Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches steckt. Parlamentarische Parteien sind ja nie ganz frei von den Stimmungen derbreiten Massen, die hinter ihnen stehn. In diesen aber ist die politische Intelligenzund die taktische Geschicklichkeit nicht zu Hause; in ihnen herrscht der starre Prin¬ Bei allen Erörterungen über die parlamentarische Lage steht noch menner die Grenzboten II 1907
Maßgebliches und Unmaßgebliches steckt. Parlamentarische Parteien sind ja nie ganz frei von den Stimmungen derbreiten Massen, die hinter ihnen stehn. In diesen aber ist die politische Intelligenzund die taktische Geschicklichkeit nicht zu Hause; in ihnen herrscht der starre Prin¬ Bei allen Erörterungen über die parlamentarische Lage steht noch menner die Grenzboten II 1907
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302425"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1863" prev="#ID_1862"> steckt. Parlamentarische Parteien sind ja nie ganz frei von den Stimmungen derbreiten Massen, die hinter ihnen stehn. In diesen aber ist die politische Intelligenzund die taktische Geschicklichkeit nicht zu Hause; in ihnen herrscht der starre Prin¬<lb/> zipienreiter, der plumpe Schreier, und das sind doch die Wähler, die zuletzt das<lb/> Schicksal der politisch verständigen Führer in der Hand haben. Für die einge-<lb/> schwornen Konservativen aller Art war es eine harte Nuß, vom Regierungstischdie Ankündigung liberaler Zugeständnisse entgegenzunehmen, und es ist hinlänglichbekannt, wie heftig die strengkonservative Presse ihre Polemik gegen den Liberalismus<lb/> fortgesetzt und die Unzuverlässigkeit der liberalen Bundesgenossen im Block zu be¬<lb/> tonen nicht aufgehört hat. Auf der andern Seite hatten die liberalen Parla¬<lb/> mentarier, die auf den Gedanken des nationalen Blocks eingegangen waren, alle<lb/> Hände voll zu tun, um das Mißtrauen und die Widerhaarigkeit des eignen Partei¬<lb/> gros niederzuhalten. Sie sollten womöglich einen Tag um den andern ihr poli¬<lb/> tisches Glaubensbekenntnis hersagen, und den großen und kleinen Parteikatechismus<lb/> "och dazu, und dann wurde ihnen außerdem noch in der Parteipresse täglich ge¬<lb/> predigt, daß die Konservativen doch immer der eigentliche Feind blieben, und daß<lb/> sie auf dem Wege der „Paarung" nur für die Reaktion eingefangen werden sollten.<lb/> Leicht wird es also den zum Block gehörenden Reichstagsfraktionen nicht gemacht,<lb/> und man wird es milder beurteilen, wenn sie zwischendurch bei geeigneten Gelegen¬<lb/> heiten — Nebensachen und Geschäftsordnungsfragen — auch die rauhe Seite<lb/> gegeneinander herauskehren. Dann herrscht in dem entsprechenden Teil der Presse<lb/> großes Vergnügen darüber, daß es nun mit dem Block aus ist. aber die Freude<lb/> ist vorläufig noch immer verfrüht gewesen, denn in allen Fragen, wo es darauf"»kam, hat der Block doch zusammengehalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1864" next="#ID_1865"> Bei allen Erörterungen über die parlamentarische Lage steht noch menner die<lb/> große Rätselfrage am Horizont, welches die Zukunft des Zentrums sein wird. Daß<lb/> der Partei das Grollen und Schmollen auf die Dauer sehr unbequem ist, wird<lb/> ohne weiteres klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sie eigentlich keine rechten<lb/> Angriffspunkte zur Opposition findet. Die Regierung tut dem Zentrum nicht den<lb/> Gefallen, einen kleinen Kulturkampf in Szene zu setzen. Als das Zentrum ,in<lb/> Bewußtsein seiner Macht zu üppig wurde und aus Parteiegoismus eine antinationale<lb/> Haltung einnehmen zu können glaubte, wurde es mit raschem, energisch"us dem Himmel seiner Hoffnungen gestürzt, und seitdem »acht die Re^Geschäfte nicht ge en das Zentrum, wohl aber - was für die gestur^Mer viel empfindlicher ist - ohne das Zentrum. Und aus diesem fatalen Zu¬<lb/> stande findet die Partei '.och nicht den rechten Ausweg Die sah^w der Tat groß. Die fortschreitende Demokratisierung hat die ^ an el en<lb/> Weg geführt dessen Gefahren allmählich der loyalen katholischen ^werden. Sotara die Regierung dem starken Druck, den das Zentrum im Parla-<lb/> ment ausiwt72hr d^ ?veuig?r willig nachgab, und d°s Zentrum e s noch in<lb/> Aufsteigen wär. hatte die Sache keine große Bedeutung. Aber der Bogen einmal<lb/> überspannt worden, »ut nun ist aus der anfänglich leichthin b Z.<lb/> ^^e Schicksalsfrage geworden. Für das Auftrumpfen demokratisch r Achte in<lb/> nationalen Fragen ist im Deutschen Reich noch ans lange hwaus k n Raum mag<lb/> -nan der Sache nun ein konfessionelles Mäntelchen umhängen °der « ehe um d.^Erfahrung kommt der deutsche Katholizismus nicht mehr herum-^ tara»<lb/> merksam gemacht das, Bewegungen, wie die ogenannte „na ionalkatholtsche unsrer<lb/> Tage, chon? i >entr? aber niemals zur Geltung gekommen sind.<lb/> Wohl möglich ^ so kommt. Aber wenn drei oder vier An¬<lb/> lese mißglücken ^ olg daraus noch nicht mit ^ter<lb/> fünfte auch mißglücken muß. Im Gegenteil könnte man schließen daß der immer<lb/> wieder auftauchende Gedanke anscheinend nicht unterdrückt werden kann, selbst nicht</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1907</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0437]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
