Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.literarische Rundschau nicht nur diese "Geschichte eines zweihundert Jahre zu früh Gebornen" zu er¬ Will man nach dem behaglichen Erzähler Eyes einen Dichter nennen, der literarische Rundschau nicht nur diese „Geschichte eines zweihundert Jahre zu früh Gebornen" zu er¬ Will man nach dem behaglichen Erzähler Eyes einen Dichter nennen, der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0466" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302454"/> <fw type="header" place="top"> literarische Rundschau</fw><lb/> <p xml:id="ID_1955" prev="#ID_1954"> nicht nur diese „Geschichte eines zweihundert Jahre zu früh Gebornen" zu er¬<lb/> zählen, sondern ohne Lehrhaftigkeit darzutun, warum Berblinger damals scheitern<lb/> mußte, ein Wegbereiter einer Zukunft, die uns heute vielleicht ganz nahe ist.<lb/> Das Werk ist also nach dieser Richtung hin ganz einheitlich, weniger einheitlich<lb/> in seinem Stil, der sich manchmal zu stark poetischer Kraft erhebt, oft aber nur<lb/> im Tone behaglichen, warmen Erzählens dahingeht — diese Teile sind nicht<lb/> die schlechtesten des Romans. Sie sind es schon deshalb nicht, weil gerade in<lb/> ihnen Eyths Humor immer wieder durchkomme. Es ist der bürgerliche Humor<lb/> des Realisten, wie ihn etwa Gustav Freytag hatte, und der hente durch die<lb/> ganze Art unsers Lebeus so sehr viel seltner geworden ist. Eyths Buch ist<lb/> »och eins von denen, in die man sich so recht einspinnen kann. Gelegentlich<lb/> spannt es sehr stark, dann aber wieder geht es in ruhigem Flusse weiter, mau<lb/> kann es mit Muße aus der Hand legen und wird doch wieder mit Genuß<lb/> und Freude danach greifen und weiter lesen. Es ist ein rechtes Haushund<lb/> und sei besonders unsrer heranwachsenden Jugend angelegentlich empfohlen-<lb/> Dies aber noch besonders aus einem Grunde: weil es ein so durch und durch<lb/> vaterländisches, deutsches Buch ist. Das heißt nun freilich viel gesagt, denn<lb/> was man gemeinhin als nationale Literatur und ganz besonders für unsre<lb/> Jugend herausgibt, pflegt nicht nur literarisch vou geringerm Werte, sondern<lb/> auch leider gerade in der Betonung des nationalen Gedankens völlig verfehlt<lb/> zu sein. Da wird bestündig gepredigt, belehrt, phrasiert und selten genug der<lb/> Versuch gemacht, das vaterländische Empfinden aus dem Erzählten selbst heraus¬<lb/> quellen zu lassen. Das aber gelingt Eyes. In seinem Buche lebt eine stille<lb/> Heiligkeit vaterländischen Gefühls, nicht als angestückte Beigabe, sondern immer<lb/> neu herauswachsend aus der Geschichte selbst. Das Buch ist völlig wahr,<lb/> auch in der Schilderung der Übeln Seiten des deutschen Volkscharakters, wie<lb/> sie sich unter napoleonischer Herrschaft zeigten, und gerade wegen dieser schlichten<lb/> Ehrlichkeit wirkt es in bester Art national — kurzum ein prächtiges, reifes<lb/> Werk eines deutschen Mannes, der vieler Menschen Länder gesehen und das<lb/> Beste davon in seine Heimat als werbenden Schatz zurückgebracht hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1956" next="#ID_1957"> Will man nach dem behaglichen Erzähler Eyes einen Dichter nennen, der<lb/> nie in allen seinen Werken läßlich war, sondern immer mit höchster Knnststrenge<lb/> die Form wahrte, so braucht man nur von Württemberg über den Bodensee zu<lb/> gehn, um bei Carl Spitteler Halt zu machen. Spitteler ist einer der strengste«<lb/> Stilisten der ganzen deutschen Literatur und vielleicht deshalb dem größern<lb/> Publikum, ja sogar engern Kreisen jahrzehntelang so wenig zugänglich gewesen.<lb/> Dabei ist er meines Erachtens eine der größten Erscheinungen unsrer ganzen<lb/> gegenwärtigen Dichtung und wird, wie ich glaube, mit Liliencron als der<lb/> hervorragendste Repräsentant des Dichtergeschlechts auf die Nachwelt kommen,<lb/> das in den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts geboren wurde. Er<lb/> ist spröde und ist so von Kultur gesättigt, daß der ganz naive Genießer ihn<lb/> vielleicht zuerst nicht einmal erträgt; wer sich aber in ihn zu vertiefen begonnen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0466]
literarische Rundschau
nicht nur diese „Geschichte eines zweihundert Jahre zu früh Gebornen" zu er¬
zählen, sondern ohne Lehrhaftigkeit darzutun, warum Berblinger damals scheitern
mußte, ein Wegbereiter einer Zukunft, die uns heute vielleicht ganz nahe ist.
Das Werk ist also nach dieser Richtung hin ganz einheitlich, weniger einheitlich
in seinem Stil, der sich manchmal zu stark poetischer Kraft erhebt, oft aber nur
im Tone behaglichen, warmen Erzählens dahingeht — diese Teile sind nicht
die schlechtesten des Romans. Sie sind es schon deshalb nicht, weil gerade in
ihnen Eyths Humor immer wieder durchkomme. Es ist der bürgerliche Humor
des Realisten, wie ihn etwa Gustav Freytag hatte, und der hente durch die
ganze Art unsers Lebeus so sehr viel seltner geworden ist. Eyths Buch ist
»och eins von denen, in die man sich so recht einspinnen kann. Gelegentlich
spannt es sehr stark, dann aber wieder geht es in ruhigem Flusse weiter, mau
kann es mit Muße aus der Hand legen und wird doch wieder mit Genuß
und Freude danach greifen und weiter lesen. Es ist ein rechtes Haushund
und sei besonders unsrer heranwachsenden Jugend angelegentlich empfohlen-
Dies aber noch besonders aus einem Grunde: weil es ein so durch und durch
vaterländisches, deutsches Buch ist. Das heißt nun freilich viel gesagt, denn
was man gemeinhin als nationale Literatur und ganz besonders für unsre
Jugend herausgibt, pflegt nicht nur literarisch vou geringerm Werte, sondern
auch leider gerade in der Betonung des nationalen Gedankens völlig verfehlt
zu sein. Da wird bestündig gepredigt, belehrt, phrasiert und selten genug der
Versuch gemacht, das vaterländische Empfinden aus dem Erzählten selbst heraus¬
quellen zu lassen. Das aber gelingt Eyes. In seinem Buche lebt eine stille
Heiligkeit vaterländischen Gefühls, nicht als angestückte Beigabe, sondern immer
neu herauswachsend aus der Geschichte selbst. Das Buch ist völlig wahr,
auch in der Schilderung der Übeln Seiten des deutschen Volkscharakters, wie
sie sich unter napoleonischer Herrschaft zeigten, und gerade wegen dieser schlichten
Ehrlichkeit wirkt es in bester Art national — kurzum ein prächtiges, reifes
Werk eines deutschen Mannes, der vieler Menschen Länder gesehen und das
Beste davon in seine Heimat als werbenden Schatz zurückgebracht hat.
Will man nach dem behaglichen Erzähler Eyes einen Dichter nennen, der
nie in allen seinen Werken läßlich war, sondern immer mit höchster Knnststrenge
die Form wahrte, so braucht man nur von Württemberg über den Bodensee zu
gehn, um bei Carl Spitteler Halt zu machen. Spitteler ist einer der strengste«
Stilisten der ganzen deutschen Literatur und vielleicht deshalb dem größern
Publikum, ja sogar engern Kreisen jahrzehntelang so wenig zugänglich gewesen.
Dabei ist er meines Erachtens eine der größten Erscheinungen unsrer ganzen
gegenwärtigen Dichtung und wird, wie ich glaube, mit Liliencron als der
hervorragendste Repräsentant des Dichtergeschlechts auf die Nachwelt kommen,
das in den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts geboren wurde. Er
ist spröde und ist so von Kultur gesättigt, daß der ganz naive Genießer ihn
vielleicht zuerst nicht einmal erträgt; wer sich aber in ihn zu vertiefen begonnen
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