Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches allem Verabscheuungswürdigen ihres Tuns doch noch immer erkennen lassen daß Wir müssen diese Verhältnisse mit Aufmerksamkeit verfolgen, weil davon manche Maßgebliches und Unmaßgebliches allem Verabscheuungswürdigen ihres Tuns doch noch immer erkennen lassen daß Wir müssen diese Verhältnisse mit Aufmerksamkeit verfolgen, weil davon manche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0647" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302635"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2840" prev="#ID_2839"> allem Verabscheuungswürdigen ihres Tuns doch noch immer erkennen lassen daß<lb/> sie etwas neues schaffen wollten. In Rußland aber reicht die Kraft der Tat'kaum<lb/> zum Niederreißen, geschweige denn zum Aufbauen. Hohle Deklamationen, absolute<lb/> Unfähigkeit zur Arbeit, unfruchtbares Theoretisieren, Versagen bei jedem wirklichen<lb/> Schritt vorwärts, das Ganze hin und wieder unterbrochen durch Ausbrüche eines<lb/> Sinn- und gewissenlosen Fanatismus ohne nachhaltige Kraft — das ist das Bild<lb/> der gegenwärtigen innern Zustände Rußlands!</p><lb/> <p xml:id="ID_2841" next="#ID_2842"> Wir müssen diese Verhältnisse mit Aufmerksamkeit verfolgen, weil davon manche<lb/> politische und wirtschaftliche Rückwirkung auf unsre eigne Lage ausgeht. In ganzandrer Weise muß unser Verhältnis zu England betrachtet werden, wo hauptsächlich<lb/> ver wirtschaftliche Wettbewerb ins Spiel kommt. Es ist hier schon mehrfach der<lb/> Gesuch der englische» Redakteure erwähnt worden. Jetzt sind wir bereits in der Lage,<lb/> etwas mehr die Wirkungen zu übersehen, die davon vielleicht ausgehn können. Denn<lb/> wir haben jetzt die Berichte vor uns, die unsre englischen Gäste ihren Lesern in der<lb/> Heimat erstattet haben. Niemand wird diese Berichte lesen können, ohne erstaunt<lb/> Zu sein über Umfang und Tiefe der Eindrücke, die unsre Besucher bei uns empfangen<lb/> Meu. muß, um nüchtern und richtig zu urteilen, zunächst alles in Abzug<lb/> ringen, was nur eine freundliche und dankbare Anerkennung empfangner Gast¬<lb/> freundschaft bedeutet. Einige verbindliche und herzliche Worte pflegt jeder in Bereit¬<lb/> et zu haben, der auf eine Reihe von schönen Tagen zurückschaut und die Pflicht<lb/> Whlt, genossener Freundlichkeit den Tribut natürlicher Höflichkeit zu zollen. Auch<lb/> Mr allerdings muß auffallen, daß die Dankesbezeugungen der englischen Gäste weit<lb/> l ex die selbstverständliche Höflichkeit hinausgehn und von einer Wärme und Herzlich-<lb/> e getragen sind, die hier und da fast den Charakter der Begeisterung annimmt.<lb/> ^ ^ar in Wahrheit die Stimmung, die schon bald nach den ersten Begrüßungen<lb/> I ihrer Deutschlandreise bei der kleinen, aber in ihrer Zusammensetzung sehr be-<lb/> des Schar englischer Journalisten durchbrach und sich bis zum letzten Tage<lb/> it ^iammenseins stetig steigerte. Dennoch wollen wir, um mißtrauischen Gemüter»<lb/> ->r ^echt ^ lassen, diesen Umstand nicht besonders betonen. Wichtiger als diese<lb/> Erwartete Herzlichkeit in der Stimmung ist etwas andres, »ut es hieße geradezu<lb/> le Wahrheit fälschen, wenn dies verschwiegen würde. Man kann nämlich die eng-<lb/> Men Berichte nicht lesen, ohne überrascht zu sein einerseits durch die Schärfe und<lb/> Nüchternheit der Beobachtung, die in einer ungemein anstrengenden Kette von Festlich¬<lb/> sten immer noch der Aufgabe gerecht wird, sich ernsthaft zu unterrichten und durch<lb/> . .^ Hülle der Feststimmung hindurch den Dingen auf deu Grund zu sehen, andrer¬<lb/> es durch die Aufrichtigkeit, rin der bisherige Vorurteile und Irrtümer einge-<lb/> ! ""°en werden und der einheimischen Voreingenommenheit ein berichtigtes Bild<lb/> och modernen Deutschland zu zeichnen versucht wird. Deutschland ist anders, als<lb/> ""r bisher geglaubt haben; wir haben seine Art und seine Bestrebungen gründlich<lb/> ^verstanden; wir glaubten ein unfreies, durch künstliche Bevormundung zu einer<lb/> äußerlichen Blüte em'porgetriebnes Volk vor uns zu haben, ein geistig begabtes, aber<lb/> «"gelenkes Volk, das mir durch den Militarismus und eine ehrgeizige herrschende Kaste<lb/> in eiserner Zucht zusammengehalten wird, dessen abhängige Presse dem Kommando der<lb/> A^ewng gehorcht, und das nur durch Anfstachelnug seiner Leidenschaften und seines<lb/> Selbstbewußtseins gegenüber andern Völkern zu größern Leistungen angetrieben<lb/> wird. Wir sehen jetzt, daß wir falsch unterrichtet gewesen sind. Wir fanden ein<lb/> ^oll, das in Freiheit seine Kräfte regt, dessen Aufschwung durchaus natürlich aus<lb/> 'einem eignen Verdienst herausgewachsen ist, das sich im Grunde derselben Freiheit<lb/> Erfreut wie wir, und nur noch die Vorteile einer ausgezeichneten Disziplin in allen<lb/> s "Gelegenheiten des Gemeinwohls obendrein genießt, und dieses Volk ist wirklich<lb/> Medlich gesinnt, will nur ehrlichen Wettbewerb und hegt keine Feindschaft gegen<lb/> ""s. Diese Gedanken kehren in unzähligen Variationen in allen englischen Berichten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0647]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
allem Verabscheuungswürdigen ihres Tuns doch noch immer erkennen lassen daß
sie etwas neues schaffen wollten. In Rußland aber reicht die Kraft der Tat'kaum
zum Niederreißen, geschweige denn zum Aufbauen. Hohle Deklamationen, absolute
Unfähigkeit zur Arbeit, unfruchtbares Theoretisieren, Versagen bei jedem wirklichen
Schritt vorwärts, das Ganze hin und wieder unterbrochen durch Ausbrüche eines
Sinn- und gewissenlosen Fanatismus ohne nachhaltige Kraft — das ist das Bild
der gegenwärtigen innern Zustände Rußlands!
