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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Eine Zoinmerfahrt in das Erzgebirge

dahinter verflacht es sich und wird reizlos und uninteressant. Wir gehen deshalb
hier zurück und steigen nun erst auf bequemem Waldwege links die Höhe zum
Katzenstein hinauf. Oben hat man von einer weit vorstehenden, mit eisernem
Geländer geschützten Felsplatte eine prächtige Aussicht auf das unten liegende
Tal und seine Umgebung. Senkrecht stürzt der Felsen etwa 60 Meter zur Tiefe,
in der die Schwarze Pockau ihre Fluten dahintreibt. Oben links fesselt uns
eine ungeheure Felswand, die Ringmauer, die mit den dunkelgrünen Fichten auf
ihren Abhängen ein höchst malerisches Bild bietet. Der Ringmauer gegenüber
liegt der mit dichtem Gehölz bedeckte Rabenberg, auf dessen vordersten Ausläufer
nach der Volksmeinung ein berüchtigtes Raubschloß gestanden haben soll. Jeder¬
mann in der Umgegend kennt diese Stätte nur unter dem Namen "das alte
Raubschloß", und selbst die Forstverwaltung gibt diesem Teil des Kriegswcilder
Forstreviers die offizielle Bezeichnung "am Raubschloß". Wenn aber an langen
Winterabenden die Leute der dortigen Gegend in der Rockenstube beim "Hutzen"
zusammenkommen, dann erzählt man sich schaurig-schöne Geschichten von der
Bande des "Bastels" oder des "Schmiedeberger Karls" (der Wilddieb Karl
Stülpner) und des "dürren Schneiders", die noch zu Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts in den weiten Waldungen am Katzenstein und am Nabenberg ihr
Unwesen trieben. Ehe wir den Kcchenftein verlassen, betrachten wir auf dem
Plateau selbst noch eine tischähnliche Felsplatte, die gewissermaßen von historischer
Wichtigkeit ist, da an ihr schon Kurfürst Johann Georg der Erste und später
König Johann und König Albert als Kronprinz große Jagdfrtthstücke gehalten
haben. In einer benachbarten Felsgruppe zeigen sich hohle Räume, die als
Vorratskammern dienen können. Unser Weg führt nun zunächst nach den
Pobershauer Feldern und dann nach dem Dorfe Pobershau selbst, das lebhafte
Spielwarendreherei und Schachtelfabrikation betreibt. Die Schachteln werden
aus entsprechend breiten und langen Spänen von Tannen- oder Fichtenholz
über eine Form gebogen, an den Enden mit Spünchen zusammengeheftet und
mit einem dünnen, durch Holzstifte befestigten Brettboden versehen. Bei einer
Schmiede machten wir hier die Wahrnehmung, daß die Ochsen mit Eisen be¬
schlagen wurden wie die Pferde.

Um nach Marienberg zu gelaugen, wählen wir von Pobershau aus den
sogenannten "Stangenweg", überschreiten die Rote Pockau, passieren die Ort¬
schaften Dörfel und langen endlich um ^12 Uhr in Marienberg im Weißen
Roß an. Marienberg, 608 Meter hoch gelegen, eine Stadt von 7600 Einwohnern,
verdankt seine Gründung (1521) durch Herzog Heinrich den Frommen dem reichen
Bergsegen und war ehedem befestigt, woran noch Reste der frühern Stadtmauer,
ein Wartturin und das mächtige Zschopauer Tor erinnern. Die Stadt ist völlig
regelmüßig angelegt, hat aber außer der Kirche mit ihrer dreischiffigen Hallen¬
anlage, einer der schönsten domartig gebauten Kirchen Sachsens, und dem
großen quadratischen, mit Linden umpflanzten Marktplatz keine besondern Sehens¬
würdigkeiten. Dagegen weist seine Umgebung mehrere hübsche Punkte auf-


Eine Zoinmerfahrt in das Erzgebirge

dahinter verflacht es sich und wird reizlos und uninteressant. Wir gehen deshalb
hier zurück und steigen nun erst auf bequemem Waldwege links die Höhe zum
Katzenstein hinauf. Oben hat man von einer weit vorstehenden, mit eisernem
Geländer geschützten Felsplatte eine prächtige Aussicht auf das unten liegende
Tal und seine Umgebung. Senkrecht stürzt der Felsen etwa 60 Meter zur Tiefe,
in der die Schwarze Pockau ihre Fluten dahintreibt. Oben links fesselt uns
eine ungeheure Felswand, die Ringmauer, die mit den dunkelgrünen Fichten auf
ihren Abhängen ein höchst malerisches Bild bietet. Der Ringmauer gegenüber
liegt der mit dichtem Gehölz bedeckte Rabenberg, auf dessen vordersten Ausläufer
nach der Volksmeinung ein berüchtigtes Raubschloß gestanden haben soll. Jeder¬
mann in der Umgegend kennt diese Stätte nur unter dem Namen „das alte
Raubschloß", und selbst die Forstverwaltung gibt diesem Teil des Kriegswcilder
Forstreviers die offizielle Bezeichnung „am Raubschloß". Wenn aber an langen
Winterabenden die Leute der dortigen Gegend in der Rockenstube beim „Hutzen"
zusammenkommen, dann erzählt man sich schaurig-schöne Geschichten von der
Bande des „Bastels" oder des „Schmiedeberger Karls" (der Wilddieb Karl
Stülpner) und des „dürren Schneiders", die noch zu Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts in den weiten Waldungen am Katzenstein und am Nabenberg ihr
Unwesen trieben. Ehe wir den Kcchenftein verlassen, betrachten wir auf dem
Plateau selbst noch eine tischähnliche Felsplatte, die gewissermaßen von historischer
Wichtigkeit ist, da an ihr schon Kurfürst Johann Georg der Erste und später
König Johann und König Albert als Kronprinz große Jagdfrtthstücke gehalten
haben. In einer benachbarten Felsgruppe zeigen sich hohle Räume, die als
Vorratskammern dienen können. Unser Weg führt nun zunächst nach den
Pobershauer Feldern und dann nach dem Dorfe Pobershau selbst, das lebhafte
Spielwarendreherei und Schachtelfabrikation betreibt. Die Schachteln werden
aus entsprechend breiten und langen Spänen von Tannen- oder Fichtenholz
über eine Form gebogen, an den Enden mit Spünchen zusammengeheftet und
mit einem dünnen, durch Holzstifte befestigten Brettboden versehen. Bei einer
Schmiede machten wir hier die Wahrnehmung, daß die Ochsen mit Eisen be¬
schlagen wurden wie die Pferde.

Um nach Marienberg zu gelaugen, wählen wir von Pobershau aus den
sogenannten „Stangenweg", überschreiten die Rote Pockau, passieren die Ort¬
schaften Dörfel und langen endlich um ^12 Uhr in Marienberg im Weißen
Roß an. Marienberg, 608 Meter hoch gelegen, eine Stadt von 7600 Einwohnern,
verdankt seine Gründung (1521) durch Herzog Heinrich den Frommen dem reichen
Bergsegen und war ehedem befestigt, woran noch Reste der frühern Stadtmauer,
ein Wartturin und das mächtige Zschopauer Tor erinnern. Die Stadt ist völlig
regelmüßig angelegt, hat aber außer der Kirche mit ihrer dreischiffigen Hallen¬
anlage, einer der schönsten domartig gebauten Kirchen Sachsens, und dem
großen quadratischen, mit Linden umpflanzten Marktplatz keine besondern Sehens¬
würdigkeiten. Dagegen weist seine Umgebung mehrere hübsche Punkte auf-


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[0578] Eine Zoinmerfahrt in das Erzgebirge dahinter verflacht es sich und wird reizlos und uninteressant. Wir gehen deshalb hier zurück und steigen nun erst auf bequemem Waldwege links die Höhe zum Katzenstein hinauf. Oben hat man von einer weit vorstehenden, mit eisernem Geländer geschützten Felsplatte eine prächtige Aussicht auf das unten liegende Tal und seine Umgebung. Senkrecht stürzt der Felsen etwa 60 Meter zur Tiefe, in der die Schwarze Pockau ihre Fluten dahintreibt. Oben links fesselt uns eine ungeheure Felswand, die Ringmauer, die mit den dunkelgrünen Fichten auf ihren Abhängen ein höchst malerisches Bild bietet. Der Ringmauer gegenüber liegt der mit dichtem Gehölz bedeckte Rabenberg, auf dessen vordersten Ausläufer nach der Volksmeinung ein berüchtigtes Raubschloß gestanden haben soll. Jeder¬ mann in der Umgegend kennt diese Stätte nur unter dem Namen „das alte Raubschloß", und selbst die Forstverwaltung gibt diesem Teil des Kriegswcilder Forstreviers die offizielle Bezeichnung „am Raubschloß". Wenn aber an langen Winterabenden die Leute der dortigen Gegend in der Rockenstube beim „Hutzen" zusammenkommen, dann erzählt man sich schaurig-schöne Geschichten von der Bande des „Bastels" oder des „Schmiedeberger Karls" (der Wilddieb Karl Stülpner) und des „dürren Schneiders", die noch zu Mitte des vorigen Jahr¬ hunderts in den weiten Waldungen am Katzenstein und am Nabenberg ihr Unwesen trieben. Ehe wir den Kcchenftein verlassen, betrachten wir auf dem Plateau selbst noch eine tischähnliche Felsplatte, die gewissermaßen von historischer Wichtigkeit ist, da an ihr schon Kurfürst Johann Georg der Erste und später König Johann und König Albert als Kronprinz große Jagdfrtthstücke gehalten haben. In einer benachbarten Felsgruppe zeigen sich hohle Räume, die als Vorratskammern dienen können. Unser Weg führt nun zunächst nach den Pobershauer Feldern und dann nach dem Dorfe Pobershau selbst, das lebhafte Spielwarendreherei und Schachtelfabrikation betreibt. Die Schachteln werden aus entsprechend breiten und langen Spänen von Tannen- oder Fichtenholz über eine Form gebogen, an den Enden mit Spünchen zusammengeheftet und mit einem dünnen, durch Holzstifte befestigten Brettboden versehen. Bei einer Schmiede machten wir hier die Wahrnehmung, daß die Ochsen mit Eisen be¬ schlagen wurden wie die Pferde. Um nach Marienberg zu gelaugen, wählen wir von Pobershau aus den sogenannten „Stangenweg", überschreiten die Rote Pockau, passieren die Ort¬ schaften Dörfel und langen endlich um ^12 Uhr in Marienberg im Weißen Roß an. Marienberg, 608 Meter hoch gelegen, eine Stadt von 7600 Einwohnern, verdankt seine Gründung (1521) durch Herzog Heinrich den Frommen dem reichen Bergsegen und war ehedem befestigt, woran noch Reste der frühern Stadtmauer, ein Wartturin und das mächtige Zschopauer Tor erinnern. Die Stadt ist völlig regelmüßig angelegt, hat aber außer der Kirche mit ihrer dreischiffigen Hallen¬ anlage, einer der schönsten domartig gebauten Kirchen Sachsens, und dem großen quadratischen, mit Linden umpflanzten Marktplatz keine besondern Sehens¬ würdigkeiten. Dagegen weist seine Umgebung mehrere hübsche Punkte auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/578>, abgerufen am 06.02.2025.