Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Sozialdemokratie und "Bericht einmal das Gericht "Klassenjustiz" geübt habe. Das hört er gern, er tritt Untersuchen wir einmal, ob solches Mißtrauen auch nur eine Spur von Sonach ist den Richtern die Freiheit ihrer Meinung, soweit als es nur Sozialdemokratie und «Bericht einmal das Gericht „Klassenjustiz" geübt habe. Das hört er gern, er tritt Untersuchen wir einmal, ob solches Mißtrauen auch nur eine Spur von Sonach ist den Richtern die Freiheit ihrer Meinung, soweit als es nur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302054"/> <fw type="header" place="top"> Sozialdemokratie und «Bericht</fw><lb/> <p xml:id="ID_263" prev="#ID_262"> einmal das Gericht „Klassenjustiz" geübt habe. Das hört er gern, er tritt<lb/> der Partei, die ihm so ganz nach dem Munde redet, näher und spricht das<lb/> Schlagwort von der „Klassenjustiz" nach. Ein billiges, doch recht verderbliches<lb/> Mittel, Anhänger zu gewinnen, verderblich vor allem für den Verurteilten<lb/> selbst, weil er dadurch mir immer einseitiger und starrsinniger ans seinem<lb/> Standpunkt beharrt, sich nun gar nicht mehr vernünftig besinnt und so immer<lb/> mehr sich und die Seinen in Schaden bringt. Verderblich auch für die ganze<lb/> Rechtspflege. Denn mit solchen mißtrauisch gemachten Leuten ist für das<lb/> Gericht ein schlimmes und ungedeihliches Arbeiten. Der Richter mag sich<lb/> dann noch so sehr bemühen, durch ruhiges Zureden die Partei zu einem ver¬<lb/> nünftigen Standpunkt in ihrem eignen Interesse zu bekehren, er erhält nur<lb/> Redensarten zur Antwort, wie: „Natürlich, die armen Leute sollen nie Recht<lb/> haben" und ähnliches, Redensarten, die er, streng genommen, als Ungebühr<lb/> und Beleidigung auffassen und demgemäß bestrafen müßte, über die er aber<lb/> meist mit Rücksicht auf die mangelnde Überlegung der Partei hinweggeht,<lb/> freilich auch mit tiefem Bedauern über die unsinnige Verhetzung, die aus<lb/> ihnen spricht.</p><lb/> <p xml:id="ID_264"> Untersuchen wir einmal, ob solches Mißtrauen auch nur eine Spur von<lb/> Berechtigung hat. Die Garantien dafür, daß der Richter ohne Rücksicht und<lb/> Ansehen der Person entscheidet, das Gesetz gleichmäßig auf Hoch und Niedrig,<lb/> Arm und Reich anwendet, liegen — ganz abgesehen davon, daß das Reichs<lb/> Strafgesetz in den Paragraphen 334 Absatz 1, 336 die Rechtsbeugung durch den<lb/> Richter mit Ausschließung mildernder Umstünde unter Zuchthausstrafe stellt —<lb/> zunächst im Amte selbst. Der Richter ist in seinem Amt unabhängig, nur dem<lb/> Gesetz unterworfen, auf Lebenszeit mit festem, gesetzmäßig steigendem Gehalt<lb/> angestellt, nur durch Richterspruch aus gesetzlichen Gründen absetzbar. Das; wir<lb/> in Sachsen neben den endgiltig angestellten noch ungefähr ein Viertel „Hilfs-<lb/> richtcr", Assessoren, die als Richter tätig sind, haben, hat in unserm Sinne<lb/> keine Bedenken, denn auch diese sind unabhängige Staatsdiener, werden nach<lb/> zwei Jahren unkündbar, und ihr Aufrücken in die Richterstellen hängt nur von<lb/> ihrer wissenschaftlichen und praktischen Befähigung ab, es kann dieses Aufrücken<lb/> bei tüchtigen Leistungen als garantiert gelten. Eine immerhin wünschenswerte<lb/> Verringerung der Hilfsrichter wird von der Regierung selbst angestrebt und<lb/> in den Grenzen des finanziell erreichbaren auch stetig herbeigeführt. Bei der<lb/> Auswahl der Richter spielen politische Rücksichten nicht die geringste Rolle.</p><lb/> <p xml:id="ID_265" next="#ID_266"> Sonach ist den Richtern die Freiheit ihrer Meinung, soweit als es nur<lb/> irgend denkbar ist, gesetzlich verbürgt. Überdies rekrutieren sich die Richter<lb/> bei uns auch vielfach aus sehr bescheidnen Kreisen. Die Zahl der Söhne von<lb/> Dorfschullehrern, kleinsten Gewerbtreibenden, untersten Beamten, ja Männern<lb/> der handarbeitenden Klassen ist groß, zusammen genommen mindestens gleich<lb/> der Zahl der Richter, die wohlhabenden Kreisen entstammen. Und die ersten<lb/> bleiben keineswegs in größerer Zahl in der einfachen Richterklasse stehn. Es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0066]
Sozialdemokratie und «Bericht
einmal das Gericht „Klassenjustiz" geübt habe. Das hört er gern, er tritt
der Partei, die ihm so ganz nach dem Munde redet, näher und spricht das
Schlagwort von der „Klassenjustiz" nach. Ein billiges, doch recht verderbliches
Mittel, Anhänger zu gewinnen, verderblich vor allem für den Verurteilten
selbst, weil er dadurch mir immer einseitiger und starrsinniger ans seinem
Standpunkt beharrt, sich nun gar nicht mehr vernünftig besinnt und so immer
mehr sich und die Seinen in Schaden bringt. Verderblich auch für die ganze
Rechtspflege. Denn mit solchen mißtrauisch gemachten Leuten ist für das
Gericht ein schlimmes und ungedeihliches Arbeiten. Der Richter mag sich
dann noch so sehr bemühen, durch ruhiges Zureden die Partei zu einem ver¬
nünftigen Standpunkt in ihrem eignen Interesse zu bekehren, er erhält nur
Redensarten zur Antwort, wie: „Natürlich, die armen Leute sollen nie Recht
haben" und ähnliches, Redensarten, die er, streng genommen, als Ungebühr
und Beleidigung auffassen und demgemäß bestrafen müßte, über die er aber
meist mit Rücksicht auf die mangelnde Überlegung der Partei hinweggeht,
freilich auch mit tiefem Bedauern über die unsinnige Verhetzung, die aus
ihnen spricht.
Untersuchen wir einmal, ob solches Mißtrauen auch nur eine Spur von
Berechtigung hat. Die Garantien dafür, daß der Richter ohne Rücksicht und
Ansehen der Person entscheidet, das Gesetz gleichmäßig auf Hoch und Niedrig,
Arm und Reich anwendet, liegen — ganz abgesehen davon, daß das Reichs
Strafgesetz in den Paragraphen 334 Absatz 1, 336 die Rechtsbeugung durch den
Richter mit Ausschließung mildernder Umstünde unter Zuchthausstrafe stellt —
zunächst im Amte selbst. Der Richter ist in seinem Amt unabhängig, nur dem
Gesetz unterworfen, auf Lebenszeit mit festem, gesetzmäßig steigendem Gehalt
angestellt, nur durch Richterspruch aus gesetzlichen Gründen absetzbar. Das; wir
in Sachsen neben den endgiltig angestellten noch ungefähr ein Viertel „Hilfs-
richtcr", Assessoren, die als Richter tätig sind, haben, hat in unserm Sinne
keine Bedenken, denn auch diese sind unabhängige Staatsdiener, werden nach
zwei Jahren unkündbar, und ihr Aufrücken in die Richterstellen hängt nur von
ihrer wissenschaftlichen und praktischen Befähigung ab, es kann dieses Aufrücken
bei tüchtigen Leistungen als garantiert gelten. Eine immerhin wünschenswerte
Verringerung der Hilfsrichter wird von der Regierung selbst angestrebt und
in den Grenzen des finanziell erreichbaren auch stetig herbeigeführt. Bei der
Auswahl der Richter spielen politische Rücksichten nicht die geringste Rolle.
Sonach ist den Richtern die Freiheit ihrer Meinung, soweit als es nur
irgend denkbar ist, gesetzlich verbürgt. Überdies rekrutieren sich die Richter
bei uns auch vielfach aus sehr bescheidnen Kreisen. Die Zahl der Söhne von
Dorfschullehrern, kleinsten Gewerbtreibenden, untersten Beamten, ja Männern
der handarbeitenden Klassen ist groß, zusammen genommen mindestens gleich
der Zahl der Richter, die wohlhabenden Kreisen entstammen. Und die ersten
bleiben keineswegs in größerer Zahl in der einfachen Richterklasse stehn. Es
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |