Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches durch die straffe Organisation, die für ihre Politische Sache mit der Macht der Wir haben schon früher der Möglichkeit gedacht, daß die Parteiverhältnisse Noch ist der Streik der polnischen Schulkinder nicht zu Ende, obwohl schon Die in der Thronrede angekündigte Polenvorlage an den preußischen Landtag Maßgebliches und Unmaßgebliches durch die straffe Organisation, die für ihre Politische Sache mit der Macht der Wir haben schon früher der Möglichkeit gedacht, daß die Parteiverhältnisse Noch ist der Streik der polnischen Schulkinder nicht zu Ende, obwohl schon Die in der Thronrede angekündigte Polenvorlage an den preußischen Landtag <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302426"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1865" prev="#ID_1864"> durch die straffe Organisation, die für ihre Politische Sache mit der Macht der<lb/> katholischen Kirche über Herzen und Gewissen arbeitet. Vor allem ist zu bedenken, daß<lb/> die jetzige Lage der Zentrumspartei mit keiner frühern verglichen werden kann. Will<lb/> sie die politische Vertretung der katholischen Bevölkerung Deutschlands bleibe», dann<lb/> wird sie, da ihr niemand den Gefallen tun wird, einen neuen Kulturkampf anzufangen,<lb/> notgedrungen ernste Schritte tun müssen, um die klerikale Demagogie in ihren Reihen<lb/> einzuschränken und in ihrer eigentlichen Führung und in ihrem maßgebenden Teil<lb/> in ein nationales Fahrwasser einzulenken. Diese Möglichkeit sollte namentlich unser<lb/> Liberalismus beizeiten ins Auge fassen, damit es ihm nicht begegnet, daß er bei seiner<lb/> Neigung zum Verharren im unfruchtbaren Doktrinarismus die Reihe der verpaßten<lb/> Gelegenheiten zu praktisch-politischer Geltung um eine weitere vermehrt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1866"> Wir haben schon früher der Möglichkeit gedacht, daß die Parteiverhältnisse<lb/> im Reich durch die Entwicklung der preußischen Schulpolitik beeinflußt werden<lb/> könnten. Im preußischen Landtage haben diese Verhältnisse bis zuletzt noch eine<lb/> Rolle gespielt; die Schulfrage steht entschieden im Mittelpunkt. Nächstdem ist es<lb/> die Polenfrage, die am meisten die Geister beschäftigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1867"> Noch ist der Streik der polnischen Schulkinder nicht zu Ende, obwohl schon<lb/> seit Monaten ein ständiges, langsames Abflauen der Bewegung festzustellen ist.<lb/> Gerade in der letzten Woche ist eine bemerkenswerte gerichtliche Entscheidung er¬<lb/> folgt. Die preußische Staatsregierung hat dem Streik gegenüber die sehr richtige<lb/> Taktik befolgt, nicht mit unnötiger Härte gegen die von Eltern und Geistlichen<lb/> aufgesetzten und mißleiteten Schulkinder vorzugehen, dafür aber mit desto größerer<lb/> Konsequenz und Schwere alle Nachteile, die aus der verletzten Ordnung und<lb/> Autorität entspringen, auf die Eltern und die Gemeinden fallen zu lassen. Daß die<lb/> Regierung alle gesetzlichen Handhaben, die ihr zu Gebote stehen, rücksichtslos um¬<lb/> wendet, wird mau in Anbetracht der ungeheuern Gewissenlosigkeit, die in dem<lb/> Mißbrauch der Kinderseelen zu politisch-agitatorischen Zwecken liegt, durchaus gut¬<lb/> heißen können. Die Regierung hat nach dem geltenden Recht die Befugnis, inner¬<lb/> halb des Vermögens der Gemeinde so viel Lehrer anstellen zu lassen, als für die<lb/> Zwecke eines ausreichenden Unterrichts nötig scheinen. Die Widerspenstigkeit der<lb/> Kinder nimmt die Kräfte der Lehrer stärker in Anspruch; so hat die Regierung<lb/> die Folgerung daraus gezogen, daß sie an den Schulen, wo die Kinder die deutschen<lb/> Antworten im Religionsunterricht verweigern, auf der Anstellung einer größern<lb/> Zahl von Lehrern besteht. Die Gemeinden haben gegen diese Verfügung, die ihren<lb/> Geldbeutel empfindlich — übrigens nicht über ihre Kräfte — belastet, beim Ober-<lb/> verwaltungsgericht geklagt, und die erste entscheidende Verhandlung hat am 14. Mai<lb/> in der Klagesache der Stadt Kosten stattgefunden. Die Klage wurde abgewiesen,<lb/> das Verfahren der Negierung als zu Recht bestehend anerkannt. Zwei andre Ge¬<lb/> meinden, die in derselben Lage sind, haben darauf ihre Klage zurückgezogen, und<lb/> vielleicht ist zu hoffen, daß diese Heranziehung des Geldbeutels für die Folgen des<lb/> gesetzwidrigen und moralisch verwerflichen Verhaltens eine gute Wirkung auf den<lb/> Nest der Streitenden ausüben wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1868" next="#ID_1869"> Die in der Thronrede angekündigte Polenvorlage an den preußischen Landtag<lb/> ist bis jetzt noch ausgeblieben. Es scheint wirklich, als ob man innerhalb der preußischen<lb/> Staatsregierung noch zu keinem Entschluß gekommen sei. Die Beschlüsse des Ost¬<lb/> markenvereins legten eine erweiterte Anwendung des Enteignungsgesetzcs nahe, um<lb/> die Hindernisse zu beseitigen, die die Polen den Arbeiten der Ansiedlungskommission<lb/> in deu Weg legten. Aber an den maßgebenden Stellen im Vorstände des Vereins<lb/> verhehlte man sich wohl nicht, welche großen Bedenken dieser Regelung entgegen¬<lb/> standen. Und so ist gerade aus diesem Kreise ein neuer Vorschlag aufgetaucht,<lb/> nämlich die Einführung eines staatlichen Einspruchsrechts bei allen Landverkäufen<lb/> im Wirkungsbereich der Ansiedlungskommission. Soll irgendein Vorschlag solcher</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0438]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
durch die straffe Organisation, die für ihre Politische Sache mit der Macht der
katholischen Kirche über Herzen und Gewissen arbeitet. Vor allem ist zu bedenken, daß
die jetzige Lage der Zentrumspartei mit keiner frühern verglichen werden kann. Will
sie die politische Vertretung der katholischen Bevölkerung Deutschlands bleibe», dann
wird sie, da ihr niemand den Gefallen tun wird, einen neuen Kulturkampf anzufangen,
notgedrungen ernste Schritte tun müssen, um die klerikale Demagogie in ihren Reihen
einzuschränken und in ihrer eigentlichen Führung und in ihrem maßgebenden Teil
in ein nationales Fahrwasser einzulenken. Diese Möglichkeit sollte namentlich unser
Liberalismus beizeiten ins Auge fassen, damit es ihm nicht begegnet, daß er bei seiner
Neigung zum Verharren im unfruchtbaren Doktrinarismus die Reihe der verpaßten
Gelegenheiten zu praktisch-politischer Geltung um eine weitere vermehrt.
Wir haben schon früher der Möglichkeit gedacht, daß die Parteiverhältnisse
im Reich durch die Entwicklung der preußischen Schulpolitik beeinflußt werden
könnten. Im preußischen Landtage haben diese Verhältnisse bis zuletzt noch eine
Rolle gespielt; die Schulfrage steht entschieden im Mittelpunkt. Nächstdem ist es
die Polenfrage, die am meisten die Geister beschäftigt.
Noch ist der Streik der polnischen Schulkinder nicht zu Ende, obwohl schon
seit Monaten ein ständiges, langsames Abflauen der Bewegung festzustellen ist.
Gerade in der letzten Woche ist eine bemerkenswerte gerichtliche Entscheidung er¬
folgt. Die preußische Staatsregierung hat dem Streik gegenüber die sehr richtige
Taktik befolgt, nicht mit unnötiger Härte gegen die von Eltern und Geistlichen
aufgesetzten und mißleiteten Schulkinder vorzugehen, dafür aber mit desto größerer
Konsequenz und Schwere alle Nachteile, die aus der verletzten Ordnung und
Autorität entspringen, auf die Eltern und die Gemeinden fallen zu lassen. Daß die
Regierung alle gesetzlichen Handhaben, die ihr zu Gebote stehen, rücksichtslos um¬
wendet, wird mau in Anbetracht der ungeheuern Gewissenlosigkeit, die in dem
Mißbrauch der Kinderseelen zu politisch-agitatorischen Zwecken liegt, durchaus gut¬
heißen können. Die Regierung hat nach dem geltenden Recht die Befugnis, inner¬
halb des Vermögens der Gemeinde so viel Lehrer anstellen zu lassen, als für die
Zwecke eines ausreichenden Unterrichts nötig scheinen. Die Widerspenstigkeit der
Kinder nimmt die Kräfte der Lehrer stärker in Anspruch; so hat die Regierung
die Folgerung daraus gezogen, daß sie an den Schulen, wo die Kinder die deutschen
Antworten im Religionsunterricht verweigern, auf der Anstellung einer größern
Zahl von Lehrern besteht. Die Gemeinden haben gegen diese Verfügung, die ihren
Geldbeutel empfindlich — übrigens nicht über ihre Kräfte — belastet, beim Ober-
verwaltungsgericht geklagt, und die erste entscheidende Verhandlung hat am 14. Mai
in der Klagesache der Stadt Kosten stattgefunden. Die Klage wurde abgewiesen,
das Verfahren der Negierung als zu Recht bestehend anerkannt. Zwei andre Ge¬
meinden, die in derselben Lage sind, haben darauf ihre Klage zurückgezogen, und
vielleicht ist zu hoffen, daß diese Heranziehung des Geldbeutels für die Folgen des
gesetzwidrigen und moralisch verwerflichen Verhaltens eine gute Wirkung auf den
Nest der Streitenden ausüben wird.
Die in der Thronrede angekündigte Polenvorlage an den preußischen Landtag
ist bis jetzt noch ausgeblieben. Es scheint wirklich, als ob man innerhalb der preußischen
Staatsregierung noch zu keinem Entschluß gekommen sei. Die Beschlüsse des Ost¬
markenvereins legten eine erweiterte Anwendung des Enteignungsgesetzcs nahe, um
die Hindernisse zu beseitigen, die die Polen den Arbeiten der Ansiedlungskommission
in deu Weg legten. Aber an den maßgebenden Stellen im Vorstände des Vereins
verhehlte man sich wohl nicht, welche großen Bedenken dieser Regelung entgegen¬
standen. Und so ist gerade aus diesem Kreise ein neuer Vorschlag aufgetaucht,
nämlich die Einführung eines staatlichen Einspruchsrechts bei allen Landverkäufen
im Wirkungsbereich der Ansiedlungskommission. Soll irgendein Vorschlag solcher
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |