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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Das russische Agrarproblem

Würde daraus erwachsen, daß die Landverteilung einen weitern Rückgang des
ohnehin tiefstehenden Betriebs und demgemäß auch des Ertrags, für den An¬
fang wenigstens, zur Folge haben müßte. Einmal weil die Gutsbesitzer
expropriiert werden würden, deren Wirtschaftsweise durchschnittlich bedeutend
höher steht als die der Bauern, und von denen nicht wenige auf ihren Gütern
Musterwirtschaften eingerichtet haben sollen. Mit Rücksicht darauf hatten denn
auch schon die Redner des Agrarkongresses im Mai 1905 empfohlen, einen
Teil des Großgrundbesitzes, und namentlich die Musterwirtschaften, von der
Expropriierung auszuschließen. (Das Kadettenprogramm hat den Ausschluß
aller Zaubereien vou besondern^ Kulturwert angenommen. Von seinen übrigen
Vorschlägen sind die wichtigsten die Bildung eines in Anteilen zu verpachtenden
Landfonds, und daß vorzugsweise die Landärmsten und Landlosen bedacht
werden sollen.) Dann aber auch, weil, wie eben bemerkt wurde, nach dem
Kadettenprogramm wenigstens bei der Ausstattung die Landlosen und Land¬
armsten den Vortritt haben sollen, "also die, die weder nach ihrem Kapital-
vder Jnventarbesitz noch nach ihrer Übung in Führung einer selbständigen
Wirtschaft ökonomisch qualifiziert sind. Das ist die Wirkung des ethisch-
svzialrevolutionären Prinzips, das die ökonomische Auslese umkehrt. Ein sehr
starker Rückgang der Knlturintensität, der auch bei umfassendster Aufbietung
aller nur denkbaren Mittel, wie sie die Semstwos, trotz ihrer beschränkten
Finanzkraft, zur Hebung der bäuerlichen Kultur mit bekanntlich höchst
respektabel" Erfolgen anwenden, doch erst in Jahrzehnten wieder eingeholt
werden könnte, wäre schon ans diesem Grunde unausbleiblich, ebenso sorg¬
samste Schonung der Steuerlast der Bauern, Verzicht auf das heute in der
Handelsbilanz unentbehrliche Ausmaß der Getreideausfuhr, Rückgang der im
Budget die ganze Rüstung Rußlands deckenden Schnapsbrennerei ^die ganze
Rüstung? der größere Teil wird doch wohl aus den Anleihen bestritten?> und
Wohl auch der Zuckerproduktion "r der russische Bauer bei seiner Art Wirt¬
schaft unmöglich Zuckerrüben bauen kann). Ein starker zeitweiliger Rückgang
der Geldwirtschaft wäre die weitere Folge. Geht alles glatt, und gelingt die
Erziehung der Bauern, dann mag nach einer Generation ein freies, mächtig
blühendes Rußland erstehen, auf wesentlich festerer Basis stehend als das
heutige. Aber um dieses Ergebnis herbeizuführen, müßte "vegen des Aus¬
falls an Ertrugen aus Steuern/ aus dem Branntweinmonopol und aus
Kornansfnhrj der Staat ein Menschenalter hindurch aufhören, Großmacht zu
spielen und Weltpolitik zu treiben, und das wollen nicht einmal die Demo¬
kraten."

Was die bei eiuer Expropriation zu zahlende Entschädigungssumme be¬
trifft, so ist sie für eines der schwebenden Projekte, dem des Kadetten
Mcmuilow, von diesem selbst auf etwa 6. von seinem Gegner Kaufmann auf
12 Milliarden Mark berechnet worden. Die Zinsen dieser Kapitale dürfen
nicht voll angeschlagen werden, weil die Bauer" schon einen Teil des zu


Das russische Agrarproblem

Würde daraus erwachsen, daß die Landverteilung einen weitern Rückgang des
ohnehin tiefstehenden Betriebs und demgemäß auch des Ertrags, für den An¬
fang wenigstens, zur Folge haben müßte. Einmal weil die Gutsbesitzer
expropriiert werden würden, deren Wirtschaftsweise durchschnittlich bedeutend
höher steht als die der Bauern, und von denen nicht wenige auf ihren Gütern
Musterwirtschaften eingerichtet haben sollen. Mit Rücksicht darauf hatten denn
auch schon die Redner des Agrarkongresses im Mai 1905 empfohlen, einen
Teil des Großgrundbesitzes, und namentlich die Musterwirtschaften, von der
Expropriierung auszuschließen. (Das Kadettenprogramm hat den Ausschluß
aller Zaubereien vou besondern^ Kulturwert angenommen. Von seinen übrigen
Vorschlägen sind die wichtigsten die Bildung eines in Anteilen zu verpachtenden
Landfonds, und daß vorzugsweise die Landärmsten und Landlosen bedacht
werden sollen.) Dann aber auch, weil, wie eben bemerkt wurde, nach dem
Kadettenprogramm wenigstens bei der Ausstattung die Landlosen und Land¬
armsten den Vortritt haben sollen, „also die, die weder nach ihrem Kapital-
vder Jnventarbesitz noch nach ihrer Übung in Führung einer selbständigen
Wirtschaft ökonomisch qualifiziert sind. Das ist die Wirkung des ethisch-
svzialrevolutionären Prinzips, das die ökonomische Auslese umkehrt. Ein sehr
starker Rückgang der Knlturintensität, der auch bei umfassendster Aufbietung
aller nur denkbaren Mittel, wie sie die Semstwos, trotz ihrer beschränkten
Finanzkraft, zur Hebung der bäuerlichen Kultur mit bekanntlich höchst
respektabel» Erfolgen anwenden, doch erst in Jahrzehnten wieder eingeholt
werden könnte, wäre schon ans diesem Grunde unausbleiblich, ebenso sorg¬
samste Schonung der Steuerlast der Bauern, Verzicht auf das heute in der
Handelsbilanz unentbehrliche Ausmaß der Getreideausfuhr, Rückgang der im
Budget die ganze Rüstung Rußlands deckenden Schnapsbrennerei ^die ganze
Rüstung? der größere Teil wird doch wohl aus den Anleihen bestritten?> und
Wohl auch der Zuckerproduktion »r der russische Bauer bei seiner Art Wirt¬
schaft unmöglich Zuckerrüben bauen kann). Ein starker zeitweiliger Rückgang
der Geldwirtschaft wäre die weitere Folge. Geht alles glatt, und gelingt die
Erziehung der Bauern, dann mag nach einer Generation ein freies, mächtig
blühendes Rußland erstehen, auf wesentlich festerer Basis stehend als das
heutige. Aber um dieses Ergebnis herbeizuführen, müßte »vegen des Aus¬
falls an Ertrugen aus Steuern/ aus dem Branntweinmonopol und aus
Kornansfnhrj der Staat ein Menschenalter hindurch aufhören, Großmacht zu
spielen und Weltpolitik zu treiben, und das wollen nicht einmal die Demo¬
kraten."

Was die bei eiuer Expropriation zu zahlende Entschädigungssumme be¬
trifft, so ist sie für eines der schwebenden Projekte, dem des Kadetten
Mcmuilow, von diesem selbst auf etwa 6. von seinem Gegner Kaufmann auf
12 Milliarden Mark berechnet worden. Die Zinsen dieser Kapitale dürfen
nicht voll angeschlagen werden, weil die Bauer» schon einen Teil des zu


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[0401] Das russische Agrarproblem Würde daraus erwachsen, daß die Landverteilung einen weitern Rückgang des ohnehin tiefstehenden Betriebs und demgemäß auch des Ertrags, für den An¬ fang wenigstens, zur Folge haben müßte. Einmal weil die Gutsbesitzer expropriiert werden würden, deren Wirtschaftsweise durchschnittlich bedeutend höher steht als die der Bauern, und von denen nicht wenige auf ihren Gütern Musterwirtschaften eingerichtet haben sollen. Mit Rücksicht darauf hatten denn auch schon die Redner des Agrarkongresses im Mai 1905 empfohlen, einen Teil des Großgrundbesitzes, und namentlich die Musterwirtschaften, von der Expropriierung auszuschließen. (Das Kadettenprogramm hat den Ausschluß aller Zaubereien vou besondern^ Kulturwert angenommen. Von seinen übrigen Vorschlägen sind die wichtigsten die Bildung eines in Anteilen zu verpachtenden Landfonds, und daß vorzugsweise die Landärmsten und Landlosen bedacht werden sollen.) Dann aber auch, weil, wie eben bemerkt wurde, nach dem Kadettenprogramm wenigstens bei der Ausstattung die Landlosen und Land¬ armsten den Vortritt haben sollen, „also die, die weder nach ihrem Kapital- vder Jnventarbesitz noch nach ihrer Übung in Führung einer selbständigen Wirtschaft ökonomisch qualifiziert sind. Das ist die Wirkung des ethisch- svzialrevolutionären Prinzips, das die ökonomische Auslese umkehrt. Ein sehr starker Rückgang der Knlturintensität, der auch bei umfassendster Aufbietung aller nur denkbaren Mittel, wie sie die Semstwos, trotz ihrer beschränkten Finanzkraft, zur Hebung der bäuerlichen Kultur mit bekanntlich höchst respektabel» Erfolgen anwenden, doch erst in Jahrzehnten wieder eingeholt werden könnte, wäre schon ans diesem Grunde unausbleiblich, ebenso sorg¬ samste Schonung der Steuerlast der Bauern, Verzicht auf das heute in der Handelsbilanz unentbehrliche Ausmaß der Getreideausfuhr, Rückgang der im Budget die ganze Rüstung Rußlands deckenden Schnapsbrennerei ^die ganze Rüstung? der größere Teil wird doch wohl aus den Anleihen bestritten?> und Wohl auch der Zuckerproduktion »r der russische Bauer bei seiner Art Wirt¬ schaft unmöglich Zuckerrüben bauen kann). Ein starker zeitweiliger Rückgang der Geldwirtschaft wäre die weitere Folge. Geht alles glatt, und gelingt die Erziehung der Bauern, dann mag nach einer Generation ein freies, mächtig blühendes Rußland erstehen, auf wesentlich festerer Basis stehend als das heutige. Aber um dieses Ergebnis herbeizuführen, müßte »vegen des Aus¬ falls an Ertrugen aus Steuern/ aus dem Branntweinmonopol und aus Kornansfnhrj der Staat ein Menschenalter hindurch aufhören, Großmacht zu spielen und Weltpolitik zu treiben, und das wollen nicht einmal die Demo¬ kraten." Was die bei eiuer Expropriation zu zahlende Entschädigungssumme be¬ trifft, so ist sie für eines der schwebenden Projekte, dem des Kadetten Mcmuilow, von diesem selbst auf etwa 6. von seinem Gegner Kaufmann auf 12 Milliarden Mark berechnet worden. Die Zinsen dieser Kapitale dürfen nicht voll angeschlagen werden, weil die Bauer» schon einen Teil des zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/401>, abgerufen am 06.02.2025.