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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Lrnst Abbe

solcher Vorbehalte ein Jahr lang gezahlte Zeitlohn oder Gehalt darf auch bei
schwächer": Geschäftsgange und verkürzter Arbeitzeit nicht mehr herabgesetzt
werden. "Das höchste Jahreseinkommen, das einem Beamten, die Mitglieder
der Geschäftsleitung eingeschlossen, für seine vertragsmüßige Dienstleistung
gewährt wird, darf zur Zeit der Festsetzung nicht hinausgehn über das Zehnfache
vom durchschnittliche" jährlichen Arbeitseinkommen der sämtlichen über 24 Jahre
alten und mindestens drei Jahre im Betrieb endigen Arbeiter nach den?
Durchschnitt der letzten drei Geschäftsjahre. Die durchschnittliche Höhe aller
der Beamtengehälter, die einzeln das Doppelte des vorgedachten durchschnitt¬
lichen Arbeitseinkommens erreichen oder überschreiten, soll nicht mehr als das
Vierfache jenes Arbeitseinkommens betragen." Diese Bestimmung, die dem
Beamteneinkommen eine obere Grenze setzt -- individuellen Unternehmergewinn
gibt es nicht, da alle Geschäfts- und Betriebsleiter Beamte sind --, ermöglicht
nicht bloß die sozialen Leistungen für die eignen Arbeiter, zu denen sehr an¬
ständige Pensionen gehören, sondern ergibt auch die Überschüsse, aus denen die
unter L genannten Leistungen bestritten werden. Die man kann sagen ängstliche
Sorge, mit der Abbe alles Gefühlsmüßige auszuschließen bemüht ist, macht
beinahe den Eindruck eines starrköpfigen Doktrinarismus. So hat er in den
Erläuterungen gesagt, es dürfe kein Teil dem andern böswillig oder fahrlässig
die redliche Vertragserfüllung erschweren, und fährt dann fort: "Mancher wird
geneigt sein, in solchen Rücksichten aus Treu und Glauben, die auch der industrielle
Arbeitsvertrag uicht ausschließe, noch einen erfreulichen Rest der sittlichen Be¬
ziehungen zu finden, die das alte Arbeitsverhältnis im Handwerk zwischen
Meister und Gesellen auch jetzt noch herstellt, soweit es auch jetzt noch Eintritt
in die Hausgenossenschaft und andres persönliches Nahetreten beider Teile
wesentlich einschließt. Jenes träfe hierüber höchstens nur in ganz uneigent¬
lichen Sinne zu. In Wahrheit begründet der industrielle Dienstvertrag keinerlei
sittliche Beziehungen zwischen den Kontrahenten als solchen", was er dann
noch näher ausführt.

Das Statut füllt 67 Druckseiten, zu denen noch 73 Seiten Motive und
Erläuterungen kommen. Daraus ersieht man schon, wie kompliziert das von
Abbe errichtete soziale Bauwerk ist, und diese Kompliziertheit dürfte sich, ab¬
gesehen von allem andern, was Bedenken erregt, für die Zukunft als eine
Gefahr erweisen, die vielleicht nicht eher hervortritt, als bis die, wie es scheint
vom Geiste des Stifters beseelte, Generation seiner Mitarbeiter ausgestorben
sein wird. Vor einigen Jahren machten Nachrichten von MißHelligkeiten, die
im Institut ausgebrochen seien, durch die Zeitungen die Runde. Abbe sagte
darüber in einer Sitzung des Arbeiterausschusses der Firma Carl Zeiß (das
optische Institut und die Glaswerke bleiben auch in der Stiftung zwei getrennte
Firmen): "Es ist, glaube ich, die Dorfzeitung gewesen, die der Katze die Schelle
angehängt hat. Zum Gaudium aller Scharfmacher in Deutschland verbreitete
sie das Gerücht, die Firma Carl Zcisz sei mit ihrer Arbeiterschaft aufs schärfste


