Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Tilsit -- ein Zusammenbruch der britischen Festlandpolitik in der Hauptsache dem trefflichen Napoleonbuch von John Holland Rose Der tiefgehende Interessengegensatz zwischen Frankreich und England nahm Der gewaltige Zweikampf Englands und Frankreichs um europäische Tilsit — ein Zusammenbruch der britischen Festlandpolitik in der Hauptsache dem trefflichen Napoleonbuch von John Holland Rose Der tiefgehende Interessengegensatz zwischen Frankreich und England nahm Der gewaltige Zweikampf Englands und Frankreichs um europäische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0556" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302544"/> <fw type="header" place="top"> Tilsit — ein Zusammenbruch der britischen Festlandpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_2408" prev="#ID_2407"> in der Hauptsache dem trefflichen Napoleonbuch von John Holland Rose<lb/> (Napoleon I., deutsch von Dr. K. W. Schmidt), dessen Untersuchungen diesen Aus¬<lb/> führungen teilweise zugrunde gelegt sind. Wenn Rose bittere Anklagen gegen die<lb/> britische Politik jener Zeit erhebt, so tut er das freilich als Parteimann, denn ihm<lb/> als erklärtem Imperialisten bereitet es ausnehmendes Vergnügen, die Fehler der<lb/> Whigs und ihres jeweiligen Anhanges in den schwankenden und unkritischen<lb/> Schichten der englischen Gesellschaft, auch die der tatenscheuen Alt-Tories auf¬<lb/> zudecken. Das System des englischen Parlamentarismus, seine oft verhängnis¬<lb/> vollen Einwirkungen ans die auswärtige Politik des Laudes wagt er uicht offen<lb/> zu tadeln, doch wird er als ein in die Tiefen der Erscheinungswelt dringender<lb/> Forscher, der gleich Taine über Doktrinen und Phrasen erhaben ist, sich wohl<lb/> seine Gedanken darüber gemacht haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2409"> Der tiefgehende Interessengegensatz zwischen Frankreich und England nahm<lb/> seinen Anfang mit der Schlacht von Hastings. Die Normannenkönige und<lb/> ihre Nachfolger, die Plantagenets, standen seitdem mit einem Fuß auf eng¬<lb/> lischem, mit dem andern auf französischem Boden. Sie aus Frankreich hinaus¬<lb/> zuwerfen war das Bestreben aller tüchtigen französischen Könige. Das gelang<lb/> den energischen und genialen, wie Philipp dem Zweiten August und Karl dem<lb/> Fünften, mit glänzendem Erfolg, das glückte schließlich auch den bloß pflicht¬<lb/> bewußten und tatbereiten, wie Karl dem Siebenten, unter dem eine Periode fast<lb/> unaufhörlicher hundertjähriger Kämpfe zum Abschluß gelangte. Alle spätern<lb/> Versuche der Engländer, sich ans französischem Boden zu behaupten oder gar<lb/> aufs neue festzusetzen, schlugen fehl. England bekannte sich schließlich still¬<lb/> schweigend als besiegt und suchte in der Kolonialpolitik einen neuen Tummel¬<lb/> platz für seine stets bedeutende innere Energie und Aktionskraft. Niemals<lb/> aber gewann das Jnselvolk die Stoßkraft und den Wcigemnt zurück, die es<lb/> unter den Plantagenets gehabt hatte, niemals mehr sollte es in der Lage sein,<lb/> ohne die Hilfe starker kontinentaler Verbündeter ein Landheer über den Kanal<lb/> zu werfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2410" next="#ID_2411"> Der gewaltige Zweikampf Englands und Frankreichs um europäische<lb/> Siegespreise fand in der Vertreibung der fünftausend Franzosen, die Jakob den<lb/> Zweiten nach Irland begleitet hatten, noch ein eigenartiges Nachspiel. Mit<lb/> dem Eingreifen Englands in den Spanischen Erbfolgekrieg beginnt unmittelbar<lb/> darauf die Periode der See- und Kolonialkriege, die für England ebenso glücklich<lb/> wie für Frankreich unheilvoll verliefen. Sie dauerten nur etwas über ein<lb/> Jahrhundert. Alle Kriege, die der tatkräftigste