Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Das russische Agrarproblem das fränkische Großgut mit seinem von den Römern übernommnen Gewerbe¬ Wie die Dinge jetzt liegen, wird die auswärtige Hilfe wohl uicht in dieser Grenzboten II 1907 52
Das russische Agrarproblem das fränkische Großgut mit seinem von den Römern übernommnen Gewerbe¬ Wie die Dinge jetzt liegen, wird die auswärtige Hilfe wohl uicht in dieser Grenzboten II 1907 52
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Das russische Agrarproblem
das fränkische Großgut mit seinem von den Römern übernommnen Gewerbe¬
betrieb und seiner rationellen Landwirtschaft und das Kloster die Stadt ersetzt.
Lernbegierig und energisch, wie sie waren, sind sie mit dem. was sie auf dem
Großgut und vom Kloster gelernt hatten, sehr rasch zum städtischen Leben
übergegangen, und bei der Besiedlung Ostelbiens half zwar noch das Kloster,
aber die Ansiedler kamen doch auch gleich schon in der richtigen Mischung an.
indem Gewerbetreibende die Bauern begleiteten und als Verkehrszentren der
bäuerlichen Bezirke Städte gründeten. Auf diese Weise wurde dann später
Amerika besiedelt, das keine Klöster mehr nötig hatte. Demnach wäre nicht
Vermehrung des Bauernackers das richtige Mittel, den russischen Bauer» zu
helfen, sondern Überführung von mindestens einem Drittel der bäuerlichen
Bevölkerung ins Gewerbe, nicht in die Großindustrie, sondern ins Kleinge¬
werbe und den anständigen Kleinhandel, die die Agrarbezirke mit kleinen
Städten durchsetzen müßten. Und da die russischen Bauern aus eignem An¬
triebe in diesen Umwandlungsprozeß nicht eintraten, so Hütten ihn die Zaren
durch Berufung einer großen Zahl von germanischen Ansiedlern und deren
Zweckmäßige Verteilung über das Land einleiten müssen, die die Erziehung des
russischen Volkes in die Hand zu nehmen gehabt hätten.
Wie die Dinge jetzt liegen, wird die auswärtige Hilfe wohl uicht in dieser
mittelalterlichen, sondern in moderner Form eingreifen. Die Schlesische Zeitung,
ein freikonservatives, demnach dem russischen Staate durchaus wohlgeneigtes
und die Revolution verabscheuendes Blatt, meldete Ende Februar, die russische
Regierung plane eine neue Milliardenanleihe, das ausländische Finanzkon¬
sortium aber, an das sie sich gewandt habe, wolle nur unter der Bedingung
darauf eingehn, daß ihm die russischen Eisenbahnen verpfändet würden, die
es für längere Zeit in eigne Verwaltung nehmen würde. Auf diesen Vor¬
schlag, der Nußland den europäischen Mächten gegenüber ungefähr die Stellung
der Türkei anweisen würde, könne die Regierung natürlich nicht eingehn,
meinte das Blatt. Ja, wenn sie aber muß? Auf immer neue Anleihen, mit
deren Ertrage die Zinsen der vorhergehenden bezahlt werden, und auf das
Rauschbedürfnis des hungernden Muschik allein können doch die Finanzen
eines Großstaates nicht für alle Ewigkeit gegründet werden. Und muß Ru߬
land darauf schließlich eingehn, so ist das noch etwas mehr als der Verzicht
auf Großmachtpolitik, wozu sich, wie Weber hervorhebt, vorläufig nicht einmal
die Demokraten verstehen wollen. Aus dem Netz von Verkehrsadern würde
ja natürlich europäisches Blut ins Land strömen. Die deutschen, englischen,
französischen Bahnbeamten würden Gewerbetreibende aller Art nach sich ziehen,
und es würden wohl auch neue Städte gegründet werden. Das genannte
Blatt veröffentlichte um dieselbe Zeit einen Se. Petersburger Brief, in dein
als ein schweres Unheil beklagt wird, daß die Negierung, dem revolutionären
Drucke nachgebend. durch die Bauernbank den Grundbesitz mobilisiere. In der
Zeit vom 3. November 1905 bis zum 1. Januar 1907 habe diese Bank
Grenzboten II 1907 52
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