Lrnst Abbe

solcher Vorbehalte ein Jahr lang gezahlte Zeitlohn oder Gehalt darf auch bei
schwächer«: Geschäftsgange und verkürzter Arbeitzeit nicht mehr herabgesetzt
werden. „Das höchste Jahreseinkommen, das einem Beamten, die Mitglieder
der Geschäftsleitung eingeschlossen, für seine vertragsmüßige Dienstleistung
gewährt wird, darf zur Zeit der Festsetzung nicht hinausgehn über das Zehnfache
vom durchschnittliche» jährlichen Arbeitseinkommen der sämtlichen über 24 Jahre
alten und mindestens drei Jahre im Betrieb endigen Arbeiter nach den?
Durchschnitt der letzten drei Geschäftsjahre. Die durchschnittliche Höhe aller
der Beamtengehälter, die einzeln das Doppelte des vorgedachten durchschnitt¬
lichen Arbeitseinkommens erreichen oder überschreiten, soll nicht mehr als das
Vierfache jenes Arbeitseinkommens betragen." Diese Bestimmung, die dem
Beamteneinkommen eine obere Grenze setzt — individuellen Unternehmergewinn
gibt es nicht, da alle Geschäfts- und Betriebsleiter Beamte sind —, ermöglicht
nicht bloß die sozialen Leistungen für die eignen Arbeiter, zu denen sehr an¬
ständige Pensionen gehören, sondern ergibt auch die Überschüsse, aus denen die
unter L genannten Leistungen bestritten werden. Die man kann sagen ängstliche
Sorge, mit der Abbe alles Gefühlsmüßige auszuschließen bemüht ist, macht
beinahe den Eindruck eines starrköpfigen Doktrinarismus. So hat er in den
Erläuterungen gesagt, es dürfe kein Teil dem andern böswillig oder fahrlässig
die redliche Vertragserfüllung erschweren, und fährt dann fort: „Mancher wird
geneigt sein, in solchen Rücksichten aus Treu und Glauben, die auch der industrielle
Arbeitsvertrag uicht ausschließe, noch einen erfreulichen Rest der sittlichen Be¬
ziehungen zu finden, die das alte Arbeitsverhältnis im Handwerk zwischen
Meister und Gesellen auch jetzt noch herstellt, soweit es auch jetzt noch Eintritt
in die Hausgenossenschaft und andres persönliches Nahetreten beider Teile
wesentlich einschließt. Jenes träfe hierüber höchstens nur in ganz uneigent¬
lichen Sinne zu. In Wahrheit begründet der industrielle Dienstvertrag keinerlei
sittliche Beziehungen zwischen den Kontrahenten als solchen", was er dann
noch näher ausführt.

Das Statut füllt 67 Druckseiten, zu denen noch 73 Seiten Motive und
Erläuterungen kommen. Daraus ersieht man schon, wie kompliziert das von
Abbe errichtete soziale Bauwerk ist, und diese Kompliziertheit dürfte sich, ab¬
gesehen von allem andern, was Bedenken erregt, für die Zukunft als eine
Gefahr erweisen, die vielleicht nicht eher hervortritt, als bis die, wie es scheint
vom Geiste des Stifters beseelte, Generation seiner Mitarbeiter ausgestorben
sein wird. Vor einigen Jahren machten Nachrichten von MißHelligkeiten, die
im Institut ausgebrochen seien, durch die Zeitungen die Runde. Abbe sagte
darüber in einer Sitzung des Arbeiterausschusses der Firma Carl Zeiß (das
optische Institut und die Glaswerke bleiben auch in der Stiftung zwei getrennte
Firmen): „Es ist, glaube ich, die Dorfzeitung gewesen, die der Katze die Schelle
angehängt hat. Zum Gaudium aller Scharfmacher in Deutschland verbreitete
sie das Gerücht, die Firma Carl Zcisz sei mit ihrer Arbeiterschaft aufs schärfste


