegskunst und militärischer
Disziplin zuwiderlaufe". Oft soll es auch vorkommen, daß hohe und höchste Zoll¬
beamte wie Oberrichter, Salztaotai u. a. Paraden und Besichtigungen abhalten
oder gar im Nebenamt die Stellung höherer Truppenkommandenre bekleiden.

Der Kursus auf einer Militärschule dauert nach einer Verordnung der
Zentralregierung vier Jahre, doch wird diese Zeitdauer nicht streng innege¬
halten, da es sowohl solche Zöglinge gibt, die acht und mehr Jahre eine
Militärschnle besuchen, als auch solche, die durch Protektion erst kurz vor der
Entlassung Aufnahme finden. Eine Lebensaltersgrenze zur Aufnahme in die
Schule ist nicht vorgeschrieben, und so kommt es, daß neben jungen Leuten
von sechzehn Jahren auch solche von sechsundvierzig und darüber dem Unter¬
richt folgen.

Wenn nach erfolgter Heeresreorganisation auch die Verhältnisse besser
werden mögen, so ist es bis jetzt doch Tatsache gewesen, daß nach absolvierter
Schule nur ein geringer Prozentsatz (10 bis 12) aller Aspiranten auf eine An¬
stellung im Provinzheere rechnen konnte. Dadurch verlieren die Militärschulen
natürlich an Bedeutung, und die aufgewandte Mühe der Lehrer muß ver¬
loren gehn, wenn die Mehrzahl der für den Militärberuf bestimmten und darin
ausgebildeten Zöglinge nach beendeter Lehrzeit nicht in der Armee unterkommen
kann. Aber auch das wird vielleicht anders werden, wenn erst die Reform der
Militärschulen festen Fuß gefaßt haben wird.

Was die Art der Lehrmethode in theoretischer Hinsicht anlangt, so ist
sie nicht leicht zu nennen, denn es müssen zum Beispiel die vorzutragenden
Reglements Wort für Wort ins Chinesische übersetzt und dann an die Klassen¬
tafeln geschrieben werden, von denen es die Schüler in ihre Hefte übertragen
und dann auswendig lernen. Erschwert wird der Unterricht auch durch den
Umstand, daß einschlägige chinesische Bücher meist fehlen oder noch nicht all¬
gemein vorhanden sind, sodaß jedes Wort, wenn es gelernt werden soll, zuvor
auf die Tafel gezeichnet werden muß. Auf diese Weise geht natürlich viel Zeit
verloren, und Fortschritte werden nur langsam gemacht.

In praktischer Beziehung sind die Resultate besser und mitunter auch ohne
so viel Schwierigkeiten zu erreichen, wie sie in der Schulstube bestehn. Ein
interessanter Bericht über eine kürzlich in der Militärschule in Tsinanfu abge¬
haltene Besichtigung beweist dies und ist zugleich lehrreich für die Überein¬
stimmung, die in der Ausbildung auf den Militärschulen und in den Truppen¬
lagern herrscht.


Die moderne chinesische Armee

auf den praktischen Dienst und die Militärwissenschaften. In allem muß mit
den einfachsten Dingen begonnen werden, da meist jede Vorkenntnis fehlt, und
die Anschauungen von Grund auf einer Korrektur bedürfen. Häufig werden
den Lehrern große Schwierigkeiten von ihren Vorgesetzten in den Weg gelegt.
Am schlimmsten soll es sein, wenn sich hohe Beamte, die nie in ihrem Leben
militärische Stellungen bekleidet haben, bemüßigt finden, Befehle und An¬
ordnungen zu erlassen, die allen Grundsätzen der Kriegskunst und militärischer
Disziplin zuwiderlaufe». Oft soll es auch vorkommen, daß hohe und höchste Zoll¬
beamte wie Oberrichter, Salztaotai u. a. Paraden und Besichtigungen abhalten
oder gar im Nebenamt die Stellung höherer Truppenkommandenre bekleiden.

Der Kursus auf einer Militärschule dauert nach einer Verordnung der
Zentralregierung vier Jahre, doch wird diese Zeitdauer nicht streng innege¬
halten, da es sowohl solche Zöglinge gibt, die acht und mehr Jahre eine
Militärschnle besuchen, als auch solche, die durch Protektion erst kurz vor der
Entlassung Aufnahme finden. Eine Lebensaltersgrenze zur Aufnahme in die
Schule ist nicht vorgeschrieben, und so kommt es, daß neben jungen Leuten
von sechzehn Jahren auch solche von sechsundvierzig und darüber dem Unter¬
richt folgen.

Wenn nach erfolgter Heeresreorganisation auch die Verhältnisse besser
werden mögen, so ist es bis jetzt doch Tatsache gewesen, daß nach absolvierter
Schule nur ein geringer Prozentsatz (10 bis 12) aller Aspiranten auf eine An¬
stellung im Provinzheere rechnen konnte. Dadurch verlieren die Militärschulen
natürlich an Bedeutung, und die aufgewandte Mühe der Lehrer muß ver¬
loren gehn, wenn die Mehrzahl der für den Militärberuf bestimmten und darin
ausgebildeten Zöglinge nach beendeter Lehrzeit nicht in der Armee unterkommen
kann. Aber auch das wird vielleicht anders werden, wenn erst die Reform der
Militärschulen festen Fuß gefaßt haben wird.

Was die Art der Lehrmethode in theoretischer Hinsicht anlangt, so ist
sie nicht leicht zu nennen, denn es müssen zum Beispiel die vorzutragenden
Reglements Wort für Wort ins Chinesische übersetzt und dann an die Klassen¬
tafeln geschrieben werden, von denen es die Schüler in ihre Hefte übertragen
und dann auswendig lernen. Erschwert wird der Unterricht auch durch den
Umstand, daß einschlägige chinesische Bücher meist fehlen oder noch nicht all¬
gemein vorhanden sind, sodaß jedes Wort, wenn es gelernt werden soll, zuvor
auf die Tafel gezeichnet werden muß. Auf diese Weise geht natürlich viel Zeit
verloren, und Fortschritte werden nur langsam gemacht.

In praktischer Beziehung sind die Resultate besser und mitunter auch ohne
so viel Schwierigkeiten zu erreichen, wie sie in der Schulstube bestehn. Ein
interessanter Bericht über eine kürzlich in der Militärschule in Tsinanfu abge¬
haltene Besichtigung beweist dies und ist zugleich lehrreich für die Überein¬
stimmung, die in der Ausbildung auf den Militärschulen und in den Truppen¬
lagern herrscht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/119>, abgerufen am 01.09.2024.