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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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namentlich in der allgemeinen Not der Landwirtschaft, in dem Mangel an
brauchbaren Arbeitskräften und in dem Mangel an Freudigkeit für das Land¬
leben. Die einstigen patriarchalischen Verhältnisse zwischen Herrn und Knecht
im weitern Sinne sind verschwunden, seitdem die Arbeiter an den Erträgnissen
des Gutes nicht mehr unmittelbar teilhaben, wie früher, wo die Drescher den
Zehnten vom Korn usw. bekamen und dadurch am Gedeihen der Ernte eine
weit größere Fürsorge hatten als heutzutage, wo alles in Geld geschätzt und
w Akkord gearbeitet wird. Die Landarbeit ist, um einen vielleicht nicht ganz
zutreffenden Ausdruck zu gebrauchen, zu langweilig geworden, daher die Land¬
flucht nicht nur der Arbeiter, sondern auch der Arbeitgeber, der kleinern Be¬
sitzer. Daß noch andre Gründe mitwirken, soll dabei nicht verkannt werden.

So lange die Landflucht in diesem doppelten Sinne besteht, hat man auch
schon auf Mittel zur Abhilfe gesonnen. In erster Linie hat man eine Besserung
der Kreditverhältnisse für die Landbevölkerung angestrebt, und es sind unver¬
kennbare Fortschritte zu verzeichnen. Dahin gehören die ländlichen Spar- und
Darlehnskassen, die dem Landwirt einen nach seinen Verhältnissen angemessenen
Personalkredit für augenblickliche Bedürfnisse, zum Beispiel zur Anschaffung
von Düngemitteln, Ankauf von Maschinen verschaffen. Sodann ist der Real¬
kredit wesentlich erleichtert worden durch Herabsetzung des Zinsfußes, Ge¬
währung günstiger Nückzahlungsbedingnngen, Amortisation der Schuldsumme
sowie durch Erweiterung der Beleihungsgrenze bei öffentlichen Anstalten, be¬
sonders den Sparkassen und Landschaften, von denen die letztgenannten in
neuester Zeit eifrig bemüht sind, auch dem Kleingrundbesitz Darlehen zu ge¬
währen, während sie sich ehedem auf den Großgrundbesitz beschränkten. Das
Streben einzelner Landschaftsverbände geht sogar jetzt dahin, sämtliche Prwat-
hhpotheken der ländlichen Besitzer allmählich an sich zubringen und dann eme
Amortisation. eine Entschuldung anzubahnen. Vorderhand sind we Erfolge
freilich, wie es scheint, noch nicht günstig, da einmal die Stadt- und Kreis-
sparkasseu von der Landbevölkerung mehr bevorzugt werden, weil sie schneller
SU erreichen sind und andrerseits die Landschaften größere Sicherheiten fordern
müssen und in der Abschätzung mehr Umstände machen. Als Grundbuchrichter
bekommt man einen genanen Einblick in diese Verhältnisse und kann beobachten.
d°ß einstweilen die Sparkassen, die auf Wunsch ebenfalls amortisieren. w
weitem mehr ländliche Grundstücke beleihen als die Landschaften.

Um unbeschadet der freien Teilbarkeit die Bauerngüter möglichst in ihren,
Bestände zu ert alten, ist für einzelne Provinzen die letztwillige Verfügung
über sie erleichtert worden, indem sie auf Antrag des Besitzers in eme von,
Amtsgericht geführte Höfe- oder Landgüterrolle mit der Wirkung e ng ragen
werden, daß im Falle d r Beerbung durch mehrere Personen eme dieser der
Anerbe, zu einem bestimmten mäßigen Preise das Gut übernehmen und ,e
Miterben abfinden kann. Das Land der Höferollen ist Hannove . wo in
Jahre 1887 etwa 64000 Höfe eingetragen waren, dann auch Westfalen, wo


namentlich in der allgemeinen Not der Landwirtschaft, in dem Mangel an
brauchbaren Arbeitskräften und in dem Mangel an Freudigkeit für das Land¬
leben. Die einstigen patriarchalischen Verhältnisse zwischen Herrn und Knecht
im weitern Sinne sind verschwunden, seitdem die Arbeiter an den Erträgnissen
des Gutes nicht mehr unmittelbar teilhaben, wie früher, wo die Drescher den
Zehnten vom Korn usw. bekamen und dadurch am Gedeihen der Ernte eine
weit größere Fürsorge hatten als heutzutage, wo alles in Geld geschätzt und
w Akkord gearbeitet wird. Die Landarbeit ist, um einen vielleicht nicht ganz
zutreffenden Ausdruck zu gebrauchen, zu langweilig geworden, daher die Land¬
flucht nicht nur der Arbeiter, sondern auch der Arbeitgeber, der kleinern Be¬
sitzer. Daß noch andre Gründe mitwirken, soll dabei nicht verkannt werden.

So lange die Landflucht in diesem doppelten Sinne besteht, hat man auch
schon auf Mittel zur Abhilfe gesonnen. In erster Linie hat man eine Besserung
der Kreditverhältnisse für die Landbevölkerung angestrebt, und es sind unver¬
kennbare Fortschritte zu verzeichnen. Dahin gehören die ländlichen Spar- und
Darlehnskassen, die dem Landwirt einen nach seinen Verhältnissen angemessenen
Personalkredit für augenblickliche Bedürfnisse, zum Beispiel zur Anschaffung
von Düngemitteln, Ankauf von Maschinen verschaffen. Sodann ist der Real¬
kredit wesentlich erleichtert worden durch Herabsetzung des Zinsfußes, Ge¬
währung günstiger Nückzahlungsbedingnngen, Amortisation der Schuldsumme
sowie durch Erweiterung der Beleihungsgrenze bei öffentlichen Anstalten, be¬
sonders den Sparkassen und Landschaften, von denen die letztgenannten in
neuester Zeit eifrig bemüht sind, auch dem Kleingrundbesitz Darlehen zu ge¬
währen, während sie sich ehedem auf den Großgrundbesitz beschränkten. Das
Streben einzelner Landschaftsverbände geht sogar jetzt dahin, sämtliche Prwat-
hhpotheken der ländlichen Besitzer allmählich an sich zubringen und dann eme
Amortisation. eine Entschuldung anzubahnen. Vorderhand sind we Erfolge
freilich, wie es scheint, noch nicht günstig, da einmal die Stadt- und Kreis-
sparkasseu von der Landbevölkerung mehr bevorzugt werden, weil sie schneller
SU erreichen sind und andrerseits die Landschaften größere Sicherheiten fordern
müssen und in der Abschätzung mehr Umstände machen. Als Grundbuchrichter
bekommt man einen genanen Einblick in diese Verhältnisse und kann beobachten.
d°ß einstweilen die Sparkassen, die auf Wunsch ebenfalls amortisieren. w
weitem mehr ländliche Grundstücke beleihen als die Landschaften.

Um unbeschadet der freien Teilbarkeit die Bauerngüter möglichst in ihren,
Bestände zu ert alten, ist für einzelne Provinzen die letztwillige Verfügung
über sie erleichtert worden, indem sie auf Antrag des Besitzers in eme von,
Amtsgericht geführte Höfe- oder Landgüterrolle mit der Wirkung e ng ragen
werden, daß im Falle d r Beerbung durch mehrere Personen eme dieser der
Anerbe, zu einem bestimmten mäßigen Preise das Gut übernehmen und ,e
Miterben abfinden kann. Das Land der Höferollen ist Hannove . wo in
Jahre 1887 etwa 64000 Höfe eingetragen waren, dann auch Westfalen, wo


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[0507] namentlich in der allgemeinen Not der Landwirtschaft, in dem Mangel an brauchbaren Arbeitskräften und in dem Mangel an Freudigkeit für das Land¬ leben. Die einstigen patriarchalischen Verhältnisse zwischen Herrn und Knecht im weitern Sinne sind verschwunden, seitdem die Arbeiter an den Erträgnissen des Gutes nicht mehr unmittelbar teilhaben, wie früher, wo die Drescher den Zehnten vom Korn usw. bekamen und dadurch am Gedeihen der Ernte eine weit größere Fürsorge hatten als heutzutage, wo alles in Geld geschätzt und w Akkord gearbeitet wird. Die Landarbeit ist, um einen vielleicht nicht ganz zutreffenden Ausdruck zu gebrauchen, zu langweilig geworden, daher die Land¬ flucht nicht nur der Arbeiter, sondern auch der Arbeitgeber, der kleinern Be¬ sitzer. Daß noch andre Gründe mitwirken, soll dabei nicht verkannt werden. So lange die Landflucht in diesem doppelten Sinne besteht, hat man auch schon auf Mittel zur Abhilfe gesonnen. In erster Linie hat man eine Besserung der Kreditverhältnisse für die Landbevölkerung angestrebt, und es sind unver¬ kennbare Fortschritte zu verzeichnen. Dahin gehören die ländlichen Spar- und Darlehnskassen, die dem Landwirt einen nach seinen Verhältnissen angemessenen Personalkredit für augenblickliche Bedürfnisse, zum Beispiel zur Anschaffung von Düngemitteln, Ankauf von Maschinen verschaffen. Sodann ist der Real¬ kredit wesentlich erleichtert worden durch Herabsetzung des Zinsfußes, Ge¬ währung günstiger Nückzahlungsbedingnngen, Amortisation der Schuldsumme sowie durch Erweiterung der Beleihungsgrenze bei öffentlichen Anstalten, be¬ sonders den Sparkassen und Landschaften, von denen die letztgenannten in neuester Zeit eifrig bemüht sind, auch dem Kleingrundbesitz Darlehen zu ge¬ währen, während sie sich ehedem auf den Großgrundbesitz beschränkten. Das Streben einzelner Landschaftsverbände geht sogar jetzt dahin, sämtliche Prwat- hhpotheken der ländlichen Besitzer allmählich an sich zubringen und dann eme Amortisation. eine Entschuldung anzubahnen. Vorderhand sind we Erfolge freilich, wie es scheint, noch nicht günstig, da einmal die Stadt- und Kreis- sparkasseu von der Landbevölkerung mehr bevorzugt werden, weil sie schneller SU erreichen sind und andrerseits die Landschaften größere Sicherheiten fordern müssen und in der Abschätzung mehr Umstände machen. Als Grundbuchrichter bekommt man einen genanen Einblick in diese Verhältnisse und kann beobachten. d°ß einstweilen die Sparkassen, die auf Wunsch ebenfalls amortisieren. w weitem mehr ländliche Grundstücke beleihen als die Landschaften. Um unbeschadet der freien Teilbarkeit die Bauerngüter möglichst in ihren, Bestände zu ert alten, ist für einzelne Provinzen die letztwillige Verfügung über sie erleichtert worden, indem sie auf Antrag des Besitzers in eme von, Amtsgericht geführte Höfe- oder Landgüterrolle mit der Wirkung e ng ragen werden, daß im Falle d r Beerbung durch mehrere Personen eme dieser der Anerbe, zu einem bestimmten mäßigen Preise das Gut übernehmen und ,e Miterben abfinden kann. Das Land der Höferollen ist Hannove . wo in Jahre 1887 etwa 64000 Höfe eingetragen waren, dann auch Westfalen, wo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/507>, abgerufen am 06.02.2025.