Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Literan'sche Rundschau

Gerade bei Max Eyes, dem Begründer der Deutschen Landwirtschafts¬
gesellschaft, haben sich Beruf und Dichtung aufs innigste so miteinander ver¬
webt, daß das eine das andre erhöhte und verklärte. Wie dem Ingenieur, der
den Dampfpslug siegreich über die halbe Erde führte und dann die deutschen
Landwirte zu einer großen Organisation und zu vorbildlichen Ausstellungen
vereinigte, die Phantasie eine immer neu anregende Gefährtin war, so half der
Ingenieur dem Dichter auf seinen Bahnen weiter. Und noch das letzte Werk,
das uns Eyes hinterlassen hat, und das erst nach seinem Tode im Druck er¬
schien, zeigt den kühnen Praktiker und den liebevollen Dichter in einer Person.
Es sei gleich bemerkt, daß von den Literarhistorikern des neunzehnten Jahr¬
hunderts niemand des Dichters Eyes gedacht hat als Adolf Stern, der dem
Altersgenossen nun zu unserm tiefen Schmerz viel zu früh ins Jenseits gefolgt
ist- Eyths letztes Werk heißt "Der Schneider von Ulm" (Stuttgart und Leipzig,
Deutsche Verlagsanstalt) und gibt die Geschichte eines schwäbischen Lehrersohns,
dessen Vater sich sein Lebtag um die Erfindung des Perpetuum mobile bemüht
hat. Der Sohn lebt von kleinauf unter dem einen Wunsche, den die ange-
l'orne technische Begabung zusammen mit der in ihm wohnenden Phantasie ihm
eingibt, die Menschen das Fliegen zu lehren. Er muß die Klosterschule ver¬
lasse", weil seine Versuche mit Luftballons ein gefährliches Ende nehmen, muß
Schneider werde" und wird auf der Wanderschaft seinem alten Lebenswunsch
immer wieder nahe gebracht. Fällt doch sein Wandern in eine Periode, die
nicht nur die unselige Zeit der Herrschaft Napoleons in Deutschland war,
sondern in der auch für die spätere große Entwicklung unsrer Technik durch
den Dampf die ersten Schritte getan wurden, und alles, was er von dieser
Seite des Lebens sieht, weckt den alten Flug der Phantasie wieder auf und
l"Kt ihn dem Ziele des körperlichen Fliegens immer wieder nachstreben. Kaum
ist er in Ulm Meister geworden und hat sei" Auskommen gefunden, da über¬
kommt ihn die Sehnsucht mit aller Gewalt. Er geht ans Werk, nun wirklich
die Flugmaschine zu bauen. Eine glückliche Verkettung von Umständen poli¬
tischer und persönlicher Art macht ihn schließlich zum Helden der Stadt, und
er steht in jedem Sinne ans der Höhe seines Daseins, als er vor Mitgliedern
des württembergischen Königshauses unter dem Jubel der Bevölkerung von der
Adlerbastei über die Donau hin seine Flügel erproben soll. Er stürzt, ent¬
flieht, wird Soldat, kämpft tapfer im Feldzug von 1812 mit dem württem¬
bergischen Kontingent auf französischer Seite, im Befreiungskriege gegen die
Franzosen. Vor Großbeeren schwer verwundet, gelangt er als ein aufgegebner
Mann in die Heimat zurück und stirbt eines friedlichen Todes.

Ich habe wenigstens einen Umriß von dem reichen Inhalt des zwei¬
bändigen Werkes geben wollen, obwohl ich mir bewußt bin. daß damit wenig
genug getan ist. denn Eyes hat so unendlich viel Leben in die Erzählung
dieses Schicksals hineingebracht, daß es eine vergebliche Arbeit wäre, hiervon
eine Anschauung geben zu wollen. Aber alles dient der Idee des Ganzen:


Literan'sche Rundschau

Gerade bei Max Eyes, dem Begründer der Deutschen Landwirtschafts¬
gesellschaft, haben sich Beruf und Dichtung aufs innigste so miteinander ver¬
webt, daß das eine das andre erhöhte und verklärte. Wie dem Ingenieur, der
den Dampfpslug siegreich über die halbe Erde führte und dann die deutschen
Landwirte zu einer großen Organisation und zu vorbildlichen Ausstellungen
vereinigte, die Phantasie eine immer neu anregende Gefährtin war, so half der
Ingenieur dem Dichter auf seinen Bahnen weiter. Und noch das letzte Werk,
das uns Eyes hinterlassen hat, und das erst nach seinem Tode im Druck er¬
schien, zeigt den kühnen Praktiker und den liebevollen Dichter in einer Person.
Es sei gleich bemerkt, daß von den Literarhistorikern des neunzehnten Jahr¬
hunderts niemand des Dichters Eyes gedacht hat als Adolf Stern, der dem
Altersgenossen nun zu unserm tiefen Schmerz viel zu früh ins Jenseits gefolgt
ist- Eyths letztes Werk heißt „Der Schneider von Ulm" (Stuttgart und Leipzig,
Deutsche Verlagsanstalt) und gibt die Geschichte eines schwäbischen Lehrersohns,
dessen Vater sich sein Lebtag um die Erfindung des Perpetuum mobile bemüht
hat. Der Sohn lebt von kleinauf unter dem einen Wunsche, den die ange-
l'orne technische Begabung zusammen mit der in ihm wohnenden Phantasie ihm
eingibt, die Menschen das Fliegen zu lehren. Er muß die Klosterschule ver¬
lasse», weil seine Versuche mit Luftballons ein gefährliches Ende nehmen, muß
Schneider werde» und wird auf der Wanderschaft seinem alten Lebenswunsch
immer wieder nahe gebracht. Fällt doch sein Wandern in eine Periode, die
nicht nur die unselige Zeit der Herrschaft Napoleons in Deutschland war,
sondern in der auch für die spätere große Entwicklung unsrer Technik durch
den Dampf die ersten Schritte getan wurden, und alles, was er von dieser
Seite des Lebens sieht, weckt den alten Flug der Phantasie wieder auf und
l"Kt ihn dem Ziele des körperlichen Fliegens immer wieder nachstreben. Kaum
ist er in Ulm Meister geworden und hat sei» Auskommen gefunden, da über¬
kommt ihn die Sehnsucht mit aller Gewalt. Er geht ans Werk, nun wirklich
die Flugmaschine zu bauen. Eine glückliche Verkettung von Umständen poli¬
tischer und persönlicher Art macht ihn schließlich zum Helden der Stadt, und
er steht in jedem Sinne ans der Höhe seines Daseins, als er vor Mitgliedern
des württembergischen Königshauses unter dem Jubel der Bevölkerung von der
Adlerbastei über die Donau hin seine Flügel erproben soll. Er stürzt, ent¬
flieht, wird Soldat, kämpft tapfer im Feldzug von 1812 mit dem württem¬
bergischen Kontingent auf französischer Seite, im Befreiungskriege gegen die
Franzosen. Vor Großbeeren schwer verwundet, gelangt er als ein aufgegebner
Mann in die Heimat zurück und stirbt eines friedlichen Todes.

Ich habe wenigstens einen Umriß von dem reichen Inhalt des zwei¬
bändigen Werkes geben wollen, obwohl ich mir bewußt bin. daß damit wenig
genug getan ist. denn Eyes hat so unendlich viel Leben in die Erzählung
dieses Schicksals hineingebracht, daß es eine vergebliche Arbeit wäre, hiervon
eine Anschauung geben zu wollen. Aber alles dient der Idee des Ganzen:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302453"/>
          <fw type="header" place="top"> Literan'sche Rundschau</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1953"> Gerade bei Max Eyes, dem Begründer der Deutschen Landwirtschafts¬<lb/>
gesellschaft, haben sich Beruf und Dichtung aufs innigste so miteinander ver¬<lb/>
webt, daß das eine das andre erhöhte und verklärte. Wie dem Ingenieur, der<lb/>
den Dampfpslug siegreich über die halbe Erde führte und dann die deutschen<lb/>
Landwirte zu einer großen Organisation und zu vorbildlichen Ausstellungen<lb/>
vereinigte, die Phantasie eine immer neu anregende Gefährtin war, so half der<lb/>
Ingenieur dem Dichter auf seinen Bahnen weiter. Und noch das letzte Werk,<lb/>
das uns Eyes hinterlassen hat, und das erst nach seinem Tode im Druck er¬<lb/>
schien, zeigt den kühnen Praktiker und den liebevollen Dichter in einer Person.<lb/>
Es sei gleich bemerkt, daß von den Literarhistorikern des neunzehnten Jahr¬<lb/>
hunderts niemand des Dichters Eyes gedacht hat als Adolf Stern, der dem<lb/>
Altersgenossen nun zu unserm tiefen Schmerz viel zu früh ins Jenseits gefolgt<lb/>
ist- Eyths letztes Werk heißt &#x201E;Der Schneider von Ulm" (Stuttgart und Leipzig,<lb/>
Deutsche Verlagsanstalt) und gibt die Geschichte eines schwäbischen Lehrersohns,<lb/>
dessen Vater sich sein Lebtag um die Erfindung des Perpetuum mobile bemüht<lb/>
hat. Der Sohn lebt von kleinauf unter dem einen Wunsche, den die ange-<lb/>
l'orne technische Begabung zusammen mit der in ihm wohnenden Phantasie ihm<lb/>
eingibt, die Menschen das Fliegen zu lehren.  Er muß die Klosterschule ver¬<lb/>
lasse», weil seine Versuche mit Luftballons ein gefährliches Ende nehmen, muß<lb/>
Schneider werde» und wird auf der Wanderschaft seinem alten Lebenswunsch<lb/>
immer wieder nahe gebracht.  Fällt doch sein Wandern in eine Periode, die<lb/>
nicht nur die unselige Zeit der Herrschaft Napoleons in Deutschland war,<lb/>
sondern in der auch für die spätere große Entwicklung unsrer Technik durch<lb/>
den Dampf die ersten Schritte getan wurden, und alles, was er von dieser<lb/>
Seite des Lebens sieht, weckt den alten Flug der Phantasie wieder auf und<lb/>
l"Kt ihn dem Ziele des körperlichen Fliegens immer wieder nachstreben. Kaum<lb/>
ist er in Ulm Meister geworden und hat sei» Auskommen gefunden, da über¬<lb/>
kommt ihn die Sehnsucht mit aller Gewalt.  Er geht ans Werk, nun wirklich<lb/>
die Flugmaschine zu bauen.  Eine glückliche Verkettung von Umständen poli¬<lb/>
tischer und persönlicher Art macht ihn schließlich zum Helden der Stadt, und<lb/>
er steht in jedem Sinne ans der Höhe seines Daseins, als er vor Mitgliedern<lb/>
des württembergischen Königshauses unter dem Jubel der Bevölkerung von der<lb/>
Adlerbastei über die Donau hin seine Flügel erproben soll. Er stürzt, ent¬<lb/>
flieht, wird Soldat, kämpft tapfer im Feldzug von 1812 mit dem württem¬<lb/>
bergischen Kontingent auf französischer Seite, im Befreiungskriege gegen die<lb/>
Franzosen. Vor Großbeeren schwer verwundet, gelangt er als ein aufgegebner<lb/>
Mann in die Heimat zurück und stirbt eines friedlichen Todes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1954" next="#ID_1955"> Ich habe wenigstens einen Umriß von dem reichen Inhalt des zwei¬<lb/>
bändigen Werkes geben wollen, obwohl ich mir bewußt bin. daß damit wenig<lb/>
genug getan ist. denn Eyes hat so unendlich viel Leben in die Erzählung<lb/>
dieses Schicksals hineingebracht, daß es eine vergebliche Arbeit wäre, hiervon<lb/>
eine Anschauung geben zu wollen. Aber alles dient der Idee des Ganzen:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0465] Literan'sche Rundschau Gerade bei Max Eyes, dem Begründer der Deutschen Landwirtschafts¬ gesellschaft, haben sich Beruf und Dichtung aufs innigste so miteinander ver¬ webt, daß das eine das andre erhöhte und verklärte. Wie dem Ingenieur, der den Dampfpslug siegreich über die halbe Erde führte und dann die deutschen Landwirte zu einer großen Organisation und zu vorbildlichen Ausstellungen vereinigte, die Phantasie eine immer neu anregende Gefährtin war, so half der Ingenieur dem Dichter auf seinen Bahnen weiter. Und noch das letzte Werk, das uns Eyes hinterlassen hat, und das erst nach seinem Tode im Druck er¬ schien, zeigt den kühnen Praktiker und den liebevollen Dichter in einer Person. Es sei gleich bemerkt, daß von den Literarhistorikern des neunzehnten Jahr¬ hunderts niemand des Dichters Eyes gedacht hat als Adolf Stern, der dem Altersgenossen nun zu unserm tiefen Schmerz viel zu früh ins Jenseits gefolgt ist- Eyths letztes Werk heißt „Der Schneider von Ulm" (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt) und gibt die Geschichte eines schwäbischen Lehrersohns, dessen Vater sich sein Lebtag um die Erfindung des Perpetuum mobile bemüht hat. Der Sohn lebt von kleinauf unter dem einen Wunsche, den die ange- l'orne technische Begabung zusammen mit der in ihm wohnenden Phantasie ihm eingibt, die Menschen das Fliegen zu lehren. Er muß die Klosterschule ver¬ lasse», weil seine Versuche mit Luftballons ein gefährliches Ende nehmen, muß Schneider werde» und wird auf der Wanderschaft seinem alten Lebenswunsch immer wieder nahe gebracht. Fällt doch sein Wandern in eine Periode, die nicht nur die unselige Zeit der Herrschaft Napoleons in Deutschland war, sondern in der auch für die spätere große Entwicklung unsrer Technik durch den Dampf die ersten Schritte getan wurden, und alles, was er von dieser Seite des Lebens sieht, weckt den alten Flug der Phantasie wieder auf und l"Kt ihn dem Ziele des körperlichen Fliegens immer wieder nachstreben. Kaum ist er in Ulm Meister geworden und hat sei» Auskommen gefunden, da über¬ kommt ihn die Sehnsucht mit aller Gewalt. Er geht ans Werk, nun wirklich die Flugmaschine zu bauen. Eine glückliche Verkettung von Umständen poli¬ tischer und persönlicher Art macht ihn schließlich zum Helden der Stadt, und er steht in jedem Sinne ans der Höhe seines Daseins, als er vor Mitgliedern des württembergischen Königshauses unter dem Jubel der Bevölkerung von der Adlerbastei über die Donau hin seine Flügel erproben soll. Er stürzt, ent¬ flieht, wird Soldat, kämpft tapfer im Feldzug von 1812 mit dem württem¬ bergischen Kontingent auf französischer Seite, im Befreiungskriege gegen die Franzosen. Vor Großbeeren schwer verwundet, gelangt er als ein aufgegebner Mann in die Heimat zurück und stirbt eines friedlichen Todes. Ich habe wenigstens einen Umriß von dem reichen Inhalt des zwei¬ bändigen Werkes geben wollen, obwohl ich mir bewußt bin. daß damit wenig genug getan ist. denn Eyes hat so unendlich viel Leben in die Erzählung dieses Schicksals hineingebracht, daß es eine vergebliche Arbeit wäre, hiervon eine Anschauung geben zu wollen. Aber alles dient der Idee des Ganzen:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/465
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/465>, abgerufen am 05.02.2025.