Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches drängen zu lassen. Und die politischen Rückwirkungen dieser neuen Stellung müssen In der innern Politik hat die jüngst beendete Zeit der parlamentarischen Maßgebliches und Unmaßgebliches drängen zu lassen. Und die politischen Rückwirkungen dieser neuen Stellung müssen In der innern Politik hat die jüngst beendete Zeit der parlamentarischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0703" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302691"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_3058" prev="#ID_3057"> drängen zu lassen. Und die politischen Rückwirkungen dieser neuen Stellung müssen<lb/> Wir in den Kauf nehmen. Es ist eine gefährliche Kurzsichtigkeit vieler ehrlich<lb/> patriotisch empfindenden Deutschen, ohne tieferes Nachdenken dem entschwundnen<lb/> Glanz der Bismarckzeit nachzutrauern, und statt die Zeichen der Zeit und ihre<lb/> wahre Bedeutung zu begreifen, alle diese Erscheinungen den Fehlern unsrer Staats¬<lb/> kunst zur Last zu schreiben. Keine Staatskunst — auch die Bismarcks nicht — hätte<lb/> uns vor den Gefahren unsrer jetzigen Lage bewahren können. Nur diese Einsicht<lb/> kann uns vor der Gefahr schützen, daß wir unsre Aufgaben verkennen und in un¬<lb/> fruchtbarer Kritik unsre Kräfte verkümmern lassen. Was wir so oft die „Einkreisung"<lb/> Deutschlands nennen hören, und was so gern auf persönliche Machenschaften der<lb/> Feinde Deutschlands und das Ungeschick unsrer Staatsmänner zurückgeführt wird,<lb/> ist in Wahrheit eine normale und erklärliche Folge unsrer weltgeschichtlichen Stellung.<lb/> Wer das verkennt oder zu seiner Verkennung beiträgt, wohl gar durch Herabsetzung<lb/> unsrer Staatsleiter diese Verkennung in weitern Kreisen befestigt, versündigt sich<lb/> schwer an der Zukunft unsers Volkes.</p><lb/> <p xml:id="ID_3059"> In der innern Politik hat die jüngst beendete Zeit der parlamentarischen<lb/> Arbeiten in einem bedeutungsvollen Ministerwechsel im Reich und in Preußen noch<lb/> ein Nachspiel gefunden. Fürst Bülow hat es nicht ohne Grund für nötig befunden,<lb/> noch vor Eintritt der stillen Zeit in der Politik durch die Tat der Öffentlichkeit<lb/> eine Bekräftigung zu geben, daß er an der mit der Reichstagsauflösung begonnenen<lb/> Politik auf das entschiedenste festhalten will, und daß er sich darin auch heute noch<lb/> der vollen Zustimmung des Kaisers erfreut. Das ist der Sinn dieses Minister¬<lb/> wechsels, der eine persönliche Entschließung des Monarchen im Sinne der Bülowschen<lb/> Politik und zugleich die tatsächliche Entfernung der Einflüsse aus der Negierung be¬<lb/> deutet, die — sei es direkt oder indirekt, tatsächlich oder mehr dem Eindruck<lb/> nach — die Politik des Kanzlers nicht voll zu unterstützen schienen. Graf Posa-<lb/> dowsky und Herr von Stube sind die Opfer dieses Schritts, den man im Inter¬<lb/> esse der Einheitlichkeit und Folgerichtigkeit der Politik des leitenden Staatsmanns<lb/> bei der Eigenart der gegenwärtigen politischen Lage nicht mißbilligen kann, wenn<lb/> er auch in einer Beziehung eine recht schmerzliche Notwendigkeit bedeutet. Denn<lb/> wir verhehlen nicht, daß wir gehofft hatten, der Riß zwischen dem Fürsten Bülow<lb/> und dem Grafen Posadowsky, der seit der Reichstagsauflösung und den program¬<lb/> matischen Erklärungen des Reichskanzlers im neuen Reichstage in verschiednen<lb/> Symptomen hervorgetreten war, werde sich noch einmal zuziehn lassen. Die staats¬<lb/> männischen Persönlichkeiten der beiden hohen Reichsbeamten waren allerdings -— das<lb/> haben wir schon früher hervorgehoben — grundverschieden, aber sie ergänzten sich<lb/> auch in vielen Beziehungen vortrefflich. Das Ausscheiden des Grafen Posadowsky<lb/> aus dem Reichsdienst ist unstreitig ein außerordentlich schwerer Verlust. Seine<lb/> unvergleichliche Arbeitskraft und seine umfangreichen Kenntnisse hatten immer auch<lb/> seinen Gegnern die höchste Achtung abgenötigt. Noch mehr aber fiel ins Gewicht<lb/> die glückliche Mischung von praktischer Erfahrung und Wirklichkeitssinn mit der<lb/> Fähigkeit, die Probleme seines Amtsbereichs gründlich zu durchdenken, sie zu ver¬<lb/> tiefen und in ihren großen Zusammenhängen zu erfassen. Fast jede seiner Reden<lb/> war eine Fundgrube der Belehrung in sozialpolitischer Weisheit und staatsmännischer<lb/> Erfahrung. Er war einer von denen, denen die Tiefe ihrer Erkenntnis nicht er¬<lb/> laubt, Parteimann zu sein. Und allerdings verstand er es nicht immer, diese freie<lb/> Höhe seiner Überzeugungen den taktischen Erfordernissen des Augenblicks anzupassen.<lb/> Dadurch gab er seinen Gegnern manchmal breite Angriffsflächen. Alles in allem<lb/> aber war sein Wirken so bedeutungsvoll, daß sein Nachfolger, Herr von Bethmann-<lb/> Hollweg, eine schwere Aufgabe vorfindet, wenn er seinen Vorgänger auch nur<lb/> einigermaßen ersetzen will.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0703]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
drängen zu lassen. Und die politischen Rückwirkungen dieser neuen Stellung müssen
Wir in den Kauf nehmen. Es ist eine gefährliche Kurzsichtigkeit vieler ehrlich
patriotisch empfindenden Deutschen, ohne tieferes Nachdenken dem entschwundnen
Glanz der Bismarckzeit nachzutrauern, und statt die Zeichen der Zeit und ihre
wahre Bedeutung zu begreifen, alle diese Erscheinungen den Fehlern unsrer Staats¬
kunst zur Last zu schreiben. Keine Staatskunst — auch die Bismarcks nicht — hätte
uns vor den Gefahren unsrer jetzigen Lage bewahren können. Nur diese Einsicht
kann uns vor der Gefahr schützen, daß wir unsre Aufgaben verkennen und in un¬
fruchtbarer Kritik unsre Kräfte verkümmern lassen. Was wir so oft die „Einkreisung"
Deutschlands nennen hören, und was so gern auf persönliche Machenschaften der
Feinde Deutschlands und das Ungeschick unsrer Staatsmänner zurückgeführt wird,
ist in Wahrheit eine normale und erklärliche Folge unsrer weltgeschichtlichen Stellung.
Wer das verkennt oder zu seiner Verkennung beiträgt, wohl gar durch Herabsetzung
unsrer Staatsleiter diese Verkennung in weitern Kreisen befestigt, versündigt sich
schwer an der Zukunft unsers Volkes.
In der innern Politik hat die jüngst beendete Zeit der parlamentarischen
Arbeiten in einem bedeutungsvollen Ministerwechsel im Reich und in Preußen noch
ein Nachspiel gefunden. Fürst Bülow hat es nicht ohne Grund für nötig befunden,
noch vor Eintritt der stillen Zeit in der Politik durch die Tat der Öffentlichkeit
eine Bekräftigung zu geben, daß er an der mit der Reichstagsauflösung begonnenen
Politik auf das entschiedenste festhalten will, und daß er sich darin auch heute noch
der vollen Zustimmung des Kaisers erfreut. Das ist der Sinn dieses Minister¬
wechsels, der eine persönliche Entschließung des Monarchen im Sinne der Bülowschen
Politik und zugleich die tatsächliche Entfernung der Einflüsse aus der Negierung be¬
deutet, die — sei es direkt oder indirekt, tatsächlich oder mehr dem Eindruck
nach — die Politik des Kanzlers nicht voll zu unterstützen schienen. Graf Posa-
dowsky und Herr von Stube sind die Opfer dieses Schritts, den man im Inter¬
esse der Einheitlichkeit und Folgerichtigkeit der Politik des leitenden Staatsmanns
bei der Eigenart der gegenwärtigen politischen Lage nicht mißbilligen kann, wenn
er auch in einer Beziehung eine recht schmerzliche Notwendigkeit bedeutet. Denn
wir verhehlen nicht, daß wir gehofft hatten, der Riß zwischen dem Fürsten Bülow
und dem Grafen Posadowsky, der seit der Reichstagsauflösung und den program¬
matischen Erklärungen des Reichskanzlers im neuen Reichstage in verschiednen
Symptomen hervorgetreten war, werde sich noch einmal zuziehn lassen. Die staats¬
männischen Persönlichkeiten der beiden hohen Reichsbeamten waren allerdings -— das
haben wir schon früher hervorgehoben — grundverschieden, aber sie ergänzten sich
auch in vielen Beziehungen vortrefflich. Das Ausscheiden des Grafen Posadowsky
aus dem Reichsdienst ist unstreitig ein außerordentlich schwerer Verlust. Seine
unvergleichliche Arbeitskraft und seine umfangreichen Kenntnisse hatten immer auch
seinen Gegnern die höchste Achtung abgenötigt. Noch mehr aber fiel ins Gewicht
die glückliche Mischung von praktischer Erfahrung und Wirklichkeitssinn mit der
Fähigkeit, die Probleme seines Amtsbereichs gründlich zu durchdenken, sie zu ver¬
tiefen und in ihren großen Zusammenhängen zu erfassen. Fast jede seiner Reden
war eine Fundgrube der Belehrung in sozialpolitischer Weisheit und staatsmännischer
Erfahrung. Er war einer von denen, denen die Tiefe ihrer Erkenntnis nicht er¬
laubt, Parteimann zu sein. Und allerdings verstand er es nicht immer, diese freie
Höhe seiner Überzeugungen den taktischen Erfordernissen des Augenblicks anzupassen.
Dadurch gab er seinen Gegnern manchmal breite Angriffsflächen. Alles in allem
aber war sein Wirken so bedeutungsvoll, daß sein Nachfolger, Herr von Bethmann-
Hollweg, eine schwere Aufgabe vorfindet, wenn er seinen Vorgänger auch nur
einigermaßen ersetzen will.
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