Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Lrnst Abbe aber in desto Höheren Grade praktisch vorbereitet. Seit fünfundzwanzig Jahren Lrnst Abbe aber in desto Höheren Grade praktisch vorbereitet. Seit fünfundzwanzig Jahren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0514" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302502"/> <fw type="header" place="top"> Lrnst Abbe</fw><lb/> <p xml:id="ID_2248" prev="#ID_2247" next="#ID_2249"> aber in desto Höheren Grade praktisch vorbereitet. Seit fünfundzwanzig Jahren<lb/> stehe er mitten drin im Wirtschaftstreibcu und habe es ans allernächster Nähe<lb/> beobachten können, ja müssen, und zwar mit den Augen des Unternehmers,<lb/> denn was er sich als Student nicht Hütte träumen lassen, durch erfolgreiche<lb/> Tätigkeit sei er Kapitalist und Unternehmer geworden. Zugleich aber habe<lb/> er die wirtschaftliche» Vorgänge und sozialen Zustände auch immer betrachten<lb/> müssen mit den Augen des Arbeitersohnes, dem das Kapital nicht in den<lb/> Schoß gefalle» sei. Er habe also diese Vorgänge vou den beiden entgegen¬<lb/> gesetzte» Standpunkten, von dem des Kapitalisten- und Unteruehmerinteresses<lb/> und von dein des Arbeiterinteresses betrachtet und dann, unabhängig von<lb/> jeder Beeinflussung durch Rücksichten und Privatinteressen, das Fazit seiner<lb/> Untersuchungen gezogen von: Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses und des<lb/> Gemeinwohls. Von diesem Gesichtspunkt aus gelaugt er zu drei Forderungen,<lb/> die seiner Ansicht nach die freisinnige Partei in ihr Programm aufnehmen<lb/> muß, wenn sie Volkspartei werden will: Arbeiterschutz, Steuerreform und<lb/> Volksbildung. Es war die erste, gegen die sich die Partei damals noch sträubte.<lb/> In der zweiten war sie wenigstens nicht so radikal wie Abbe. Dieser verlangte<lb/> die Abschaffung aller indirekten Steuern, die nur die zahlreichste Klasse, die<lb/> der Armem, drücke (unser stenerreformerischer Ausländsdeutsche bestreitet das<lb/> auf das heftigste). Was dann die direkte Steuer, die allein zulässige, betreffe,<lb/> so dürfe der Staat uicht die Arbeit, sondern nur das Vermögen besteuern. Das<lb/> Vermögen werfe Zinsen ab nur durch die Arbeit des gesamten Volkes, die<lb/> Staatsbeamten inbegriffen. Der Vermögensertrag gehöre also streng genommen<lb/> der im Staate organisierten Nation, um so mehr sei der Staat berechtigt,<lb/> wenigstens einen Teil davon für sich zu nehmen zur Bestreitung der öffentlichen<lb/> Bedürfnisse. Die Rechnung, in der Abbe nachweist, daß eine dreiprozentige<lb/> Steuer vom Vermögen durchführbar sei, wird heute außerhalb der sozial¬<lb/> demokratischen Kreise kaum noch von jemand richtig befunden werden. Merk¬<lb/> würdig klingt folgendes Argument gegen die Gerechtigkeit des Zinses: „Von<lb/> Gerechtigkeit in der Zinswirtschaft könnte nur dann die Rede sein, wenn bei<lb/> ihr der Leistung des einen Teils irgendeine entsprechende Gegenleistung des<lb/> andern Teils Stiche besteht doch beim Prvduktivkredit darin, daß dem mittel¬<lb/> losen Unternehmer die Mittel zur Verfügung gestellt Werdens gegenüberstünde-<lb/> So war es in der Tat einmal vor Jahrhunderten, just zu der Zeit, wo ein<lb/> naives Rechtsbewußtsein das Zinsnehmen schlechthin zum Wucher stempelte.<lb/> Zu dieser Zeit hatte der Zins als Gegenleistung die Übernahme einer besondern<lb/> Verlnstgefahr, der das Eigentum daun ausgesetzt wurde, wenn es der Eigen¬<lb/> tümer aus den Händen gab und einem andern anvertraute. Heute ist es gerade<lb/> umgekehrt. Wenn einer eine Million in vawra. selbst aufbewahren wollte, so<lb/> hätte er damit nicht nnr viel größere Last, sondern auch zehnmal größere<lb/> Verlustgefahr zu übernehmen, wie wenn er sein Eigentum gegen sichere Hypothek<lb/> einem andern zur wirtschaftlichen Nutzung übergibt. Soweit Leistung und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0514]