Wir müssen diese Verhältnisse mit Aufmerksamkeit verfolgen, weil davon manche
politische und wirtschaftliche Rückwirkung auf unsre eigne Lage ausgeht. In ganzandrer Weise muß unser Verhältnis zu England betrachtet werden, wo hauptsächlich
ver wirtschaftliche Wettbewerb ins Spiel kommt. Es ist hier schon mehrfach der
Gesuch der englische» Redakteure erwähnt worden. Jetzt sind wir bereits in der Lage,
etwas mehr die Wirkungen zu übersehen, die davon vielleicht ausgehn können. Denn
wir haben jetzt die Berichte vor uns, die unsre englischen Gäste ihren Lesern in der
Heimat erstattet haben. Niemand wird diese Berichte lesen können, ohne erstaunt
Zu sein über Umfang und Tiefe der Eindrücke, die unsre Besucher bei uns empfangen
Meu. muß, um nüchtern und richtig zu urteilen, zunächst alles in Abzug
ringen, was nur eine freundliche und dankbare Anerkennung empfangner Gast¬
freundschaft bedeutet. Einige verbindliche und herzliche Worte pflegt jeder in Bereit¬
et zu haben, der auf eine Reihe von schönen Tagen zurückschaut und die Pflicht
Whlt, genossener Freundlichkeit den Tribut natürlicher Höflichkeit zu zollen. Auch
Mr allerdings muß auffallen, daß die Dankesbezeugungen der englischen Gäste weit
l ex die selbstverständliche Höflichkeit hinausgehn und von einer Wärme und Herzlich-
e getragen sind, die hier und da fast den Charakter der Begeisterung annimmt.
^ ^ar in Wahrheit die Stimmung, die schon bald nach den ersten Begrüßungen
I ihrer Deutschlandreise bei der kleinen, aber in ihrer Zusammensetzung sehr be-
des Schar englischer Journalisten durchbrach und sich bis zum letzten Tage
it ^iammenseins stetig steigerte. Dennoch wollen wir, um mißtrauischen Gemüter»
->r ^echt ^ lassen, diesen Umstand nicht besonders betonen. Wichtiger als diese
Erwartete Herzlichkeit in der Stimmung ist etwas andres, »ut es hieße geradezu
le Wahrheit fälschen, wenn dies verschwiegen würde. Man kann nämlich die eng-
Men Berichte nicht lesen, ohne überrascht zu sein einerseits durch die Schärfe und
Nüchternheit der Beobachtung, die in einer ungemein anstrengenden Kette von Festlich¬
sten immer noch der Aufgabe gerecht wird, sich ernsthaft zu unterrichten und durch
. .^ Hülle der Feststimmung hindurch den Dingen auf deu Grund zu sehen, andrer¬
es durch die Aufrichtigkeit, rin der bisherige Vorurteile und Irrtümer einge-
! ""°en werden und der einheimischen Voreingenommenheit ein berichtigtes Bild
och modernen Deutschland zu zeichnen versucht wird. Deutschland ist anders, als
""r bisher geglaubt haben; wir haben seine Art und seine Bestrebungen gründlich
^verstanden; wir glaubten ein unfreies, durch künstliche Bevormundung zu einer
äußerlichen Blüte em'porgetriebnes Volk vor uns zu haben, ein geistig begabtes, aber
«"gelenkes Volk, das mir durch den Militarismus und eine ehrgeizige herrschende Kaste
in eiserner Zucht zusammengehalten wird, dessen abhängige Presse dem Kommando der
A^ewng gehorcht, und das nur durch Anfstachelnug seiner Leidenschaften und seines
Selbstbewußtseins gegenüber andern Völkern zu größern Leistungen angetrieben
wird. Wir sehen jetzt, daß wir falsch unterrichtet gewesen sind. Wir fanden ein
^oll, das in Freiheit seine Kräfte regt, dessen Aufschwung durchaus natürlich aus
'einem eignen Verdienst herausgewachsen ist, das sich im Grunde derselben Freiheit
Erfreut wie wir, und nur noch die Vorteile einer ausgezeichneten Disziplin in allen
s "Gelegenheiten des Gemeinwohls obendrein genießt, und dieses Volk ist wirklich
Medlich gesinnt, will nur ehrlichen Wettbewerb und hegt keine Feindschaft gegen
""s. Diese Gedanken kehren in unzähligen Variationen in allen englischen Berichten
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |