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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Beschießung von Paris

bestimmtesten Form der Auffassung Ausdruck, die man wohl kurz als die der
Nichtschicßer bezeichnet, sodaß sich demnach auch Moltke mit den Worten "ich
schließe mich ganz dem an, was der General von Blumenthal soeben gesagt
hat" als Nichtschicßer ausweisen würde.

Das scheint zunächst allerdings in Widerspruch zu stehn mit dem Bericht
eines andern Teilnehmers an der Konferenz, des Obersten von Rieff, nach
dessen Aufzeichnungen Moltke bei der Konferenz gesagt hat*): "Ich bin
von Hause aus Gegner der Beschießung von Paris gewesen. Es ist mit der
dadurch bedingten Heranziehung eines großen Belagerungstrains der Armee em
Bleigewicht an die° Beine gebunden worden, das ihr unter Umständen hätte
verhängnisvoll werden können. Infolge der günstigen Ereignisse der letzten
Wochen hat sich das geändert, und gegenwärtig halte ich das artilleristische
Vorgehen gegen Paris zur Herbeiführung einer raschen Entscheidung für not¬
wendig. Überdem sind wir vor den Augen von ganz Europa gewissermaßen
engagiert und dürfe" ein so lauge geplcmtes und vielfach besprochnes Unter¬
nehmen nicht aufgeben. Hat man aber erst die Notwendigkeit einer Sache
erkannt, so finden sich auch immer die Mittel, sie auszuführen; je rascher dies
geschehen kann, um so besser." Und da von Nieff diese Worte noch an dem-
selben Tage niedergeschrieben hat, an dem die Konferenz stattgefunden hatte,
Blumenthnl hingegen den von Poschingcr veröffentlichten Bericht erst etwa neun¬
zehn Jahre nach der Konferenz, "kann" nach von Müllers Auffassung der
widersprechende Blumenthalsche Bericht "nur auf einem Irrtum beruhen".**) der
daraus zu erklären ist, daß der Aufsatz "augenscheinlich aus dem Gedächtnis"***)
niedergeschrieben sei. Infolgedessen muß er den glanbwürdigeru Nieffschcn Auf-
zeichnungen weiche".

Gleichwohl ist eine Vereinigung des Blumenthalschen Berichtes nut den
Rieffschen Aufzeichnungen durchaus möglich, ja beide Quellen scheinen sich
zu einem Ganzen zu verbinden, sich zu ergänzen, statt sich auszuschließen. Nur
darf man nicht übersehen, daß Blumenthals Brief vom 21. November haupt¬
sächlich gegen die Stimmen derer gerichtet ist. die meinten, "daß eine partielle
Beschießung von Paris (d. h. des Stadtinueru) noch vor dem Begum der wirk¬
liche" Belagerung i" politischer Beziehung wünschenswert, ja notivcndig sei",
und daß er insonderheit einer solchen halben, wirkungslosen, ,a schädlichen
Maßregel vorbeugen will; denn "eine einfache Abmessung auf dem Situations¬
plane der Festung wird den Beweis liefern, daß von allen unsern angelegten
und etwa uoch anzulegenden Batterien nur ein kaum nennenswerter Teil von
Paris getroffen werden würde, und zwar ein Teil, wo weder die jetzigen Macht¬
haber "och die Hauptmasse der Bevölkerung wohnen, denen es auch vollkommen





*) bei v. Müller, Bd. IV, S. 79 Ende.
^
) v. Müller, Ergcinzungshest S. 16.
Bd. IV. S. 130.
Die Beschießung von Paris

bestimmtesten Form der Auffassung Ausdruck, die man wohl kurz als die der
Nichtschicßer bezeichnet, sodaß sich demnach auch Moltke mit den Worten „ich
schließe mich ganz dem an, was der General von Blumenthal soeben gesagt
hat" als Nichtschicßer ausweisen würde.

Das scheint zunächst allerdings in Widerspruch zu stehn mit dem Bericht
eines andern Teilnehmers an der Konferenz, des Obersten von Rieff, nach
dessen Aufzeichnungen Moltke bei der Konferenz gesagt hat*): „Ich bin
von Hause aus Gegner der Beschießung von Paris gewesen. Es ist mit der
dadurch bedingten Heranziehung eines großen Belagerungstrains der Armee em
Bleigewicht an die° Beine gebunden worden, das ihr unter Umständen hätte
verhängnisvoll werden können. Infolge der günstigen Ereignisse der letzten
Wochen hat sich das geändert, und gegenwärtig halte ich das artilleristische
Vorgehen gegen Paris zur Herbeiführung einer raschen Entscheidung für not¬
wendig. Überdem sind wir vor den Augen von ganz Europa gewissermaßen
engagiert und dürfe» ein so lauge geplcmtes und vielfach besprochnes Unter¬
nehmen nicht aufgeben. Hat man aber erst die Notwendigkeit einer Sache
erkannt, so finden sich auch immer die Mittel, sie auszuführen; je rascher dies
geschehen kann, um so besser." Und da von Nieff diese Worte noch an dem-
selben Tage niedergeschrieben hat, an dem die Konferenz stattgefunden hatte,
Blumenthnl hingegen den von Poschingcr veröffentlichten Bericht erst etwa neun¬
zehn Jahre nach der Konferenz, „kann" nach von Müllers Auffassung der
widersprechende Blumenthalsche Bericht „nur auf einem Irrtum beruhen".**) der
daraus zu erklären ist, daß der Aufsatz „augenscheinlich aus dem Gedächtnis"***)
niedergeschrieben sei. Infolgedessen muß er den glanbwürdigeru Nieffschcn Auf-
zeichnungen weiche».