Lrnst Abbe
aber in desto Höheren Grade praktisch vorbereitet. Seit fünfundzwanzig Jahren
stehe er mitten drin im Wirtschaftstreibcu und habe es ans allernächster Nähe
beobachten können, ja müssen, und zwar mit den Augen des Unternehmers,
denn was er sich als Student nicht Hütte träumen lassen, durch erfolgreiche
Tätigkeit sei er Kapitalist und Unternehmer geworden. Zugleich aber habe
er die wirtschaftliche» Vorgänge und sozialen Zustände auch immer betrachten
müssen mit den Augen des Arbeitersohnes, dem das Kapital nicht in den
Schoß gefalle» sei. Er habe also diese Vorgänge vou den beiden entgegen¬
gesetzte» Standpunkten, von dem des Kapitalisten- und Unteruehmerinteresses
und von dein des Arbeiterinteresses betrachtet und dann, unabhängig von
jeder Beeinflussung durch Rücksichten und Privatinteressen, das Fazit seiner
Untersuchungen gezogen von: Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses und des
Gemeinwohls. Von diesem Gesichtspunkt aus gelaugt er zu drei Forderungen,
die seiner Ansicht nach die freisinnige Partei in ihr Programm aufnehmen
muß, wenn sie Volkspartei werden will: Arbeiterschutz, Steuerreform und
Volksbildung. Es war die erste, gegen die sich die Partei damals noch sträubte.
In der zweiten war sie wenigstens nicht so radikal wie Abbe. Dieser verlangte
die Abschaffung aller indirekten Steuern, die nur die zahlreichste Klasse, die
der Armem, drücke (unser stenerreformerischer Ausländsdeutsche bestreitet das
auf das heftigste). Was dann die direkte Steuer, die allein zulässige, betreffe,
so dürfe der Staat uicht die Arbeit, sondern nur das Vermögen besteuern. Das
Vermögen werfe Zinsen ab nur durch die Arbeit des gesamten Volkes, die
Staatsbeamten inbegriffen. Der Vermögensertrag gehöre also streng genommen
der im Staate organisierten Nation, um so mehr sei der Staat berechtigt,
wenigstens einen Teil davon für sich zu nehmen zur Bestreitung der öffentlichen
Bedürfnisse. Die Rechnung, in der Abbe nachweist, daß eine dreiprozentige
Steuer vom Vermögen durchführbar sei, wird heute außerhalb der sozial¬
demokratischen Kreise kaum noch von jemand richtig befunden werden. Merk¬
würdig klingt folgendes Argument gegen die Gerechtigkeit des Zinses: „Von
Gerechtigkeit in der Zinswirtschaft könnte nur dann die Rede sein, wenn bei
ihr der Leistung des einen Teils irgendeine entsprechende Gegenleistung des
andern Teils Stiche besteht doch beim Prvduktivkredit darin, daß dem mittel¬
losen Unternehmer die Mittel zur Verfügung gestellt Werdens gegenüberstünde-
So war es in der Tat einmal vor Jahrhunderten, just zu der Zeit, wo ein
naives Rechtsbewußtsein das Zinsnehmen schlechthin zum Wucher stempelte.
Zu dieser Zeit hatte der Zins als Gegenleistung die Übernahme einer besondern
Verlnstgefahr, der das Eigentum daun ausgesetzt wurde, wenn es der Eigen¬
tümer aus den Händen gab und einem andern anvertraute. Heute ist es gerade
umgekehrt. Wenn einer eine Million in vawra. selbst aufbewahren wollte, so
hätte er damit nicht nnr viel größere Last, sondern auch zehnmal größere
Verlustgefahr zu übernehmen, wie wenn er sein Eigentum gegen sichere Hypothek
einem andern zur wirtschaftlichen Nutzung übergibt. Soweit Leistung und
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