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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland in französischer Beleuchtung

Arbeiterherzogs Bebel sei die Kehrseite der sonst so heilsamen und wohltätigen
Disziplin, aber auch hier bewahrheite sich nur die alte Regel: Wo viel Licht,
da ist auch viel Schatten, und an dem Segen der Disziplin könne niemand
zweifeln, der längere Zeit in Deutschland gelebt habe.

Sehr interessant sind die Ausführungen über is <zg.rg."ze5re et, les mozurs
nud über iss inamöres et los dg-bituciss. Natürlich sind dabei allerlei Irr¬
tümer mit untergelaufen, weil einzelne Beobachtungen verallgemeinert worden
sind. Huret meint, in keinem andern Lande, mit Ausnahme Rußlands, setze
man so oft den Hut ab wie in Deutschland. Man tue es sogar in Restaurants
und Hotelvestibülen. Niemals werde ein Deutscher eine Visite machen mit
dem Hut in der Hand, sondern ihn immer im Vorzimmer lassen. Daß man
bei allen offiziellen Besuchen gerade umgekehrt verfährt, scheint ihm entgangen
zu sein. Angenehm aufgefallen sind ihm die Höflichkeit und die Gefälligkeit
der Deutschen. Eine Ausnahme hiervon machten nur die Beamten, die früher
Unteroffiziere gewesen seien. Doch habe er diesen gegenüber ein wirksames
Mittel angewandt und sie laut angefahren, wenn sie nicht in den richtigen
Grenzen blieben. Das habe immer gewirkt, denn laut zu sprechen wagten in
Deutschland nur die Aristokraten und die Offiziere. Für einen Franzosen sei
diese Ausnahmestellung der herrschenden Klassen besonders auffallend. So habe
er beobachtet, wie in einem Laden eine Frau aus dem Volke eine Bestellung
gemacht habe und von einem Kommis bedient worden sei. Währenddessen sei
eine Dame eingetreten, habe sich sofort an den Kommis gewandt, und dieser
habe seine erste Kundin verlassen und die Dame zuerst bedient. Und alle drei
hätten den Ausdruck gehabt, als ob das ganz natürlich wäre.

Die persönliche Freiheit findet Huret besonders durch die polizeiliche Melde¬
pflicht sehr beschränkt. Allerdings habe diese Maßregel auch eine gute Seite,
denn jeder Brief gelange schließlich an den Adressaten. Unerklärlich findet er
es, daß die Kirchen und die Museen so oft geschlossen sind. Komisch waren
für ihn anfangs die Vorstellungen. In Kissingen sei einmal ein junger Mann
an seinen Tisch gekommen und habe gleich gesagt: Mein Name ist Müller. Er
habe sich nicht enthalten können zu antworten: Hu'estxzs cjug vous vouls? c^us
Y3. IN6 eg,886? Huret hat hier nicht so unrecht, denn das ewige Vorstellen bei
uns ist einer großen Nation, die wir jetzt geworden sind, wenig würdig und ist
ein Überbleibsel aus der traurige" Zeit unsrer Kleinstaaterei, das wir uus endlich
abgewöhnen sollten. Das englische System, wo alle zu derselben Gesellschaft
geladner Gäste so ipso einander vorgestellt sind, und wo man sich auf Reisen
und in Restaurants niemals gegenseitig vorstellt, ist entschieden vorzuziehn.

Der hierarchische Respekt, der von den Kasernen in das öffentliche Leben
übergegangen sei, hat Huret sehr mißfallen. Die alte Fran eines Obersten
habe sich sofort erhoben und ihren Platz einer ganz jungen Generalsfrcm
eingeräumt, die später gekommen sei. Dieselbe Etikette herrsche in Beamten-
"ut sogar in Universitätskreisen. Auch sei der Einfluß der deutschen Frauen


Deutschland in französischer Beleuchtung

Arbeiterherzogs Bebel sei die Kehrseite der sonst so heilsamen und wohltätigen
Disziplin, aber auch hier bewahrheite sich nur die alte Regel: Wo viel Licht,
da ist auch viel Schatten, und an dem Segen der Disziplin könne niemand
zweifeln, der längere Zeit in Deutschland gelebt habe.

Sehr interessant sind die Ausführungen über is <zg.rg.«ze5re et, les mozurs
nud über iss inamöres et los dg-bituciss. Natürlich sind dabei allerlei Irr¬
tümer mit untergelaufen, weil einzelne Beobachtungen verallgemeinert worden
sind. Huret meint, in keinem andern Lande, mit Ausnahme Rußlands, setze
man so oft den Hut ab wie in Deutschland. Man tue es sogar in Restaurants
und Hotelvestibülen. Niemals werde ein Deutscher eine Visite machen mit
dem Hut in der Hand, sondern ihn immer im Vorzimmer lassen. Daß man
bei allen offiziellen Besuchen gerade umgekehrt verfährt, scheint ihm entgangen
zu sein. Angenehm aufgefallen sind ihm die Höflichkeit und die Gefälligkeit
der Deutschen. Eine Ausnahme hiervon machten nur die Beamten, die früher
Unteroffiziere gewesen seien. Doch habe er diesen gegenüber ein wirksames
Mittel angewandt und sie laut angefahren, wenn sie nicht in den richtigen
Grenzen blieben. Das habe immer gewirkt, denn laut zu sprechen wagten in
Deutschland nur die Aristokraten und die Offiziere. Für einen Franzosen sei
diese Ausnahmestellung der herrschenden Klassen besonders auffallend. So habe
er beobachtet, wie in einem Laden eine Frau aus dem Volke eine Bestellung
gemacht habe und von einem Kommis bedient worden sei. Währenddessen sei
eine Dame eingetreten, habe sich sofort an den Kommis gewandt, und dieser
habe seine erste Kundin verlassen und die Dame zuerst bedient. Und alle drei
hätten den Ausdruck gehabt, als ob das ganz natürlich wäre.

