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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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vertrauten Mitarbeiter verdrängen, ja der Boden, auf dem er selber steht, scheint
ihm schon von der Intrigue fast unterwühlt zu sein, alles schwankt, selbst Moltke
ist einem entschieden Eingreifen abgeneigt. Bei diesem trüben Blick in die
Zukunft hat er nur den einen Trost: der König "bleibt fest" stehn auf dem
Ergebnis der Konferenz, die sich gegen die Beschießung der Stadt selbst erklärt
hatte, die Roon mit "sechs bis acht Geschützen" noch gar "vor Ankunft der
ersten Munitionsrate" beginnen wollte. Auch der König versprach sich keinen
Erfolg von einem Bombardement der Riesenstadt mit ein paar Geschützen;
drum wollte er von einem solchen "zwecklosen Knallen" nichts wissen, und das
war eben in Blumenthals Sinne "ein wahrer Segen", da sonst die Partei der
Schießer auf gar kein Hindernis mehr gestoßen wäre und mit der Bombarde-
mcntskitzelei Hütte begonnen werden können. Darin aber sah Blumenthal einen
großen, unverzeihlicher Fehler. Er hatte "nichts dagegen, wenn Paris tüchtig
bombardiert würde", ja er wünschte sehnlich, "daß es dazu kommen möge, da
es vielleicht das einzige Mittel ist, die erhitzten Gemüter zur Raison zu bringen"
(3. Januar); aber mit "ein paar Grcmatwürfeu" (7. Januar) den Parisern Furcht
einjagen wollen, das schien ihm, könne nur einem Fähnrich verziehen werden.
Einem "erfahrnen Führer" muß "solche Halbheit widerlich sein", denn "was
der Soldat tut, muß er ordentlich und energisch tun. und bei einen, Unter¬
nehmen, wie die Belagerung einer Stadt mit mehr wie 400000 bewaffneten
Verteidigern, kann man nicht wie ein Fähnrich verfahren, sonst ist Kunst und
Wissenschaft ein überflüssiger Ballast" (26. Dezember).

Mit dieser Erklärung dürften die "vielen ungenügend unterrichteten Leser"
schwerlich irregeleitet werden! scheint doch das unverkürzte Zitat "Es ist ein wahrer
Segen, daß der König fest bleibt und von der kindischen Einzelnschießerei
und dem zwecklosen Knallen nichts wissen will", ihre Nichtigkeit zu erweisen,
indem es die Möglichkeit einer andern Auffassung geradezu ausschließt. Denn
gesetzt den Fall, die "kindische Einzelnschießerei" wäre auf die Beschießung un
allgemeinen oder auf die in der Konferenz beschlossene Beschießung der Forts
zu beziehn - mit welcher Berechtigung hätte Blumenthal dann einen Angriff,
zu dem 110 Geschütze bereit standen, als eine "Einzelnschießerei" bezeichnet,
und wie hätte er ein Unternehmen als "kindisch" verurteilen können.*) zu dessen
Ausführung er selber seine Bereitwilligkeit erklärt hatte?

Trefflich aber paßt beides zur Zeichnung der von Roon beantragten
Kanonade des Stadtinnern. Eine solche Beschießung ist für Blumenthal eine
..Einzelnschießerei", d. h. das Gegenteil des von Hinderst" bei der Aufstellung
des allgemeinen Angriffsplans geforderten "massenhaften Feuers", insofern d.e
Beschießung einer Riesenstadt wie Paris mit "sechs" bis "acht" Geschützen nur
die Bedeutung von "ein paar Granatwürfen" (4. Januar), "ein paar zufällig em-



') 19. Dezember- "Ich konnte nur sagen, ich werd- ja ein Beschießen der Forts nicht
hindern, wenn die nötige Munition heran ist."
Grenzboten II 1S07 ^

vertrauten Mitarbeiter verdrängen, ja der Boden, auf dem er selber steht, scheint
ihm schon von der Intrigue fast unterwühlt zu sein, alles schwankt, selbst Moltke
ist einem entschieden Eingreifen abgeneigt. Bei diesem trüben Blick in die
Zukunft hat er nur den einen Trost: der König „bleibt fest" stehn auf dem
Ergebnis der Konferenz, die sich gegen die Beschießung der Stadt selbst erklärt
hatte, die Roon mit „sechs bis acht Geschützen" noch gar „vor Ankunft der
ersten Munitionsrate" beginnen wollte. Auch der König versprach sich keinen
Erfolg von einem Bombardement der Riesenstadt mit ein paar Geschützen;
drum wollte er von einem solchen „zwecklosen Knallen" nichts wissen, und das
war eben in Blumenthals Sinne „ein wahrer Segen", da sonst die Partei der
Schießer auf gar kein Hindernis mehr gestoßen wäre und mit der Bombarde-
mcntskitzelei Hütte begonnen werden können. Darin aber sah Blumenthal einen
großen, unverzeihlicher Fehler. Er hatte „nichts dagegen, wenn Paris tüchtig
bombardiert würde", ja er wünschte sehnlich, „daß es dazu kommen möge, da
es vielleicht das einzige Mittel ist, die erhitzten Gemüter zur Raison zu bringen"
(3. Januar); aber mit „ein paar Grcmatwürfeu" (7. Januar) den Parisern Furcht
einjagen wollen, das schien ihm, könne nur einem Fähnrich verziehen werden.
Einem „erfahrnen Führer" muß „solche Halbheit widerlich sein", denn „was
der Soldat tut, muß er ordentlich und energisch tun. und bei einen, Unter¬
nehmen, wie die Belagerung einer Stadt mit mehr wie 400000 bewaffneten
Verteidigern, kann man nicht wie ein Fähnrich verfahren, sonst ist Kunst und
Wissenschaft ein überflüssiger Ballast" (26. Dezember).

Mit dieser Erklärung dürften die „vielen ungenügend unterrichteten Leser"
schwerlich irregeleitet werden! scheint doch das unverkürzte Zitat „Es ist ein wahrer
Segen, daß der König fest bleibt und von der kindischen Einzelnschießerei
und dem zwecklosen Knallen nichts wissen will", ihre Nichtigkeit zu erweisen,
indem es die Möglichkeit einer andern Auffassung geradezu ausschließt. Denn
gesetzt den Fall, die „kindische Einzelnschießerei" wäre auf die Beschießung un
allgemeinen oder auf die in der Konferenz beschlossene Beschießung der Forts
zu beziehn - mit welcher Berechtigung hätte Blumenthal dann einen Angriff,
zu dem 110 Geschütze bereit standen, als eine „Einzelnschießerei" bezeichnet,
und wie hätte er ein Unternehmen als „kindisch" verurteilen können.*) zu dessen
Ausführung er selber seine Bereitwilligkeit erklärt hatte?

Trefflich aber paßt beides zur Zeichnung der von Roon beantragten
Kanonade des Stadtinnern. Eine solche Beschießung ist für Blumenthal eine
..Einzelnschießerei", d. h. das Gegenteil des von Hinderst» bei der Aufstellung
des allgemeinen Angriffsplans geforderten „massenhaften Feuers", insofern d.e
Beschießung einer Riesenstadt wie Paris mit „sechs" bis „acht" Geschützen nur
die Bedeutung von „ein paar Granatwürfen" (4. Januar), „ein paar zufällig em-



') 19. Dezember- „Ich konnte nur sagen, ich werd- ja ein Beschießen der Forts nicht
hindern, wenn die nötige Munition heran ist."
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[0617] vertrauten Mitarbeiter verdrängen, ja der Boden, auf dem er selber steht, scheint ihm schon von der Intrigue fast unterwühlt zu sein, alles schwankt, selbst Moltke ist einem entschieden Eingreifen abgeneigt. Bei diesem trüben Blick in die Zukunft hat er nur den einen Trost: der König „bleibt fest" stehn auf dem Ergebnis der Konferenz, die sich gegen die Beschießung der Stadt selbst erklärt hatte, die Roon mit „sechs bis acht Geschützen" noch gar „vor Ankunft der ersten Munitionsrate" beginnen wollte. Auch der König versprach sich keinen Erfolg von einem Bombardement der Riesenstadt mit ein paar Geschützen; drum wollte er von einem solchen „zwecklosen Knallen" nichts wissen, und das war eben in Blumenthals Sinne „ein wahrer Segen", da sonst die Partei der Schießer auf gar kein Hindernis mehr gestoßen wäre und mit der Bombarde- mcntskitzelei Hütte begonnen werden können. Darin aber sah Blumenthal einen großen, unverzeihlicher Fehler. Er hatte „nichts dagegen, wenn Paris tüchtig bombardiert würde", ja er wünschte sehnlich, „daß es dazu kommen möge, da es vielleicht das einzige Mittel ist, die erhitzten Gemüter zur Raison zu bringen" (3. Januar); aber mit „ein paar Grcmatwürfeu" (7. Januar) den Parisern Furcht einjagen wollen, das schien ihm, könne nur einem Fähnrich verziehen werden. Einem „erfahrnen Führer" muß „solche Halbheit widerlich sein", denn „was der Soldat tut, muß er ordentlich und energisch tun. und bei einen, Unter¬ nehmen, wie die Belagerung einer Stadt mit mehr wie 400000 bewaffneten Verteidigern, kann man nicht wie ein Fähnrich verfahren, sonst ist Kunst und Wissenschaft ein überflüssiger Ballast" (26. Dezember). Mit dieser Erklärung dürften die „vielen ungenügend unterrichteten Leser" schwerlich irregeleitet werden! scheint doch das unverkürzte Zitat „Es ist ein wahrer Segen, daß der König fest bleibt und von der kindischen Einzelnschießerei und dem zwecklosen Knallen nichts wissen will", ihre Nichtigkeit zu erweisen, indem es die Möglichkeit einer andern Auffassung geradezu ausschließt. Denn gesetzt den Fall, die „kindische Einzelnschießerei" wäre auf die Beschießung un allgemeinen oder auf die in der Konferenz beschlossene Beschießung der Forts zu beziehn - mit welcher Berechtigung hätte Blumenthal dann einen Angriff, zu dem 110 Geschütze bereit standen, als eine „Einzelnschießerei" bezeichnet, und wie hätte er ein Unternehmen als „kindisch" verurteilen können.*) zu dessen Ausführung er selber seine Bereitwilligkeit erklärt hatte? Trefflich aber paßt beides zur Zeichnung der von Roon beantragten Kanonade des Stadtinnern. Eine solche Beschießung ist für Blumenthal eine ..Einzelnschießerei", d. h. das Gegenteil des von Hinderst» bei der Aufstellung des allgemeinen Angriffsplans geforderten „massenhaften Feuers", insofern d.e Beschießung einer Riesenstadt wie Paris mit „sechs" bis „acht" Geschützen nur die Bedeutung von „ein paar Granatwürfen" (4. Januar), „ein paar zufällig em- ') 19. Dezember- „Ich konnte nur sagen, ich werd- ja ein Beschießen der Forts nicht hindern, wenn die nötige Munition heran ist." Grenzboten II 1S07 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/617>, abgerufen am 05.02.2025.