Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Deutschland in französischer Beleuchtung Viel größer, als man gewöhnlich denke. Es sei keine Ausnahme, daß die Was ihn am wohltuendsten bei uns berührt habe, sei unsre liebenswürdige Eine der Tatsachen, die ihn am meisten in Erstaunen gesetzt hat, ist die In einer großen Stadt Westfalens habe er eines Abends mit hochge¬ Daß in der Tat bei uns so wenig Interesse für Politik vorhanden ist, und Deutschland in französischer Beleuchtung Viel größer, als man gewöhnlich denke. Es sei keine Ausnahme, daß die Was ihn am wohltuendsten bei uns berührt habe, sei unsre liebenswürdige Eine der Tatsachen, die ihn am meisten in Erstaunen gesetzt hat, ist die In einer großen Stadt Westfalens habe er eines Abends mit hochge¬ Daß in der Tat bei uns so wenig Interesse für Politik vorhanden ist, und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302277"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland in französischer Beleuchtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1259" prev="#ID_1258"> Viel größer, als man gewöhnlich denke. Es sei keine Ausnahme, daß die<lb/> Karriere eines jungen Offiziers oder Beamten plötzlich ihr Ende erreiche, weil<lb/> er der Frau irgendeines Vorgesetzte!? mißfallen habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1260"> Was ihn am wohltuendsten bei uns berührt habe, sei unsre liebenswürdige<lb/> Einfachheit beim Empfange von Fremden. Man habe ihm gesagt, die Deutschen<lb/> seien so nnr gegen die Franzosen, weil sie diesen zeigen wollten, daß sie nicht<lb/> nur rauhe Krieger, sondern auch feingebildete Kulturmenschen seien. Aber der<lb/> Unterschied zwischen Deutschland und England sei in dieser Hinsicht doch so<lb/> groß, daß, wenn er die Wahl habe, ob er in einer deutschen oder in einer<lb/> englischen Stadt, wo er niemand kenne, wohnen wolle, jedenfalls nicht die<lb/> ungastliche und egoistische englische wählen würde. Dies Urteil Hurets ist<lb/> deshalb besonders charakteristisch, weil er sonst immer die Partei Englands gegen<lb/> uns nimmt und immer wieder hervorhebt, wie Deutschlands Emporblühen<lb/> England schade. Über die wunderbaren Einrichtungen unsrer Eisenbahnen,<lb/> insbesondre über die Heiz- und Lüftungsvorrichtungen der Waggons und die<lb/> mathematische Regelmäßigkeit des Dienstes ist er des Lobes voll und denkt<lb/> mit Trauer an die schrecklichen Zustände in Frankreich, wo, abgesehen von<lb/> einigen Luxuszügeu, noch dieselben vorsündflutlichen Einrichtungen herrschen<lb/> wie vor fünfzig Jahren, und wo der Schlendrian im Dienste trotz aller Be¬<lb/> mühungen nicht zu beseitigen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1261"> Eine der Tatsachen, die ihn am meisten in Erstaunen gesetzt hat, ist die<lb/> fast absolute Unwissenheit des Mittelstandes und der Kaufleute in bezug auf<lb/> die innere und auswärtige Politik und auf die politischen Organisationen des<lb/> Deutschen Reiches. Vieles, was er darüber sagt, ist sehr beherzigenswert,<lb/> denn in der Tat muß hier Abhilfe geschafft werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1262"> In einer großen Stadt Westfalens habe er eines Abends mit hochge¬<lb/> bildeten Männern über die Machtbefugnisse des Kaisers und über die Zu¬<lb/> ständigkeit verschiedner Behörden diskutiert. Er hätte vorher gerade die<lb/> Reichsverfassung gelesen und habe alle seine Gegner aufs trockne gesetzt, die<lb/> »hre Ausnahme nichts davon gewußt hätten. Diese außerordentliche In¬<lb/> differenz und Unwissenheit erklärten für ihn hinreichend den politischen Schlaf<lb/> Deutschlands. In den Städten werde die Verwaltung fast ausschließlich von<lb/> Bürgermeistern geführt, die die Gesetze genau kennten. Jeder wende sich an<lb/> sie. und niemand habe ein Interesse, diese Verwaltnngsgesetze zu studiere».<lb/> Genau so sei es mit der Reichsverfassung. Man wisse, daß trotz allem der<lb/> Kaiser der Herr sei und immer das letzte Wort habe. Diese Idee beherrsche<lb/> die Geister und töte das politische Leben des Landes, denn von Natur sei der<lb/> Deutsche zum Widerspruch geneigt, wenn sich ihm die Möglichkeit dazu biete.<lb/> Und wenn einmal die Disziplin nachließe, würde man bald eine tentonische<lb/> Dnma haben. Nais la garcls vsills, fügt er resigniert hinzu.</p><lb/> <p xml:id="ID_1263" next="#ID_1264"> Daß in der Tat bei uns so wenig Interesse für Politik vorhanden ist, und<lb/> daß insonderheit unsre auswärtigen Beziehungen so gänzlich den Diplomaten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0289]
Deutschland in französischer Beleuchtung
Viel größer, als man gewöhnlich denke. Es sei keine Ausnahme, daß die
Karriere eines jungen Offiziers oder Beamten plötzlich ihr Ende erreiche, weil
er der Frau irgendeines Vorgesetzte!? mißfallen habe.
Was ihn am wohltuendsten bei uns berührt habe, sei unsre liebenswürdige
Einfachheit beim Empfange von Fremden. Man habe ihm gesagt, die Deutschen
seien so nnr gegen die Franzosen, weil sie diesen zeigen wollten, daß sie nicht
nur rauhe Krieger, sondern auch feingebildete Kulturmenschen seien. Aber der
Unterschied zwischen Deutschland und England sei in dieser Hinsicht doch so
groß, daß, wenn er die Wahl habe, ob er in einer deutschen oder in einer
englischen Stadt, wo er niemand kenne, wohnen wolle, jedenfalls nicht die
ungastliche und egoistische englische wählen würde. Dies Urteil Hurets ist
deshalb besonders charakteristisch, weil er sonst immer die Partei Englands gegen
uns nimmt und immer wieder hervorhebt, wie Deutschlands Emporblühen
England schade. Über die wunderbaren Einrichtungen unsrer Eisenbahnen,
insbesondre über die Heiz- und Lüftungsvorrichtungen der Waggons und die
mathematische Regelmäßigkeit des Dienstes ist er des Lobes voll und denkt
mit Trauer an die schrecklichen Zustände in Frankreich, wo, abgesehen von
einigen Luxuszügeu, noch dieselben vorsündflutlichen Einrichtungen herrschen
wie vor fünfzig Jahren, und wo der Schlendrian im Dienste trotz aller Be¬
mühungen nicht zu beseitigen ist.
Eine der Tatsachen, die ihn am meisten in Erstaunen gesetzt hat, ist die
fast absolute Unwissenheit des Mittelstandes und der Kaufleute in bezug auf
die innere und auswärtige Politik und auf die politischen Organisationen des
Deutschen Reiches. Vieles, was er darüber sagt, ist sehr beherzigenswert,
denn in der Tat muß hier Abhilfe geschafft werden.
In einer großen Stadt Westfalens habe er eines Abends mit hochge¬
bildeten Männern über die Machtbefugnisse des Kaisers und über die Zu¬
ständigkeit verschiedner Behörden diskutiert. Er hätte vorher gerade die
Reichsverfassung gelesen und habe alle seine Gegner aufs trockne gesetzt, die
»hre Ausnahme nichts davon gewußt hätten. Diese außerordentliche In¬
differenz und Unwissenheit erklärten für ihn hinreichend den politischen Schlaf
Deutschlands. In den Städten werde die Verwaltung fast ausschließlich von
Bürgermeistern geführt, die die Gesetze genau kennten. Jeder wende sich an
sie. und niemand habe ein Interesse, diese Verwaltnngsgesetze zu studiere».
Genau so sei es mit der Reichsverfassung. Man wisse, daß trotz allem der
Kaiser der Herr sei und immer das letzte Wort habe. Diese Idee beherrsche
die Geister und töte das politische Leben des Landes, denn von Natur sei der
Deutsche zum Widerspruch geneigt, wenn sich ihm die Möglichkeit dazu biete.
Und wenn einmal die Disziplin nachließe, würde man bald eine tentonische
Dnma haben. Nais la garcls vsills, fügt er resigniert hinzu.
Daß in der Tat bei uns so wenig Interesse für Politik vorhanden ist, und
daß insonderheit unsre auswärtigen Beziehungen so gänzlich den Diplomaten
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