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[0518] Lrnst Abbe solcher Vorbehalte ein Jahr lang gezahlte Zeitlohn oder Gehalt darf auch bei schwächer«: Geschäftsgange und verkürzter Arbeitzeit nicht mehr herabgesetzt werden. „Das höchste Jahreseinkommen, das einem Beamten, die Mitglieder der Geschäftsleitung eingeschlossen, für seine vertragsmüßige Dienstleistung gewährt wird, darf zur Zeit der Festsetzung nicht hinausgehn über das Zehnfache vom durchschnittliche» jährlichen Arbeitseinkommen der sämtlichen über 24 Jahre alten und mindestens drei Jahre im Betrieb endigen Arbeiter nach den? Durchschnitt der letzten drei Geschäftsjahre. Die durchschnittliche Höhe aller der Beamtengehälter, die einzeln das Doppelte des vorgedachten durchschnitt¬ lichen Arbeitseinkommens erreichen oder überschreiten, soll nicht mehr als das Vierfache jenes Arbeitseinkommens betragen." Diese Bestimmung, die dem Beamteneinkommen eine obere Grenze setzt — individuellen Unternehmergewinn gibt es nicht, da alle Geschäfts- und Betriebsleiter Beamte sind —, ermöglicht nicht bloß die sozialen Leistungen für die eignen Arbeiter, zu denen sehr an¬ ständige Pensionen gehören, sondern ergibt auch die Überschüsse, aus denen die unter L genannten Leistungen bestritten werden. Die man kann sagen ängstliche Sorge, mit der Abbe alles Gefühlsmüßige auszuschließen bemüht ist, macht beinahe den Eindruck eines starrköpfigen Doktrinarismus. So hat er in den Erläuterungen gesagt, es dürfe kein Teil dem andern böswillig oder fahrlässig die redliche Vertragserfüllung erschweren, und fährt dann fort: „Mancher wird geneigt sein, in solchen Rücksichten aus Treu und Glauben, die auch der industrielle Arbeitsvertrag uicht ausschließe, noch einen erfreulichen Rest der sittlichen Be¬ ziehungen zu finden, die das alte Arbeitsverhältnis im Handwerk zwischen Meister und Gesellen auch jetzt noch herstellt, soweit es auch jetzt noch Eintritt in die Hausgenossenschaft und andres persönliches Nahetreten beider Teile wesentlich einschließt. Jenes träfe hierüber höchstens nur in ganz uneigent¬ lichen Sinne zu. In Wahrheit begründet der industrielle Dienstvertrag keinerlei sittliche Beziehungen zwischen den Kontrahenten als solchen", was er dann noch näher ausführt. Das Statut füllt 67 Druckseiten, zu denen noch 73 Seiten Motive und Erläuterungen kommen. Daraus ersieht man schon, wie kompliziert das von Abbe errichtete soziale Bauwerk ist, und diese Kompliziertheit dürfte sich, ab¬ gesehen von allem andern, was Bedenken erregt, für die Zukunft als eine Gefahr erweisen, die vielleicht nicht eher hervortritt, als bis die, wie es scheint vom Geiste des Stifters beseelte, Generation seiner Mitarbeiter ausgestorben sein wird. Vor einigen Jahren machten Nachrichten von MißHelligkeiten, die im Institut ausgebrochen seien, durch die Zeitungen die Runde. Abbe sagte darüber in einer Sitzung des Arbeiterausschusses der Firma Carl Zeiß (das optische Institut und die Glaswerke bleiben auch in der Stiftung zwei getrennte Firmen): „Es ist, glaube ich, die Dorfzeitung gewesen, die der Katze die Schelle angehängt hat. Zum Gaudium aller Scharfmacher in Deutschland verbreitete sie das Gerücht, die Firma Carl Zcisz sei mit ihrer Arbeiterschaft aufs schärfste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/518>, abgerufen am 06.02.2025.