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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Geschäftsleute mit so unmöglichen Namen wie Mikirtiganz fallen überall auf-
ebenso wie die bucharischen Juden in dunkelm, chalatähnlichem Kaftan, die einen
Hauptstraßcnzug mit ihren Läden besetzt halten. Die Kirgisen, Perser, Afghanen,
ganz wenige Hindus, dann wieder Zigeuner sorgen in der bunten Menge ebenso
für Abwechslung wie die Schützen von der zweiten Turkestan-Schützenbrigade
mit den himbeerfarbnen Abzeichen und die Uralkasaken mit ihren roten Hosen.
Von Europäern sind vor allen Dingen Russen als Händler in mehr oder
weniger nationalen! Kostüm tätig; aber auch von den paar Polen und den
460 Deutschen, die sich in Neu-Ssamarkand niedergelassen haben, wird sich
der eine oder der andre in das Basartreiben mischen. Einheimische Schutzleute
w kleidsamen schwarzen Uniformen mit orangefarbnen Schnüren halten auf leid¬
liche Ordnung. Durch den Strom dieser Menschheit winden sich ein paar Leute
"ut merkwürdigem Gerät, brennenden Wasserpfeifen. Unglaublich, aber wahr!
Mancher Passant wendet sich zu ihnen, zahlt einen Tschoch und darf zwei
kräftige Züge tun, worauf der brave Unternehmer mit der durch kein Wasser
verunreinigten Hand das Mundstück abwischt. Zerlumpte Bettler, denen der
Straßenschmntz gleichgiltig ist, bitten vom Rand der Fahrbahn aus mit ein¬
töniger Stimme aufdringlich um Almosen. Was sich in der Straßenmitte fort'
bewegt, ist neben der europäischen Droschke mit recht viel Insassen, neben der
hohen Arda eine fast ununterbrochne Reihe von Reittieren, großen und kleinen,
die man um ihren starken Rücken beneiden und doch bedauern kann: auf nicht
In wenig Gepäck thront in unmöglicher Haltung ein Reiter, an den sich fast
Mnner ein zweiter anklammert. Allerdings, Reiten ist in dem Frühjahrs-
Mstande des aufgeweichten Lößbodens der Straßen wohl das einzige Mittel.
Vorwärts zu kommen.

Stellenweise wirkt das Geräusch der schwatzenden Menge, das Geschrei der
dorübertrottenden Maultiere und Esel, das Gequietsch der hohen zweirädrigen
Arber ohrenbetäubend und sinnbetörcnd. An irgendeiner Ecke singen Knaben
Lieder geistlichen Inhalts, wobei sie mit den Füßen den Takt schlagen und zahl¬
reiche Zuschauer um sich sammeln. Da künden langgezogne Töne, daß die
öffentlichen Bäder bereit sind. Es sind Anstalten von erträglicher Reinlichkeit,
^e an gewissen Tagen für die holde Weiblichkeit reserviert sind, und in denen
durchaus gute Sitte bis zu einer gewissen Prüderie gewahrt wird. Die Energie
der Behandlung läßt nichts zu wünschen übrig, belebt aber ungemein und erweckt
"nen Riesenappetit auf die nach beendeten Verfahren angebotnen Trauben,
Rosinen, Pistazien, weißen Pflaumen und sonstigen Früchte.

Die Läden sind zum Teil recht elende, an die Mauern der ehrwürdigen
Bauten gekleckste Hütten, gerade und windschiefe Holzbuden und noch ärmlichere
Baracken. Die wackligen Teebuden sind auch mehr besucht als äußerlich ein¬
ladend und vertrauenerweckend. Die sonst so strenge Scheidung nach Gewerben
ist nicht so scharf durchgeführt. Die Händler gruppieren sich," wie die Juden,
vielfach nach Stamm und Geschlecht. Die Pelzhändler waren an einer recht


Geschäftsleute mit so unmöglichen Namen wie Mikirtiganz fallen überall auf-
ebenso wie die bucharischen Juden in dunkelm, chalatähnlichem Kaftan, die einen
Hauptstraßcnzug mit ihren Läden besetzt halten. Die Kirgisen, Perser, Afghanen,
ganz wenige Hindus, dann wieder Zigeuner sorgen in der bunten Menge ebenso
für Abwechslung wie die Schützen von der zweiten Turkestan-Schützenbrigade
mit den himbeerfarbnen Abzeichen und die Uralkasaken mit ihren roten Hosen.
Von Europäern sind vor allen Dingen Russen als Händler in mehr oder
weniger nationalen! Kostüm tätig; aber auch von den paar Polen und den
460 Deutschen, die sich in Neu-Ssamarkand niedergelassen haben, wird sich
der eine oder der andre in das Basartreiben mischen. Einheimische Schutzleute
w kleidsamen schwarzen Uniformen mit orangefarbnen Schnüren halten auf leid¬
liche Ordnung. Durch den Strom dieser Menschheit winden sich ein paar Leute
"ut merkwürdigem Gerät, brennenden Wasserpfeifen. Unglaublich, aber wahr!
Mancher Passant wendet sich zu ihnen, zahlt einen Tschoch und darf zwei
kräftige Züge tun, worauf der brave Unternehmer mit der durch kein Wasser
verunreinigten Hand das Mundstück abwischt. Zerlumpte Bettler, denen der
Straßenschmntz gleichgiltig ist, bitten vom Rand der Fahrbahn aus mit ein¬
töniger Stimme aufdringlich um Almosen. Was sich in der Straßenmitte fort'
bewegt, ist neben der europäischen Droschke mit recht viel Insassen, neben der
hohen Arda eine fast ununterbrochne Reihe von Reittieren, großen und kleinen,
die man um ihren starken Rücken beneiden und doch bedauern kann: auf nicht
In wenig Gepäck thront in unmöglicher Haltung ein Reiter, an den sich fast
Mnner ein zweiter anklammert. Allerdings, Reiten ist in dem Frühjahrs-
Mstande des aufgeweichten Lößbodens der Straßen wohl das einzige Mittel.
Vorwärts zu kommen.

Stellenweise wirkt das Geräusch der schwatzenden Menge, das Geschrei der
dorübertrottenden Maultiere und Esel, das Gequietsch der hohen zweirädrigen
Arber ohrenbetäubend und sinnbetörcnd. An irgendeiner Ecke singen Knaben
Lieder geistlichen Inhalts, wobei sie mit den Füßen den Takt schlagen und zahl¬
reiche Zuschauer um sich sammeln. Da künden langgezogne Töne, daß die
öffentlichen Bäder bereit sind. Es sind Anstalten von erträglicher Reinlichkeit,
^e an gewissen Tagen für die holde Weiblichkeit reserviert sind, und in denen
durchaus gute Sitte bis zu einer gewissen Prüderie gewahrt wird. Die Energie
der Behandlung läßt nichts zu wünschen übrig, belebt aber ungemein und erweckt
«nen Riesenappetit auf die nach beendeten Verfahren angebotnen Trauben,
Rosinen, Pistazien, weißen Pflaumen und sonstigen Früchte.

Die Läden sind zum Teil recht elende, an die Mauern der ehrwürdigen
Bauten gekleckste Hütten, gerade und windschiefe Holzbuden und noch ärmlichere
Baracken. Die wackligen Teebuden sind auch mehr besucht als äußerlich ein¬
ladend und vertrauenerweckend. Die sonst so strenge Scheidung nach Gewerben
ist nicht so scharf durchgeführt. Die Händler gruppieren sich,« wie die Juden,
vielfach nach Stamm und Geschlecht. Die Pelzhändler waren an einer recht


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[0427] Geschäftsleute mit so unmöglichen Namen wie Mikirtiganz fallen überall auf- ebenso wie die bucharischen Juden in dunkelm, chalatähnlichem Kaftan, die einen Hauptstraßcnzug mit ihren Läden besetzt halten. Die Kirgisen, Perser, Afghanen, ganz wenige Hindus, dann wieder Zigeuner sorgen in der bunten Menge ebenso für Abwechslung wie die Schützen von der zweiten Turkestan-Schützenbrigade mit den himbeerfarbnen Abzeichen und die Uralkasaken mit ihren roten Hosen. Von Europäern sind vor allen Dingen Russen als Händler in mehr oder weniger nationalen! Kostüm tätig; aber auch von den paar Polen und den 460 Deutschen, die sich in Neu-Ssamarkand niedergelassen haben, wird sich der eine oder der andre in das Basartreiben mischen. Einheimische Schutzleute w kleidsamen schwarzen Uniformen mit orangefarbnen Schnüren halten auf leid¬ liche Ordnung. Durch den Strom dieser Menschheit winden sich ein paar Leute "ut merkwürdigem Gerät, brennenden Wasserpfeifen. Unglaublich, aber wahr! Mancher Passant wendet sich zu ihnen, zahlt einen Tschoch und darf zwei kräftige Züge tun, worauf der brave Unternehmer mit der durch kein Wasser verunreinigten Hand das Mundstück abwischt. Zerlumpte Bettler, denen der Straßenschmntz gleichgiltig ist, bitten vom Rand der Fahrbahn aus mit ein¬ töniger Stimme aufdringlich um Almosen. Was sich in der Straßenmitte fort' bewegt, ist neben der europäischen Droschke mit recht viel Insassen, neben der hohen Arda eine fast ununterbrochne Reihe von Reittieren, großen und kleinen, die man um ihren starken Rücken beneiden und doch bedauern kann: auf nicht In wenig Gepäck thront in unmöglicher Haltung ein Reiter, an den sich fast Mnner ein zweiter anklammert. Allerdings, Reiten ist in dem Frühjahrs- Mstande des aufgeweichten Lößbodens der Straßen wohl das einzige Mittel. Vorwärts zu kommen. Stellenweise wirkt das Geräusch der schwatzenden Menge, das Geschrei der dorübertrottenden Maultiere und Esel, das Gequietsch der hohen zweirädrigen Arber ohrenbetäubend und sinnbetörcnd. An irgendeiner Ecke singen Knaben Lieder geistlichen Inhalts, wobei sie mit den Füßen den Takt schlagen und zahl¬ reiche Zuschauer um sich sammeln. Da künden langgezogne Töne, daß die öffentlichen Bäder bereit sind. Es sind Anstalten von erträglicher Reinlichkeit, ^e an gewissen Tagen für die holde Weiblichkeit reserviert sind, und in denen durchaus gute Sitte bis zu einer gewissen Prüderie gewahrt wird. Die Energie der Behandlung läßt nichts zu wünschen übrig, belebt aber ungemein und erweckt «nen Riesenappetit auf die nach beendeten Verfahren angebotnen Trauben, Rosinen, Pistazien, weißen Pflaumen und sonstigen Früchte. Die Läden sind zum Teil recht elende, an die Mauern der ehrwürdigen Bauten gekleckste Hütten, gerade und windschiefe Holzbuden und noch ärmlichere Baracken. Die wackligen Teebuden sind auch mehr besucht als äußerlich ein¬ ladend und vertrauenerweckend. Die sonst so strenge Scheidung nach Gewerben ist nicht so scharf durchgeführt. Die Händler gruppieren sich,« wie die Juden, vielfach nach Stamm und Geschlecht. Die Pelzhändler waren an einer recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/427>, abgerufen am 06.02.2025.