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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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geheuersten Opfern nicht zurück. Um die Vereinigten Staaten von Amerika auf
seine Seite herüberzuziehen, verkaufte er ihnen die schönste Kolonie Frankreichs,
Louisiana. das damals bekanntlich nicht bloß die Mississippimündungen sondern
auch das ganze westliche Ufer des Vaters der Ströme umfaßte, für ein wahres
Spottgeld (15 Millionen Dollars) und erlebte noch kurz vor der großen Ent¬
scheidung von 1812 die Genugtuung, das Britenreich in einen Krieg mit der
aufstrebenden jungen Schwester jenseits des Ozeans verwickelt zu sehen. Seine
Pläne und Hoffnungen scheiterten aber durchweg. Nachdem England geradezu
mit gekreuzten Armen der Halbierung Preußens, der Demütigung Rußlands in
Tilsit zugesehen hatte, schien es urplötzlich aus seiner politischen Umneblung
zu erwachen, als sich die Folgen der Kontinentalsperre den breitern Schichten
seiner erwerbenden Bevölkerung fühlbar machten. Bald folgten Schläge, wie
die Fortführung der dänischen Kriegsflotte, die Landung in Portugal, und das
Glück, das Albions Unternehmungen seit Elisabeths und Cromwells Tagen
begleitet hatte, wollte, daß diese anscheinend verspäteten Entschlüsse doch noch
"icht zu spät kamen, daß John Bulls militärische Treppenwitze am letzten Ende
die Lacher auf seine Seite brachten.

Es läßt sich nicht bestreiten, daß die militärischen Anlagen der Briten be¬
deutend sind. Wer sie nach ihrer Literatur beurteilt, die bis auf Rudyard
Kipling herab voller Waffenklang und Glorienschein ist, muß sie für das
kriegerischste Volk der Welt halten. Und wer einmal England besucht hat, der
wird über die Meuge martialischer Physiognomien selbst in den Kreisen ganz
friedlicher Bürgersleute erstaunt sein. Aber die Grundlage aller militärischen
Erfolge, die Vorbereitung, die Organisation hat unsern angelsächsischen Vettern
immer gefehlt. Jedes Heer, das England im Laufe eines großen und verlust¬
reiche" Krieges ius Feld stellt, hatte etwas Improvisiertes. Zusammengewürfeltes,
eine entfernte Verwandtschaft mit der berühmten Falstaffgarde. Wenn trotzdem
seine bleichwangigen Großstädter zu guten Jnfanteristen, seine kartoffelessenden
Jrländer zu guten Kavalleristen, seine verwöhnten Lords und Plutokrateu zu
erfolgreichen Feldherren werden, so muß in diesem Volle doch e.n ungewöhnlich
tüchtiger Kern stecken. Marlborough hat sich seiue Sporen zwar redlich uuter
Turenne verdient. war aber uur durch die Gunst des leichtlebige" Stuarthofes
General geworden, denn seine Schwester Arabella war die Geliebte ^akobs des
Zweiten. Lord Clive war ein vom Dämon starker Leidenschaften geschüttelter
Conquistador. der sich bald nach seiner Freisprechung vor dem P"r ameuts-
gerichtshof in einem Anfall geistiger Umnachtung erschoß ^"wes Wol e .et
"is dreiuuddreißigjähriger Haudegen - ein reiner Empiriker, den i Sie
göttin als ihren erklärten Liebling an die Spitze des Heeres S
Arthur Wellesley. der spätere Herzog vou Welliugwn, h°ete sich, me viele
seiner begüterten Landsleute, sein Offizierspatent, mit zwar gleich das eines
Oberstleutnants, gekauft. Erst Wolseley. Roberts. Kücheuer waren als regel¬
recht geschulte Offiziere, als militärische Fachmänner anzusehen.


geheuersten Opfern nicht zurück. Um die Vereinigten Staaten von Amerika auf
seine Seite herüberzuziehen, verkaufte er ihnen die schönste Kolonie Frankreichs,
Louisiana. das damals bekanntlich nicht bloß die Mississippimündungen sondern
auch das ganze westliche Ufer des Vaters der Ströme umfaßte, für ein wahres
Spottgeld (15 Millionen Dollars) und erlebte noch kurz vor der großen Ent¬
scheidung von 1812 die Genugtuung, das Britenreich in einen Krieg mit der
aufstrebenden jungen Schwester jenseits des Ozeans verwickelt zu sehen. Seine
Pläne und Hoffnungen scheiterten aber durchweg. Nachdem England geradezu
mit gekreuzten Armen der Halbierung Preußens, der Demütigung Rußlands in
Tilsit zugesehen hatte, schien es urplötzlich aus seiner politischen Umneblung
zu erwachen, als sich die Folgen der Kontinentalsperre den breitern Schichten
seiner erwerbenden Bevölkerung fühlbar machten. Bald folgten Schläge, wie
die Fortführung der dänischen Kriegsflotte, die Landung in Portugal, und das
Glück, das Albions Unternehmungen seit Elisabeths und Cromwells Tagen
begleitet hatte, wollte, daß diese anscheinend verspäteten Entschlüsse doch noch
"icht zu spät kamen, daß John Bulls militärische Treppenwitze am letzten Ende
die Lacher auf seine Seite brachten.

Es läßt sich nicht bestreiten, daß die militärischen Anlagen der Briten be¬
deutend sind. Wer sie nach ihrer Literatur beurteilt, die bis auf Rudyard
Kipling herab voller Waffenklang und Glorienschein ist, muß sie für das
kriegerischste Volk der Welt halten. Und wer einmal England besucht hat, der
wird über die Meuge martialischer Physiognomien selbst in den Kreisen ganz
friedlicher Bürgersleute erstaunt sein. Aber die Grundlage aller militärischen
Erfolge, die Vorbereitung, die Organisation hat unsern angelsächsischen Vettern
immer gefehlt. Jedes Heer, das England im Laufe eines großen und verlust¬
reiche» Krieges ius Feld stellt, hatte etwas Improvisiertes. Zusammengewürfeltes,
eine entfernte Verwandtschaft mit der berühmten Falstaffgarde. Wenn trotzdem
seine bleichwangigen Großstädter zu guten Jnfanteristen, seine kartoffelessenden
Jrländer zu guten Kavalleristen, seine verwöhnten Lords und Plutokrateu zu
erfolgreichen Feldherren werden, so muß in diesem Volle doch e.n ungewöhnlich
tüchtiger Kern stecken. Marlborough hat sich seiue Sporen zwar redlich uuter
Turenne verdient. war aber uur durch die Gunst des leichtlebige» Stuarthofes
General geworden, denn seine Schwester Arabella war die Geliebte ^akobs des
Zweiten. Lord Clive war ein vom Dämon starker Leidenschaften geschüttelter
Conquistador. der sich bald nach seiner Freisprechung vor dem P«r ameuts-
gerichtshof in einem Anfall geistiger Umnachtung erschoß ^"wes Wol e .et
"is dreiuuddreißigjähriger Haudegen - ein reiner Empiriker, den i Sie
göttin als ihren erklärten Liebling an die Spitze des Heeres S
Arthur Wellesley. der spätere Herzog vou Welliugwn, h°ete sich, me viele
seiner begüterten Landsleute, sein Offizierspatent, mit zwar gleich das eines
Oberstleutnants, gekauft. Erst Wolseley. Roberts. Kücheuer waren als regel¬
recht geschulte Offiziere, als militärische Fachmänner anzusehen.


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[0557] geheuersten Opfern nicht zurück. Um die Vereinigten Staaten von Amerika auf seine Seite herüberzuziehen, verkaufte er ihnen die schönste Kolonie Frankreichs, Louisiana. das damals bekanntlich nicht bloß die Mississippimündungen sondern auch das ganze westliche Ufer des Vaters der Ströme umfaßte, für ein wahres Spottgeld (15 Millionen Dollars) und erlebte noch kurz vor der großen Ent¬ scheidung von 1812 die Genugtuung, das Britenreich in einen Krieg mit der aufstrebenden jungen Schwester jenseits des Ozeans verwickelt zu sehen. Seine Pläne und Hoffnungen scheiterten aber durchweg. Nachdem England geradezu mit gekreuzten Armen der Halbierung Preußens, der Demütigung Rußlands in Tilsit zugesehen hatte, schien es urplötzlich aus seiner politischen Umneblung zu erwachen, als sich die Folgen der Kontinentalsperre den breitern Schichten seiner erwerbenden Bevölkerung fühlbar machten. Bald folgten Schläge, wie die Fortführung der dänischen Kriegsflotte, die Landung in Portugal, und das Glück, das Albions Unternehmungen seit Elisabeths und Cromwells Tagen begleitet hatte, wollte, daß diese anscheinend verspäteten Entschlüsse doch noch "icht zu spät kamen, daß John Bulls militärische Treppenwitze am letzten Ende die Lacher auf seine Seite brachten. Es läßt sich nicht bestreiten, daß die militärischen Anlagen der Briten be¬ deutend sind. Wer sie nach ihrer Literatur beurteilt, die bis auf Rudyard Kipling herab voller Waffenklang und Glorienschein ist, muß sie für das kriegerischste Volk der Welt halten. Und wer einmal England besucht hat, der wird über die Meuge martialischer Physiognomien selbst in den Kreisen ganz friedlicher Bürgersleute erstaunt sein. Aber die Grundlage aller militärischen Erfolge, die Vorbereitung, die Organisation hat unsern angelsächsischen Vettern immer gefehlt. Jedes Heer, das England im Laufe eines großen und verlust¬ reiche» Krieges ius Feld stellt, hatte etwas Improvisiertes. Zusammengewürfeltes, eine entfernte Verwandtschaft mit der berühmten Falstaffgarde. Wenn trotzdem seine bleichwangigen Großstädter zu guten Jnfanteristen, seine kartoffelessenden Jrländer zu guten Kavalleristen, seine verwöhnten Lords und Plutokrateu zu erfolgreichen Feldherren werden, so muß in diesem Volle doch e.n ungewöhnlich tüchtiger Kern stecken. Marlborough hat sich seiue Sporen zwar redlich uuter Turenne verdient. war aber uur durch die Gunst des leichtlebige» Stuarthofes General geworden, denn seine Schwester Arabella war die Geliebte ^akobs des Zweiten. Lord Clive war ein vom Dämon starker Leidenschaften geschüttelter Conquistador. der sich bald nach seiner Freisprechung vor dem P«r ameuts- gerichtshof in einem Anfall geistiger Umnachtung erschoß ^"wes Wol e .et "is dreiuuddreißigjähriger Haudegen - ein reiner Empiriker, den i Sie göttin als ihren erklärten Liebling an die Spitze des Heeres S Arthur Wellesley. der spätere Herzog vou Welliugwn, h°ete sich, me viele seiner begüterten Landsleute, sein Offizierspatent, mit zwar gleich das eines Oberstleutnants, gekauft. Erst Wolseley. Roberts. Kücheuer waren als regel¬ recht geschulte Offiziere, als militärische Fachmänner anzusehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/557>, abgerufen am 06.02.2025.