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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Zertrümmerung der Bauerngüter

die alten niedersächsischen Einzelsiedlungen vorherrschen; in den übrigen Pro¬
vinzen haben die Landgüterordnungen der achtziger Jahre keinen rechten Er¬
folg gehabt, und es ist kaum Aussicht vorhanden, diese Einrichtung allgemein
einzuführen, da die Verhältnisse zu verschieden gestaltet sind und sich ge¬
schichtlich uicht einseitig entwickelt haben. Im Osten der Provinz Sachsen zum
Beispiel, in den Kreisen Wittenberg, Schweinitz, Liebenwerda, Torgau u. a.
ist es althergebracht, daß der älteste Sohn das väterliche Gut übernimmt,
seinen Eltern den Auszug gibt und die Geschwister mit Geld abfindet, die,
soweit sie sich nicht verheiraten, auf dem Hofe bleiben und mitarbeiten. Diese
Bestimmung wird entweder schon bei Lebzeiten der Eltern getroffen, oder diese
legen sie testamentarisch fest, und es wird selten davon abgewichen. Aber zu
einer Eintragung beim Amtsgericht würden sich die Bauern doch schwer ver¬
stehen, weil sie die Einrichtung nicht von den Vorfahren her kennen und auch
für überflüssig halten. Im Westen der Provinz und am Südharz herrscht
der Grundsatz der Rcalteilung vor, und zwar in der schroffsten Form. Wenn
jemand vier Kinder und vier Morgen Land besitzt, so erhält jedes Kind einen
Morgen, aber nicht etwa einen zusammenhängenden, sondern von jedem ein
Viertel, da ja die Bodenarten verschieden sein können, und kein Kind bevorzugt
oder benachteiligt werden darf. Aus dieser Teilung entstehen die bekannten
Zwergwirtschaften, die die Wohltaten der Separation immer mehr in Frage
stellen. Es ist mir in einem der Vorharzdörfer bei Sangerhausen vorge¬
kommen, daß zu einigen Morgen Land, die von den Großeltern herrührten
und in Erbgemeinschaft geblieben waren, etwa fünfzig Personen gehörten. Die
Grundbücher solcher Gegenden sind fürchterlich, und doch ist den Leuten nicht
zu raten; sie bestehen auf Teilung, um wenigstens ein Stück Kartoffelland
ihr eigen nennen zu können, mag es auch nur einige Ar umfassen. Die
Katasterbeamten wissen ein Lied von diesen Teilungen zu singen. Aber auch
die größern Besitzer machen es nicht anders; sie geben ihren Töchtern statt
baren Geldes Ländereien als Ausstattung, und bei Todesfällen tritt ebenso
strenge Nealteilung ein wie bei den kleinen Bergleuten am Harz. Die Höfe¬
rollen sind also auch hier überflüssig und zwecklos.

Zu diesen schon mehrfach erwognen Mitteln tritt nun der am Eingang
abgedruckte Antrag mit einem ganz neuen Vorschlag, indem er den Ankauf
von kleinen Gütern unter gewissen Bedingungen gesetzlich verbieten will, jedoch
nur nach der einen Richtung hin, daß dem Großkapital Schwierigkeiten beim
Ankauf gemacht werden sollen. Der Großgrundbesitz soll also von den Zu
treffenden gesetzlichen Maßregeln nicht betroffen werden.

Wo ist eine Grenze zwischen städtischem Großkapital und ländlichem Gro߬
grundbesitz zu ziehen? Allerdings herrscht der reine Großgrundbesitz in den
altadlichen Gütern des Ostens vor und der Besitz des Großkapitals im Westen,
auf den im Antrag auch besonders hingewiesen wird, aber gibt es nicht recht viele
Großkapitalisten, die neben ihren Berg- und Hüttenwerken oder Fabrikanlagen


Die Zertrümmerung der Bauerngüter

die alten niedersächsischen Einzelsiedlungen vorherrschen; in den übrigen Pro¬
vinzen haben die Landgüterordnungen der achtziger Jahre keinen rechten Er¬
folg gehabt, und es ist kaum Aussicht vorhanden, diese Einrichtung allgemein
einzuführen, da die Verhältnisse zu verschieden gestaltet sind und sich ge¬
schichtlich uicht einseitig entwickelt haben. Im Osten der Provinz Sachsen zum
Beispiel, in den Kreisen Wittenberg, Schweinitz, Liebenwerda, Torgau u. a.
ist es althergebracht, daß der älteste Sohn das väterliche Gut übernimmt,
seinen Eltern den Auszug gibt und die Geschwister mit Geld abfindet, die,
soweit sie sich nicht verheiraten, auf dem Hofe bleiben und mitarbeiten. Diese
Bestimmung wird entweder schon bei Lebzeiten der Eltern getroffen, oder diese
legen sie testamentarisch fest, und es wird selten davon abgewichen. Aber zu
einer Eintragung beim Amtsgericht würden sich die Bauern doch schwer ver¬
stehen, weil sie die Einrichtung nicht von den Vorfahren her kennen und auch
für überflüssig halten. Im Westen der Provinz und am Südharz herrscht
der Grundsatz der Rcalteilung vor, und zwar in der schroffsten Form. Wenn
jemand vier Kinder und vier Morgen Land besitzt, so erhält jedes Kind einen
Morgen, aber nicht etwa einen zusammenhängenden, sondern von jedem ein
Viertel, da ja die Bodenarten verschieden sein können, und kein Kind bevorzugt
oder benachteiligt werden darf. Aus dieser Teilung entstehen die bekannten
Zwergwirtschaften, die die Wohltaten der Separation immer mehr in Frage
stellen. Es ist mir in einem der Vorharzdörfer bei Sangerhausen vorge¬
kommen, daß zu einigen Morgen Land, die von den Großeltern herrührten
und in Erbgemeinschaft geblieben waren, etwa fünfzig Personen gehörten. Die
Grundbücher solcher Gegenden sind fürchterlich, und doch ist den Leuten nicht
zu raten; sie bestehen auf Teilung, um wenigstens ein Stück Kartoffelland
ihr eigen nennen zu können, mag es auch nur einige Ar umfassen. Die
Katasterbeamten wissen ein Lied von diesen Teilungen zu singen. Aber auch
die größern Besitzer machen es nicht anders; sie geben ihren Töchtern statt
baren Geldes Ländereien als Ausstattung, und bei Todesfällen tritt ebenso
strenge Nealteilung ein wie bei den kleinen Bergleuten am Harz. Die Höfe¬
rollen sind also auch hier überflüssig und zwecklos.

Zu diesen schon mehrfach erwognen Mitteln tritt nun der am Eingang
abgedruckte Antrag mit einem ganz neuen Vorschlag, indem er den Ankauf
von kleinen Gütern unter gewissen Bedingungen gesetzlich verbieten will, jedoch
nur nach der einen Richtung hin, daß dem Großkapital Schwierigkeiten beim
Ankauf gemacht werden sollen. Der Großgrundbesitz soll also von den Zu
treffenden gesetzlichen Maßregeln nicht betroffen werden.

Wo ist eine Grenze zwischen städtischem Großkapital und ländlichem Gro߬
grundbesitz zu ziehen? Allerdings herrscht der reine Großgrundbesitz in den
altadlichen Gütern des Ostens vor und der Besitz des Großkapitals im Westen,
auf den im Antrag auch besonders hingewiesen wird, aber gibt es nicht recht viele
Großkapitalisten, die neben ihren Berg- und Hüttenwerken oder Fabrikanlagen


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[0508] Die Zertrümmerung der Bauerngüter die alten niedersächsischen Einzelsiedlungen vorherrschen; in den übrigen Pro¬ vinzen haben die Landgüterordnungen der achtziger Jahre keinen rechten Er¬ folg gehabt, und es ist kaum Aussicht vorhanden, diese Einrichtung allgemein einzuführen, da die Verhältnisse zu verschieden gestaltet sind und sich ge¬ schichtlich uicht einseitig entwickelt haben. Im Osten der Provinz Sachsen zum Beispiel, in den Kreisen Wittenberg, Schweinitz, Liebenwerda, Torgau u. a. ist es althergebracht, daß der älteste Sohn das väterliche Gut übernimmt, seinen Eltern den Auszug gibt und die Geschwister mit Geld abfindet, die, soweit sie sich nicht verheiraten, auf dem Hofe bleiben und mitarbeiten. Diese Bestimmung wird entweder schon bei Lebzeiten der Eltern getroffen, oder diese legen sie testamentarisch fest, und es wird selten davon abgewichen. Aber zu einer Eintragung beim Amtsgericht würden sich die Bauern doch schwer ver¬ stehen, weil sie die Einrichtung nicht von den Vorfahren her kennen und auch für überflüssig halten. Im Westen der Provinz und am Südharz herrscht der Grundsatz der Rcalteilung vor, und zwar in der schroffsten Form. Wenn jemand vier Kinder und vier Morgen Land besitzt, so erhält jedes Kind einen Morgen, aber nicht etwa einen zusammenhängenden, sondern von jedem ein Viertel, da ja die Bodenarten verschieden sein können, und kein Kind bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Aus dieser Teilung entstehen die bekannten Zwergwirtschaften, die die Wohltaten der Separation immer mehr in Frage stellen. Es ist mir in einem der Vorharzdörfer bei Sangerhausen vorge¬ kommen, daß zu einigen Morgen Land, die von den Großeltern herrührten und in Erbgemeinschaft geblieben waren, etwa fünfzig Personen gehörten. Die Grundbücher solcher Gegenden sind fürchterlich, und doch ist den Leuten nicht zu raten; sie bestehen auf Teilung, um wenigstens ein Stück Kartoffelland ihr eigen nennen zu können, mag es auch nur einige Ar umfassen. Die Katasterbeamten wissen ein Lied von diesen Teilungen zu singen. Aber auch die größern Besitzer machen es nicht anders; sie geben ihren Töchtern statt baren Geldes Ländereien als Ausstattung, und bei Todesfällen tritt ebenso strenge Nealteilung ein wie bei den kleinen Bergleuten am Harz. Die Höfe¬ rollen sind also auch hier überflüssig und zwecklos. Zu diesen schon mehrfach erwognen Mitteln tritt nun der am Eingang abgedruckte Antrag mit einem ganz neuen Vorschlag, indem er den Ankauf von kleinen Gütern unter gewissen Bedingungen gesetzlich verbieten will, jedoch nur nach der einen Richtung hin, daß dem Großkapital Schwierigkeiten beim Ankauf gemacht werden sollen. Der Großgrundbesitz soll also von den Zu treffenden gesetzlichen Maßregeln nicht betroffen werden. Wo ist eine Grenze zwischen städtischem Großkapital und ländlichem Gro߬ grundbesitz zu ziehen? Allerdings herrscht der reine Großgrundbesitz in den altadlichen Gütern des Ostens vor und der Besitz des Großkapitals im Westen, auf den im Antrag auch besonders hingewiesen wird, aber gibt es nicht recht viele Großkapitalisten, die neben ihren Berg- und Hüttenwerken oder Fabrikanlagen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/508>, abgerufen am 06.02.2025.