steckt. Parlamentarische Parteien sind ja nie ganz frei von den Stimmungen derbreiten Massen, die hinter ihnen stehn. In diesen aber ist die politische Intelligenzund die taktische Geschicklichkeit nicht zu Hause; in ihnen herrscht der starre Prin¬
zipienreiter, der plumpe Schreier, und das sind doch die Wähler, die zuletzt das
Schicksal der politisch verständigen Führer in der Hand haben. Für die einge-
schwornen Konservativen aller Art war es eine harte Nuß, vom Regierungstischdie Ankündigung liberaler Zugeständnisse entgegenzunehmen, und es ist hinlänglichbekannt, wie heftig die strengkonservative Presse ihre Polemik gegen den Liberalismus
fortgesetzt und die Unzuverlässigkeit der liberalen Bundesgenossen im Block zu be¬
tonen nicht aufgehört hat. Auf der andern Seite hatten die liberalen Parla¬
mentarier, die auf den Gedanken des nationalen Blocks eingegangen waren, alle
Hände voll zu tun, um das Mißtrauen und die Widerhaarigkeit des eignen Partei¬
gros niederzuhalten. Sie sollten womöglich einen Tag um den andern ihr poli¬
tisches Glaubensbekenntnis hersagen, und den großen und kleinen Parteikatechismus
"och dazu, und dann wurde ihnen außerdem noch in der Parteipresse täglich ge¬
predigt, daß die Konservativen doch immer der eigentliche Feind blieben, und daß
sie auf dem Wege der „Paarung" nur für die Reaktion eingefangen werden sollten.
Leicht wird es also den zum Block gehörenden Reichstagsfraktionen nicht gemacht,
und man wird es milder beurteilen, wenn sie zwischendurch bei geeigneten Gelegen¬
heiten — Nebensachen und Geschäftsordnungsfragen — auch die rauhe Seite
gegeneinander herauskehren. Dann herrscht in dem entsprechenden Teil der Presse
großes Vergnügen darüber, daß es nun mit dem Block aus ist. aber die Freude
ist vorläufig noch immer verfrüht gewesen, denn in allen Fragen, wo es darauf"»kam, hat der Block doch zusammengehalten.
Bei allen Erörterungen über die parlamentarische Lage steht noch menner die
große Rätselfrage am Horizont, welches die Zukunft des Zentrums sein wird. Daß
der Partei das Grollen und Schmollen auf die Dauer sehr unbequem ist, wird
ohne weiteres klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sie eigentlich keine rechten
Angriffspunkte zur Opposition findet. Die Regierung tut dem Zentrum nicht den
Gefallen, einen kleinen Kulturkampf in Szene zu setzen. Als das Zentrum ,in
Bewußtsein seiner Macht zu üppig wurde und aus Parteiegoismus eine antinationale
Haltung einnehmen zu können glaubte, wurde es mit raschem, energisch"us dem Himmel seiner Hoffnungen gestürzt, und seitdem »acht die Re^Geschäfte nicht ge en das Zentrum, wohl aber - was für die gestur^Mer viel empfindlicher ist - ohne das Zentrum. Und aus diesem fatalen Zu¬
stande findet die Partei '.och nicht den rechten Ausweg Die sah^w der Tat groß. Die fortschreitende Demokratisierung hat die ^ an el en
Weg geführt dessen Gefahren allmählich der loyalen katholischen ^werden. Sotara die Regierung dem starken Druck, den das Zentrum im Parla-
ment ausiwt72hr d^ ?veuig?r willig nachgab, und d°s Zentrum e s noch in
Aufsteigen wär. hatte die Sache keine große Bedeutung. Aber der Bogen einmal
überspannt worden, »ut nun ist aus der anfänglich leichthin b Z.
^^e Schicksalsfrage geworden. Für das Auftrumpfen demokratisch r Achte in
nationalen Fragen ist im Deutschen Reich noch ans lange hwaus k n Raum mag
-nan der Sache nun ein konfessionelles Mäntelchen umhängen °der « ehe um d.^Erfahrung kommt der deutsche Katholizismus nicht mehr herum-^ tara»
merksam gemacht das, Bewegungen, wie die ogenannte „na ionalkatholtsche unsrer
Tage, chon? i >entr? aber niemals zur Geltung gekommen sind.
Wohl möglich ^ so kommt. Aber wenn drei oder vier An¬
lese mißglücken ^ olg daraus noch nicht mit ^ter
fünfte auch mißglücken muß. Im Gegenteil könnte man schließen daß der immer
wieder auftauchende Gedanke anscheinend nicht unterdrückt werden kann, selbst nicht
Grenzboten II 1907
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