Gleichwohl ist eine Vereinigung des Blumenthalschen Berichtes nut den
Rieffschen Aufzeichnungen durchaus möglich, ja beide Quellen scheinen sich
zu einem Ganzen zu verbinden, sich zu ergänzen, statt sich auszuschließen. Nur
darf man nicht übersehen, daß Blumenthals Brief vom 21. November haupt¬
sächlich gegen die Stimmen derer gerichtet ist. die meinten, „daß eine partielle
Beschießung von Paris (d. h. des Stadtinueru) noch vor dem Begum der wirk¬
liche» Belagerung i» politischer Beziehung wünschenswert, ja notivcndig sei",
und daß er insonderheit einer solchen halben, wirkungslosen, ,a schädlichen
Maßregel vorbeugen will; denn „eine einfache Abmessung auf dem Situations¬
plane der Festung wird den Beweis liefern, daß von allen unsern angelegten
und etwa uoch anzulegenden Batterien nur ein kaum nennenswerter Teil von
Paris getroffen werden würde, und zwar ein Teil, wo weder die jetzigen Macht¬
haber »och die Hauptmasse der Bevölkerung wohnen, denen es auch vollkommen





*) bei v. Müller, Bd. IV, S. 79 Ende.
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) v. Müller, Ergcinzungshest S. 16.
Bd. IV. S. 130.
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[0619] Die Beschießung von Paris bestimmtesten Form der Auffassung Ausdruck, die man wohl kurz als die der Nichtschicßer bezeichnet, sodaß sich demnach auch Moltke mit den Worten „ich schließe mich ganz dem an, was der General von Blumenthal soeben gesagt hat" als Nichtschicßer ausweisen würde. Das scheint zunächst allerdings in Widerspruch zu stehn mit dem Bericht eines andern Teilnehmers an der Konferenz, des Obersten von Rieff, nach dessen Aufzeichnungen Moltke bei der Konferenz gesagt hat*): „Ich bin von Hause aus Gegner der Beschießung von Paris gewesen. Es ist mit der dadurch bedingten Heranziehung eines großen Belagerungstrains der Armee em Bleigewicht an die° Beine gebunden worden, das ihr unter Umständen hätte verhängnisvoll werden können. Infolge der günstigen Ereignisse der letzten Wochen hat sich das geändert, und gegenwärtig halte ich das artilleristische Vorgehen gegen Paris zur Herbeiführung einer raschen Entscheidung für not¬ wendig. Überdem sind wir vor den Augen von ganz Europa gewissermaßen engagiert und dürfe» ein so lauge geplcmtes und vielfach besprochnes Unter¬ nehmen nicht aufgeben. Hat man aber erst die Notwendigkeit einer Sache erkannt, so finden sich auch immer die Mittel, sie auszuführen; je rascher dies geschehen kann, um so besser." Und da von Nieff diese Worte noch an dem- selben Tage niedergeschrieben hat, an dem die Konferenz stattgefunden hatte, Blumenthnl hingegen den von Poschingcr veröffentlichten Bericht erst etwa neun¬ zehn Jahre nach der Konferenz, „kann" nach von Müllers Auffassung der widersprechende Blumenthalsche Bericht „nur auf einem Irrtum beruhen".**) der daraus zu erklären ist, daß der Aufsatz „augenscheinlich aus dem Gedächtnis"***) niedergeschrieben sei. Infolgedessen muß er den glanbwürdigeru Nieffschcn Auf- zeichnungen weiche». Gleichwohl ist eine Vereinigung des Blumenthalschen Berichtes nut den Rieffschen Aufzeichnungen durchaus möglich, ja beide Quellen scheinen sich zu einem Ganzen zu verbinden, sich zu ergänzen, statt sich auszuschließen. Nur darf man nicht übersehen, daß Blumenthals Brief vom 21. November haupt¬ sächlich gegen die Stimmen derer gerichtet ist. die meinten, „daß eine partielle Beschießung von Paris (d. h. des Stadtinueru) noch vor dem Begum der wirk¬ liche» Belagerung i» politischer Beziehung wünschenswert, ja notivcndig sei", und daß er insonderheit einer solchen halben, wirkungslosen, ,a schädlichen Maßregel vorbeugen will; denn „eine einfache Abmessung auf dem Situations¬ plane der Festung wird den Beweis liefern, daß von allen unsern angelegten und etwa uoch anzulegenden Batterien nur ein kaum nennenswerter Teil von Paris getroffen werden würde, und zwar ein Teil, wo weder die jetzigen Macht¬ haber »och die Hauptmasse der Bevölkerung wohnen, denen es auch vollkommen *) bei v. Müller, Bd. IV, S. 79 Ende. ^ ) v. Müller, Ergcinzungshest S. 16. Bd. IV. S. 130.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/619>, abgerufen am 05.02.2025.