Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Sozialdemokratie und Gericht entschädigt werden sollte. Schließlich ginge es aber mich ohne das. Es wird Nach alledem sind unsre Garantien für eine unabhängige und allen Sozialdemokratie und Gericht entschädigt werden sollte. Schließlich ginge es aber mich ohne das. Es wird Nach alledem sind unsre Garantien für eine unabhängige und allen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302056"/> <fw type="header" place="top"> Sozialdemokratie und Gericht</fw><lb/> <p xml:id="ID_268" prev="#ID_267"> entschädigt werden sollte. Schließlich ginge es aber mich ohne das. Es wird<lb/> sich auf Anregung hin gewiß mancher Fabrikant finden, der der guten Sache<lb/> zuliebe einem ältern, dauernd bei ihm beschäftigten Arbeiter, wenn er ein paar¬<lb/> mal im Jahre das Richteramt bekleidet, keine Lohnabzüge macht. Auch die<lb/> Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie brauchte an sich kein Hindernis für die<lb/> Wahl zu solchem Amte zu sein. Es würde sich mancher Richter im Gegenteil<lb/> freuen, solchen Laienkollegen recht augenfällig beweisen zu können, wie „merk¬<lb/> würdig ehrlich" es bei der Rechtsprechung zugeht, wie auch sozialdemokratische<lb/> Richter es nicht allen recht machen können, und wie das ganze verhetzende<lb/> Gerede von der „Klassenjustiz" blanker, barer Unsinn ist. Nur gegen eins<lb/> muß sich die staatliche Rechtspflege allerdings aufs schärfste verwahren, dagegen<lb/> nämlich, daß Männer nur um der Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei<lb/> willen ins Richteramt kommen, also in der Hauptsache Männer, die gar nicht<lb/> Arbeiter sind, sondern Berufssozialdemokraten, die sich von den Partei¬<lb/> bestrebungen nähren. Denn mit ihnen im Rahmen der Gesetze zu arbeiten,<lb/> die sie mißachten, vor ihnen als Richtern Eide schwören zu lassen, über deren<lb/> Heiligkeit sie lachen, von ihnen Strafen bestimmen zu lassen, die selbst zu<lb/> verbüßen sie als Parteiehrensache betrachten, das ist ein Unding, und kein<lb/> verständiger Arbeiter kann ihre Wahl verlangen. Ihre Mitarbeit könnte nur<lb/> eine zerstörende, zersetzende, keine vernünftig fördernde, dem Allgemeinwohl<lb/> dienliche sein, sie würden, wie anderwärts, mich hier nur um der Agitation<lb/> willen und für diese tätig sein. Aber abgesehen von solchen Elementen wird<lb/> eine immer stärkere Mitarbeiterschaft der handarbeitenden Klassen an der<lb/> Rechtspflege nur mit Freuden zu begrüßen und anzustreben sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_269" next="#ID_270"> Nach alledem sind unsre Garantien für eine unabhängige und allen<lb/> Bevölkerungskreisen gleicherweise zugute kommende Gerichtsbarkeit sehr stark,<lb/> und sie haben sich auch als gut erwiesen. Es ist der Sozialdemokratie trotz<lb/> des emsigsten Suchens und eifrigsten Bemühens nicht gelungen, unter den<lb/> Tausenden jährlich ergehender Entscheidungen, die samt und sonders der Öffent¬<lb/> lichkeit vorliegen, solche zu finden, an denen sich der Vorwurf der „Klassen¬<lb/> justiz" wirklich beweisen ließe. Mit Schlagwörtern, wie: es sei in einem Urteil<lb/> das „Rechtsbewußtsein des Volkes" verletzt, und ähnlichen, ist hier natürlich<lb/> nichts geschaffen. Wer selbst im gerichtlichen Leben steht, weiß, wie wenig im<lb/> allgemeinen mit diesem Rechtsbewußtsein anzufangen ist, weil es ein sehr<lb/> wandelbares Ding ist und in jedem Einzelnen fast immer nur dahin geht, daß<lb/> er allein Recht habe, während seinem Gegner im Prozeß oder dem, den er in<lb/> seiner Straftat verletzt hat, ein entgegengesetztes Rechtsbewußtsein innewohnt.<lb/> Was das Strafverfahren überhaupt anlangt, so ist natürlich nicht zu leugnen,<lb/> daß die weitaus größte Zahl derer, die als Übertreter im kleinen und im großen<lb/> von der Härte des Gesetzes getroffen werden, die besitz- und bildungslosen sind,<lb/> ja daß unter ihnen der Prozentsatz der straffälligen weit höher ist als unter<lb/> den wirtschaftlich stärkern. Das hat sehr viele Ursachen, von denen die Haupt-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