französische Monarch, Napoleon<lb/> der Erste, gegen die europäischen Festlandmüchte führte, waren im Grunde nur<lb/> Nebenszcnen in dem erschütternden welthistorischen Drama des Ringens der<lb/> beiden Westmächte. Um der stets eigennützigen und ränkevollen Einmischung<lb/> Englands in kontinentale Angelegenheiten für immer ein Ende zu machen,<lb/> wollte er sie durch eine noch stärkere französisch - napoleonische Selbstsucht<lb/> übertrumpfen und scheute in der Verfolgung dieses Ziels selbst vor den un-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0556]
Tilsit — ein Zusammenbruch der britischen Festlandpolitik
in der Hauptsache dem trefflichen Napoleonbuch von John Holland Rose
(Napoleon I., deutsch von Dr. K. W. Schmidt), dessen Untersuchungen diesen Aus¬
führungen teilweise zugrunde gelegt sind. Wenn Rose bittere Anklagen gegen die
britische Politik jener Zeit erhebt, so tut er das freilich als Parteimann, denn ihm
als erklärtem Imperialisten bereitet es ausnehmendes Vergnügen, die Fehler der
Whigs und ihres jeweiligen Anhanges in den schwankenden und unkritischen
Schichten der englischen Gesellschaft, auch die der tatenscheuen Alt-Tories auf¬
zudecken. Das System des englischen Parlamentarismus, seine oft verhängnis¬
vollen Einwirkungen ans die auswärtige Politik des Laudes wagt er uicht offen
zu tadeln, doch wird er als ein in die Tiefen der Erscheinungswelt dringender
Forscher, der gleich Taine über Doktrinen und Phrasen erhaben ist, sich wohl
seine Gedanken darüber gemacht haben.
Der tiefgehende Interessengegensatz zwischen Frankreich und England nahm
seinen Anfang mit der Schlacht von Hastings. Die Normannenkönige und
ihre Nachfolger, die Plantagenets, standen seitdem mit einem Fuß auf eng¬
lischem, mit dem andern auf französischem Boden. Sie aus Frankreich hinaus¬
zuwerfen war das Bestreben aller tüchtigen französischen Könige. Das gelang
den energischen und genialen, wie Philipp dem Zweiten August und Karl dem
Fünften, mit glänzendem Erfolg, das glückte schließlich auch den bloß pflicht¬
bewußten und tatbereiten, wie Karl dem Siebenten, unter dem eine Periode fast
unaufhörlicher hundertjähriger Kämpfe zum Abschluß gelangte. Alle spätern
Versuche der Engländer, sich ans französischem Boden zu behaupten oder gar
aufs neue festzusetzen, schlugen fehl. England bekannte sich schließlich still¬
schweigend als besiegt und suchte in der Kolonialpolitik einen neuen Tummel¬
platz für seine stets bedeutende innere Energie und Aktionskraft. Niemals
aber gewann das Jnselvolk die Stoßkraft und den Wcigemnt zurück, die es
unter den Plantagenets gehabt hatte, niemals mehr sollte es in der Lage sein,
ohne die Hilfe starker kontinentaler Verbündeter ein Landheer über den Kanal
zu werfen.
Der gewaltige Zweikampf Englands und Frankreichs um europäische
Siegespreise fand in der Vertreibung der fünftausend Franzosen, die Jakob den
Zweiten nach Irland begleitet hatten, noch ein eigenartiges Nachspiel. Mit
dem Eingreifen Englands in den Spanischen Erbfolgekrieg beginnt unmittelbar
darauf die Periode der See- und Kolonialkriege, die für England ebenso glücklich
wie für Frankreich unheilvoll verliefen. Sie dauerten nur etwas über ein
Jahrhundert. Alle Kriege, die der tatkräftigste französische Monarch, Napoleon
der Erste, gegen die europäischen Festlandmüchte führte, waren im Grunde nur
Nebenszcnen in dem erschütternden welthistorischen Drama des Ringens der
beiden Westmächte. Um der stets eigennützigen und ränkevollen Einmischung
Englands in kontinentale Angelegenheiten für immer ein Ende zu machen,
wollte er sie durch eine noch stärkere französisch - napoleonische Selbstsucht
übertrumpfen und scheute in der Verfolgung dieses Ziels selbst vor den un-
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