Die persönliche Freiheit findet Huret besonders durch die polizeiliche Melde¬
pflicht sehr beschränkt. Allerdings habe diese Maßregel auch eine gute Seite,
denn jeder Brief gelange schließlich an den Adressaten. Unerklärlich findet er
es, daß die Kirchen und die Museen so oft geschlossen sind. Komisch waren
für ihn anfangs die Vorstellungen. In Kissingen sei einmal ein junger Mann
an seinen Tisch gekommen und habe gleich gesagt: Mein Name ist Müller. Er
habe sich nicht enthalten können zu antworten: Hu'estxzs cjug vous vouls? c^us
Y3. IN6 eg,886? Huret hat hier nicht so unrecht, denn das ewige Vorstellen bei
uns ist einer großen Nation, die wir jetzt geworden sind, wenig würdig und ist
ein Überbleibsel aus der traurige» Zeit unsrer Kleinstaaterei, das wir uus endlich
abgewöhnen sollten. Das englische System, wo alle zu derselben Gesellschaft
geladner Gäste so ipso einander vorgestellt sind, und wo man sich auf Reisen
und in Restaurants niemals gegenseitig vorstellt, ist entschieden vorzuziehn.

Der hierarchische Respekt, der von den Kasernen in das öffentliche Leben
übergegangen sei, hat Huret sehr mißfallen. Die alte Fran eines Obersten
habe sich sofort erhoben und ihren Platz einer ganz jungen Generalsfrcm
eingeräumt, die später gekommen sei. Dieselbe Etikette herrsche in Beamten-
»ut sogar in Universitätskreisen. Auch sei der Einfluß der deutschen Frauen


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[0288] Deutschland in französischer Beleuchtung Arbeiterherzogs Bebel sei die Kehrseite der sonst so heilsamen und wohltätigen Disziplin, aber auch hier bewahrheite sich nur die alte Regel: Wo viel Licht, da ist auch viel Schatten, und an dem Segen der Disziplin könne niemand zweifeln, der längere Zeit in Deutschland gelebt habe. Sehr interessant sind die Ausführungen über is <zg.rg.«ze5re et, les mozurs nud über iss inamöres et los dg-bituciss. Natürlich sind dabei allerlei Irr¬ tümer mit untergelaufen, weil einzelne Beobachtungen verallgemeinert worden sind. Huret meint, in keinem andern Lande, mit Ausnahme Rußlands, setze man so oft den Hut ab wie in Deutschland. Man tue es sogar in Restaurants und Hotelvestibülen. Niemals werde ein Deutscher eine Visite machen mit dem Hut in der Hand, sondern ihn immer im Vorzimmer lassen. Daß man bei allen offiziellen Besuchen gerade umgekehrt verfährt, scheint ihm entgangen zu sein. Angenehm aufgefallen sind ihm die Höflichkeit und die Gefälligkeit der Deutschen. Eine Ausnahme hiervon machten nur die Beamten, die früher Unteroffiziere gewesen seien. Doch habe er diesen gegenüber ein wirksames Mittel angewandt und sie laut angefahren, wenn sie nicht in den richtigen Grenzen blieben. Das habe immer gewirkt, denn laut zu sprechen wagten in Deutschland nur die Aristokraten und die Offiziere. Für einen Franzosen sei diese Ausnahmestellung der herrschenden Klassen besonders auffallend. So habe er beobachtet, wie in einem Laden eine Frau aus dem Volke eine Bestellung gemacht habe und von einem Kommis bedient worden sei. Währenddessen sei eine Dame eingetreten, habe sich sofort an den Kommis gewandt, und dieser habe seine erste Kundin verlassen und die Dame zuerst bedient. Und alle drei hätten den Ausdruck gehabt, als ob das ganz natürlich wäre. Die persönliche Freiheit findet Huret besonders durch die polizeiliche Melde¬ pflicht sehr beschränkt. Allerdings habe diese Maßregel auch eine gute Seite, denn jeder Brief gelange schließlich an den Adressaten. Unerklärlich findet er es, daß die Kirchen und die Museen so oft geschlossen sind. Komisch waren für ihn anfangs die Vorstellungen. In Kissingen sei einmal ein junger Mann an seinen Tisch gekommen und habe gleich gesagt: Mein Name ist Müller. Er habe sich nicht enthalten können zu antworten: Hu'estxzs cjug vous vouls? c^us Y3. IN6 eg,886? Huret hat hier nicht so unrecht, denn das ewige Vorstellen bei uns ist einer großen Nation, die wir jetzt geworden sind, wenig würdig und ist ein Überbleibsel aus der traurige» Zeit unsrer Kleinstaaterei, das wir uus endlich abgewöhnen sollten. Das englische System, wo alle zu derselben Gesellschaft geladner Gäste so ipso einander vorgestellt sind, und wo man sich auf Reisen und in Restaurants niemals gegenseitig vorstellt, ist entschieden vorzuziehn. Der hierarchische Respekt, der von den Kasernen in das öffentliche Leben übergegangen sei, hat Huret sehr mißfallen. Die alte Fran eines Obersten habe sich sofort erhoben und ihren Platz einer ganz jungen Generalsfrcm eingeräumt, die später gekommen sei. Dieselbe Etikette herrsche in Beamten- »ut sogar in Universitätskreisen. Auch sei der Einfluß der deutschen Frauen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/288>, abgerufen am 06.02.2025.