Sozialdemokratie und Gericht
entschädigt werden sollte. Schließlich ginge es aber mich ohne das. Es wird
sich auf Anregung hin gewiß mancher Fabrikant finden, der der guten Sache
zuliebe einem ältern, dauernd bei ihm beschäftigten Arbeiter, wenn er ein paar¬
mal im Jahre das Richteramt bekleidet, keine Lohnabzüge macht. Auch die
Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie brauchte an sich kein Hindernis für die
Wahl zu solchem Amte zu sein. Es würde sich mancher Richter im Gegenteil
freuen, solchen Laienkollegen recht augenfällig beweisen zu können, wie „merk¬
würdig ehrlich" es bei der Rechtsprechung zugeht, wie auch sozialdemokratische
Richter es nicht allen recht machen können, und wie das ganze verhetzende
Gerede von der „Klassenjustiz" blanker, barer Unsinn ist. Nur gegen eins
muß sich die staatliche Rechtspflege allerdings aufs schärfste verwahren, dagegen
nämlich, daß Männer nur um der Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei
willen ins Richteramt kommen, also in der Hauptsache Männer, die gar nicht
Arbeiter sind, sondern Berufssozialdemokraten, die sich von den Partei¬
bestrebungen nähren. Denn mit ihnen im Rahmen der Gesetze zu arbeiten,
die sie mißachten, vor ihnen als Richtern Eide schwören zu lassen, über deren
Heiligkeit sie lachen, von ihnen Strafen bestimmen zu lassen, die selbst zu
verbüßen sie als Parteiehrensache betrachten, das ist ein Unding, und kein
verständiger Arbeiter kann ihre Wahl verlangen. Ihre Mitarbeit könnte nur
eine zerstörende, zersetzende, keine vernünftig fördernde, dem Allgemeinwohl
dienliche sein, sie würden, wie anderwärts, mich hier nur um der Agitation
willen und für diese tätig sein. Aber abgesehen von solchen Elementen wird
eine immer stärkere Mitarbeiterschaft der handarbeitenden Klassen an der
Rechtspflege nur mit Freuden zu begrüßen und anzustreben sein.
Nach alledem sind unsre Garantien für eine unabhängige und allen
Bevölkerungskreisen gleicherweise zugute kommende Gerichtsbarkeit sehr stark,
und sie haben sich auch als gut erwiesen. Es ist der Sozialdemokratie trotz
des emsigsten Suchens und eifrigsten Bemühens nicht gelungen, unter den
Tausenden jährlich ergehender Entscheidungen, die samt und sonders der Öffent¬
lichkeit vorliegen, solche zu finden, an denen sich der Vorwurf der „Klassen¬
justiz" wirklich beweisen ließe. Mit Schlagwörtern, wie: es sei in einem Urteil
das „Rechtsbewußtsein des Volkes" verletzt, und ähnlichen, ist hier natürlich
nichts geschaffen. Wer selbst im gerichtlichen Leben steht, weiß, wie wenig im
allgemeinen mit diesem Rechtsbewußtsein anzufangen ist, weil es ein sehr
wandelbares Ding ist und in jedem Einzelnen fast immer nur dahin geht, daß
er allein Recht habe, während seinem Gegner im Prozeß oder dem, den er in
seiner Straftat verletzt hat, ein entgegengesetztes Rechtsbewußtsein innewohnt.
Was das Strafverfahren überhaupt anlangt, so ist natürlich nicht zu leugnen,
daß die weitaus größte Zahl derer, die als Übertreter im kleinen und im großen
von der Härte des Gesetzes getroffen werden, die besitz- und bildungslosen sind,
ja daß unter ihnen der Prozentsatz der straffälligen weit höher ist als unter
den wirtschaftlich stärkern. Das hat sehr viele Ursachen, von denen die Haupt-
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